Marx: „WEF ist nicht ergebnisorientiert“

Rund 30 Staats- und Regierungschefs, über 60 Minister und zahlreiche Zentralbanker hatten ihr Kommen angekündigt. Doch auch 16 geladene Religionsvertreter waren dabei am hochkarätigen Treffen im schweizerischen Davos. Unter ihnen war am Weltwirtschaftsforum – kurz WEF – auch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Unter dem Motto „Den Zustand der Welt verbessern: überdenken, umgestalten, erneuern" haben die Teilnehmer diese Woche die Folgen des Scherbenhaufens der Finanz- und Wirtschaftskrise diskutiert. Mario Galgano hat den Bischof und Sozialethiker gefragt, was ihn am meisten beeindruckt hat in Davos.

RV: Sie haben als einer von 16 geladenen Religionsvertretern erstmals an dem hochkarätigen Treffen von Politikern und Unternehmen im schweizerischen Davos teilgenommen. Wie war ihr Eindruck?
Marx: „Mein Eindruck ist, dass das WEF ein unglaublich großes Treffen ist. Da finden sehr viele Foren statt. Tatsächlich ist die ganze Welt in Davos vertreten. Vor allem natürlich die Welt der Wirtschaft, der Banken, aber auch der Politik. Man hat den Eindruck, dass sich in den Schweizer Bergen das globale Weltdorf trifft. Insofern finde ich ein solches Projekt auch gut. Wir brauchen nämlich in einer Zeit der Globalisierung – und mit all den jetzigen Schwierigkeiten – viele Gespräche. Das WEF ist kein ergebnisorientierter Kongress, der am Ende eine Resolution verfasst. Ich finde es gut, dass in den letzten Jahren scheinbar auch verstärkt durch die Krise die Frage der Werte und Religionen ein größeres Gewicht bekommt. Man darf von einem WEF nicht zu viel aber auch nicht zu wenig erwarten. Es ist vielmehr ein Forum, wo sich sehr viele Entscheidungsträger treffen. Sie stellen sich aber auch kritischen Fragen. Als Bischof kann man dann erst einmal sagen, dass man das gut findet."
RV: Was kann denn die katholische Kirche den – sagen wir mal – weltlich orientierten Managern und Politikern mitgeben? Haben Sie über die katholische Soziallehre gesprochen?
Marx: „In unseren Arbeitskreisen haben wir mit Vertretern verschiedener Konfessionen und Religionen gesprochen. Es ist durchaus die Bereitschaft da, die Stimme der katholischen Kirche hören zu wollen. Ich konnte durchaus über die katholische Soziallehre sprechen. Man kann aber nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen. Man muss erst einmal argumentieren und nicht sich einfach hinstellen und sagen, dass man eine Lehre hat. Wir müssen betonen, dass wir gute Argumente haben. Das ist wichtig. Entscheidend ist, dass die katholische Soziallehre nicht einfach als eine Moralpredigt vorgestellt wird. Man muss auch daran denken, dass sehr viele Entscheidungsträger beim WEF Christen sind. Ich finde es gut, dass die Kirche beziehungsweise ich als Bischof auch zu solchen Treffen teilnehmen darf. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Ohren da verschließen, wenn ich spreche."
RV: Gab es auch Rückmeldungen über die letzte Enzyklika des Papstes? Haben Sie den Eindruck, dass der Papst auch bei Ökonomen ankommt?
Marx: „Doch, grundsätzlich schon. Die Veranstalter haben uns als Kirche hier eingeladen. Ich glaube, wir unterschätzen im kirchlichen Bereich manchmal selber unsere Bedeutung. Wir sind so sehr verstrickt in unsere eigenen Probleme und merken gar nicht, wie sehr „von außen" eigentlich gefordert wird, dass wir uns einmischen. Mehrere Korrespondenten und Wirtschaftsleute haben mir gesagt, dass obwohl sie nicht immer mit der Kirche einverstanden sind, sie dennoch wollen, dass die Kirche sich dort argumentativ einmischt. Die katholische Soziallehre ist ein großartiger Schatz, den wir erarbeitet haben. Das ist kein Rezeptbuch, wo man nur nachschauen muss. Wir haben dort sehr gute Prinzipien, Leitideen und auch Orientierung, die bis in die praktische Gestaltung hinein gehen können. Das tun wir zu wenig. Wenn ich an Deutschland denke, aber auch an andere Länder, wer kennt denn überhaupt die katholische Soziallehre? Wer ist da wirklich gebildet? Ich glaube, da ist ein Appell eher nach innen zu richten und nicht unbedingt nach außen. Nach außen werden wir schon gehört. Aber nach innen muss man die katholische Soziallehre besser kennen lernen. Das gilt in Fort- und Weiterbildung aber auch in unseren Verbänden und Gruppierungen, die Einfluss nehmen können in Politik. Da ist noch manches zu tun."
RV: In Davos waren die Gespräche auf eine globale Ebene gerichtet. Wenn Sie den Blick nach Deutschland richten, haben Sie denn da den Eindruck, dass in der gegenwärtigen deutschen Politik die katholische Stimme in diesen moralischen Fragen wirklich wahrgenommen wird?
Marx: „Ich mich intensiv darüber geäußert. Es ist wirklich so, dass ich sehr oft darauf angesprochen werde. Ob sich unsere Botschaft auch in konkreter Politik umsetzen lässt, ist zu beachten, dass die Kirche kein politischer Akteur ist. Wir machen nicht einfach Politik. Wir haben aber Politik möglich zu machen. Unsere Beiträge müssen hilfreich sein. Wir müssen nicht etwas sagen, was über den Wolken schwebt sondern es müssen konkrete Argumente für politische und wirtschaftliche Akteure sein."
RV: Es gibt ja in Deutschland Parteien, die ein „C" in ihrem Namen tragen. Wie sehen Sie das?
Marx: „Die Parteien, die ein „C" vor ihren Namen schreiben, haben damit eine anspruchsvolle Botschaft verbunden und müssen deshalb auch sich an dem orientieren, was die christlichen Kirchen und Gemeinschaften sagen. Der enge Kontakt zur Kirche und auch zur katholischen Soziallehre ist eigentlich in diesem Fall notwendig. Das habe ich immer angemahnt und tue ich weiterhin. Natürlich kann man aus dem Evangelium nicht einfach ein Parteiprogramm machen. Aber die großen Linien gehören dazu. Das ist absolut notwendig."
RV: In Porto Alegre findet nun das World Social Forum statt. Dieses Treffen versteht sich quasi als Kritikplattform gegen das Forum in Davos. Was halten Sie von einem solchen World Social Forum?
Marx: „Schöner wäre es, wenn man die beiden Treffen zusammenführen könnte. Aber man kann nicht immer alles machen. Auch kann man von einem Ökonomie-Treffen wie hier in Davos nicht alles erwarten. Es braucht natürlich Ergänzungen. Deshalb kann auch ein World Social Forum Sinn machen, wenn man dort Punkte einbringt, die an einem Wirtschaftstreffen zu schwach besetzt sind. Bei all der berechtigten Kritik gegenüber dem WEF muss ich sagen, dass sich dieses Treffen auf kritische Fragen geöffnet hat. Es gibt hier auch Kritiker des Kapitalismus und es gibt auch Vertreter von Religion und Philosophie. Das finde ich eine positive Entwicklung. Wir brauchen auf Weltebene – aber das wird ein langer Weg sein – ein Gemeinwesen, der allen und besonders den Armen eine Chance geben kann. Für ein solches Projekt, so glaube ich zumindest, kann man selbst hier in Davos Übereinstimmung finden." (rv)