Vatican News: Statt persönlicher Einsicht, Hohn für andere

Quelle: Vatican News (Screenshot am 16. März)

Wohin steuert das neue Nachrichtenportal des vatikanischen Kommunikationssekretariats?

In den letzten Tagen wurde Msgr. Viganò, der Leiter von Vatican News, bei der Verbreitung von Falschinformation erwischt. Das wohl größte Nachrichtenmedium in der katholischen Kirche arbeitete mit manipulierten Informationen, das ist schon recht delikat. Obendrein fehlt offenbar jede Einsicht, die eigenen Fehler zu revidieren und die wahren Fakten für die Öffentlichkeit zu publizieren. Die Bezeichnung „Fake News“ ist in den letzten Jahren immer häufiger anzutreffen und genau das hat man Msgr. Viganò vorgeworfen.

Heute veröffentlichte Vatican News einen Artikel mit der Überschrift:

„Christlicher Verlag provoziert AfD mit Fake-Buch“

Im Artikel geht es um den „Echter Verlag“. Hier werden Bücher zur Spiritualität, christlicher Lebenskunst, Religion, Theologie und Regionalliteratur über Franken publiziert. Eigentlich sollte man annehmen es geht um christliche Belange. Doch weit gefehlt. Der in Würzburg ansässige Verlag verhöhnt eine in Deutschland regulär gewählte Partei mit einer Broschüre über die christlichen Inhalte der Partei. In der Broschüre herrscht gähnende Leere, also leere Seiten! Den Verlag kann man eigentlich nur als „dümmlich“ bezeichnen. Die AfD findet das gar nicht lustig und prüft rechtliche Schritte gegen den Echter Verlag.

Über diese Geschichte kann man sicherlich schmunzeln, oder auch nicht? Viel interessanter ist es allerdings, das gerade Vatican News dieses Thema aufgreift und einen Artikel von „katholisch.de“, dem Internetportal der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf der eigenen Seite veröffentlicht.

„Vatican News berichtet über ein „Fake Buch“ , obwohl sie aktuell selbst mit Falschmeldungen in die Schlagzeilen geraten ist. Man zeigt keine Selbsteinsicht aber Hohn für eine Partei“. 

Lesern die Vatican News und seinen Vorläufer Radio Vatikan seit langer Zeit lesen, wird sicherlich aufgefallen sein, dass man gerne Beiträge anderer Nachrichtenportale zu unbequemen Themen der Kirche veröffentlicht. So bezieht vordergründig nicht das offizielle Organ des Vatikans Stellung – man verschweigt das Thema aber auch nicht. Eine recht fragwürdige Praxis. Es wäre wünschenswert, dass sich Vatican News besinnt und mit Eigeninitiative und Kompetenz die Themen der Weltkirche  darstellt – und das bitte mit dem Anspruch auf Wahrheit. (vh)

Marx: „Deutschland dreht sich nicht um eine einzige Partei“

Nicht nur auf die AfD starren, sondern „verbal abrüsten“: Dazu lädt Kardinal Reinhard Marx ein, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Die Debatten in Deutschland dürften sich nicht ausschließlich um eine Partei drehen, sagte er zum Beginn der Herbstvollversammlung der Bischöfe am Montagnachmittag in Fulda.

„Deutschland dreht sich nicht nur um eine Partei! Sechs Parteien sind im Bundestag vertreten; es geht nicht nur um den Blick auf eine Partei, sondern um den Blick auf Lösungen für Probleme. Nicht von vornherein die Fixierung auf ein einziges Thema und eine einzige Partei – das wäre kontraproduktiv!“

Zwar mache ihm der „Rechtsruck“, der bei der Bundestagswahl zutage getreten sei, durchaus Sorge, sagte der Kardinal. Doch das sei „ein Trend, der generell durch Europa geht, nichts typisch Deutsches“.

„Jeder Abgeordnete ist dem ganzen deutschen Volk verpflichtet. Ich appelliere, verbal abzurüsten und jetzt zur Sachdiskussion zu kommen. Das Parlament hat auch seine Würde. Ich bitte alle Abgeordneten darum, zwar zu streiten, aber mit Respekt vor dem anderen, in der Form eines Dialogs, im Streit um das bessere Argument und in der Suche nach dem Gemeinwohl.“

Aus seiner Sicht gebe es in allen Parteien „Menschen, die sich auf den christlichen Glauben berufen“, fuhr Marx fort. Er hoffe auch im neuen Bundestag auf eine anständige Form der Auseinandersetzung. „Es geht darum, dass der Stil auch deutlich macht: Wir ringen um einen guten Weg. Da ist es sehr wichtig, dass man keine Sprache des Hasses in eine politische Kultur hineinbringt.“

Der Erzbischof von München und Freising nannte ein paar Themenfelder, die auch künftig in der Politik wichtig sein werden und denen das besondere Augenmerk der deutschen Bischöfe gehöre. „Wie gehen wir mit den Fremden um, wie gehen wir mit den Armen um? Wie gehen wir mit Menschen um, die wegen einer Notsituation zu uns gekommen sind? Das sind Fragen, die für Christen in allen politischen Gruppierungen bedeutsam sein sollten.“ Er könne verstehen, dass sich bei den Menschen in Deutschland angesichts von Migranten Ängste entwickelten. „Dass wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen, ist klar; diesen Sorgen können wir nur durch eine gute Integration der Menschen begegnen.“ (rv)

Übergriffe auf Christen in Deutschland: „Macht die Dinge aktenkundig“

OpenDoorsSie werden beleidigt, bedroht, gedemütigt und erfahren körperliche Gewalt. Christliche Flüchtlinge berichten immer wieder von hässlichen Auseinandersetzungen mit Muslimen in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Die Organisation Open Doors hat diese Woche erstmals eine Studie veröffentlicht, in der religiös motivierte Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge dokumentiert werden. Radio Vatikan sprach darüber mit dem Migrationsbeauftragten der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Klaus Barwig.

Von den 231 Flüchtlingen, die bis zum 15. April 2016 von Open Doors zu ihrer Situation in den Unterkünften befragt wurden, waren 86 Prozent Konvertiten, die vom Islam zum christlichen Glauben übergetreten waren. Die meisten von ihnen stammen aus dem Iran, Afghanistan und Syrien. Sie berichten von Morddrohungen, weil sie „Ungläubige“ seien; teils wurden ihnen die Kreuzanhänger vom Hals gerissen. Sie wurden bespuckt, geschlagen, Frauen sexuell bedrängt. Besonders dramatisch ist der Bericht eines Flüchtlings aus einer Unterkunft in Berlin-Steglitz. Dieser wurde so lange mit Korangesängen beschallt, bis er schließlich versuchte, sich das Leben zu nehmen. Besonders alarmierend: Unter den Tätern war auch muslimisches Wachpersonal. „Schaut endlich auf die Christen“, titelte diese Woche deshalb ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu diesem Thema.

Klaus Barwig ist Referent für Migration der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg Stuttgart. Er warnt davor, überstürzt von Christenverfolgung in Deutschland zu sprechen und eine allgemeine Panikstimmung gegenüber muslimischen Flüchtlingen zu verbreiten. Vielmehr plädiert er für Aufklärung: Wenn derartige Übergriffe passierten, müssten die Christen sich wehren, indem sie sich an kirchliche und staatliche Stellen wendeten. Trotz ihres bereits außerordentlich hohen Engagements müssten kirchliche Helfer dann auch noch stärker in den Unterkünften präsent sein, um als Vertrauenspersonen für die Christen da zu sein:

„Wenn wir da als Kirche etwas tun wollen, sollten wir, wenn uns so etwas gesagt wird, dem erstens auf den Grund gehen und das zweitens bis zur Klärung verfolgen. Um wirklich zu zeigen: Bei uns gilt Religionsfreiheit und das Grundgesetz für alle. Und wer hierher kommt, hat sich dem zu unterwerfen. Das muss unsere Antwort auf solche Dinge sein. Den orientalischen Christen sagen wir immer wieder: Macht die Dinge aktenkundig. Gebt euch auch nicht damit zufrieden, dass ihr es bedauert und bejammert und dann verschweigt, sondern geht die Sache offensiv an und wir helfen euch auch dabei.“

Laut dem Open-Doors-Bericht aber haben viele christliche Flüchtlinge Angst und ziehen es vor, über die Vorfälle zu schweigen. Insbesondere Frauen schämten sich oft, über sexuelle Belästigung zu sprechen. Viele entsprechende traumatische Erlebnisse tragen orientalische Christen bereits aus der Zeit in ihrer alten Heimat mit sich. Umso mehr schockt es sie, wenn sie auch in Deutschland, dem vermeintlichen sicheren Hafen, keine Sicherheit erfahren. Zudem fürchten viele orientalische Christen einen zu starken Einfluss der Muslime auch in Deutschland und haben Angst, von ihnen dauerhaft unterdrückt zu werden – ähnlich wie in ihrer Heimat, weiß Klaus Barwig als Beauftragter des Bischofs für die chaldäischen Christen in Deutschland:

„Da besteht natürlich eine Angst und eine Sorge der Christen, dass die Muslime hier, je mehr sie auch durch die Zuwanderung zahlenmäßig werden, auch hier die Gesellschaft verändern. Und das trifft sich mit den Sorgen, die die AfD in ihrem jüngsten Parteiprogramm auch anspricht. Unsere Aufgabe wird es sein, dass wir die geflüchteten Christen und Muslime mit ihren Erfahrungen aus der Vergangenheit und einem rückwärts gerichteten Blick nicht sich selbst überlassen. Das kann nicht im Interesse unserer Gesellschaft sein. Wir speziell als Kirche müssen unseren Glaubensbrüdern helfen, ihren Blick nach vorne zu wenden, und zu verstehen, dass wir eine plurale Gesellschaft sind die Religionsfreiheit garantiert. Und diese Religionsfreiheit ist keine Schwäche, sondern die Stärke unserer Gesellschaft. Die Achtung vor dem Anderen ist das höchste Maß, was durch unsere Verfassung garantiert ist.“

Die Religionsfreiheit aushalten, auch wenn man sich bedrängt fühlt. Auf keinen Fall dürften sich die Christen, seien es Flüchtlinge wie deutsche Katholiken, von antiislamischen Positionen der AfD vereinnahmen lassen, findet Barwig. Vielmehr müsse die Kirche sich der Realität stellen und einen Mittelweg finden. Auch die muslimischen Flüchtlinge seien jetzt nun einmal da.

„Wir müssen unseren neuen Mitbürgern, die absehbar wohl auf Dauer hier leben werden, klar machen, dass unser Zusammenleben durch Respekt vor dem Anderen und auch vor dessen Glauben geprägt ist und das Wegwünschen des Anderen keine Lösung darstellt.“

Gerade für Christen sei es viel zu unsicher, in ihre alte Heimat, etwa den Irak, zurückzukehren. Abgesehen von den tiefen Zerstörungen, die beispielsweise in Syrien angerichtet wurden – man denke nur an Aleppo. Auch wenn ein Exodus der Christen aus Nahost zu beklagen ist, auch wenn Konflikte zwischen geflohenen Christen und Muslimen in Deutschland vorerst stellenweise fortbestehen: Der Neuanfang der orientalischen Christen in Deutschland ist eine große Chance – auch für das europäische Christentum selbst, findet Barwig.

„Unsere Diözese hat den neu angekommenen Chaldäern eine eigene Kirche zur Verfügung gestellt. Der Bischof hat gesagt, dass das ganz bewusst geschieht, um ihnen das Ankommen zu erleichtern. Aufgrund ihres anderen Ritus und ihrer aramäischen Sprache und auch durch die Ausstattung dieser Kirche. Es sollte ein Ort werden, wo sie sich treffen und austauschen können und wir gezielt Beratungen anbieten können – als erste Geste der Beheimatung. Auch um sie nicht auf Gemeinden zu verstreuen, die nicht wissen, wer da unter ihnen ist. Inzwischen ist diese Kirche in Stuttgart, wenn man mal von der Domkirche St. Eberhard absieht, sonntags die Kirche mit dem höchsten Gottesdienstbesuch. Jeden Sonntag kommen 400 bis 500 Menschen hier in dieser Kirche zusammen. Das zeigt, dass unsere Kirche durch die Zuwanderung nicht nur ein Mehr an Mitgliedern bekommt, sondern auch ein Mehr an Spiritualität und Substanz.“ (rv)

Medienbischof: Diskussion um AfD versachlichen

Bischof Gerhard FürstDer deutsche Medienbischof Gebhard Fürst sieht die katholischen Medien im Land vor einer großen Herausforderung. Einerseits müssten die Ängste der Bürger im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise ernst genommen werden. Gleichzeitig dürfe sich die Kirche von den Positionen der AfD nicht vereinnahmen lassen. Eine Gratwanderung. Mit Radio Vatikan sprach Bischof Fürst in Rom.

RV: Herr Bischof, die AfD hat jüngst in Stuttgart ihr neues Grundsatzprogramm vorgestellt. Wie gehen Sie in der Diözese Rottenburg-Stuttgart nun damit um?

„Die erste Lektüre des Programms der AfD zeigt doch, wie disparat und wie vielschichtig dieses Programm ist, mit teilweise aus meiner Sicht fast unvereinbaren Positionen. Wir müssen das jetzt aus unserer katholischen Perspektive genau anschauen und dann auch mit Thesen in die öffentliche Auseinandersetzung treten. Es ist natürlich für uns als katholische Kirche, die auch eine europäische Dimension hat, einfach nicht akzeptabel, jetzt Europa zum Sündenbock zu machen und zu desavouieren. Es ist für uns auch nicht akzeptabel, dass wir nationalistische Töne anschlagen, dass wir gegen Fremde einfach Ängste schüren. Da müssen wir ganz intensiv ins Gespräch und in die Auseinandersetzung gehen.“

RV: Wie leicht oder schwer ist es, einerseits Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise zu benennen und andererseits sich als Kirche nicht von der AfD und ihren Positionen vereinnahmen zu lassen?

„Wir müssen sehen, dass es in unserer Gesellschaft viele Menschen gibt, die in Sorge sind um unsere Gesellschaft, um unser Land und um ihre eigene Zukunft. Solche Sorgen und Ängste darf man nicht einfach wegwischen. Man darf sie auch nicht dämonisieren, weil sie sind da. Menschen haben diese Ängste, die nicht einfach bösartig sind, sondern sie sind da und wir müssen mit diesen Menschen ins Gespräch kommen. Um diese Ängste mal auf das zurück zu führen, was wirklich der Anlass ist. Vielfach sind die Ängste relativ diffus, Zukunftsängste, Ängste, sozial abzusteigen. Ängste, die mit der Zukunft der eigenen Kultur zusammenhängen. Das muss man ausloten, anschauen und mit den Menschen, mit denen wir sprechen können, in ein Gespräch gehen. Das ist meine Absicht. Wir schauen jetzt mal, wie die Partei sich entwickelt und wie das wird, wenn jetzt die Landesregierung steht und das Parlament dann arbeitet. Da werden wir sehr aufmerksam draufschauen und das uns notwendig Erscheinende dann auch tun.“

RV: Sie sind Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz. Wie muss die katholische Medienarbeit denn nun reagieren? Wie muss sie sich neu positionieren?

„Als katholische Kirche haben wir einen großen Vorteil vor allen anderen. Wir sind eine ganz freie, im politischen Geschäft nicht so verhakte große Einrichtung, wie das jetzt Parteien oder Interessensverbände sind. Und es ist eine große Chance, die wir da haben, dass wir unabhängig auf die Situation schauen können, natürlich verbunden mit unseren Grundorientierungen und Werten. Aber wir können differenziert und nüchtern auf die Situation in Deutschland mit den Flüchtlingen und den politischen Veränderungen blicken. Wir können helfen, dass sich die Diskussion versachlicht, dass sie differenziert stattfindet. Versachlichung, Differenzierung und Förderung der Urteilskraft der Menschen ist ja ein Grundanliegen der Medien. Ich denke, wir als katholische Kirche haben hier gute Möglichkeiten, diesen gesellschaftlichen Diskurs so zu führen, dass er nicht zu einem emotionalisierten Gegeneinander wird. Das ist unser Beitrag. Da müssen wir alle unsere Medienmöglichkeiten einsetzen. Wenn ich mir die großen Herausforderungen, die wir da haben, anschaue, wünschte ich mir eins: dass wir noch mehr Ressourcen hätten, um diese Arbeit aus der Perspektive der Deutschen Bischofskonferenz auf der Ebene der katholischen Kirche in Deutschland noch fruchtbarer werden zu lassen und in diesen gesellschaftlichen Prozess konstruktiv einzusteigen.“ (rv)

Sachsen-Anhalt nach den Wahlen: „Es herrschte erst mal Lähmung“

Sachsen-AnhaltEs ist ein Erdrutschsieg für die erst junge Partei Alternative für Deutschland. Bei den Landtagswahlen am Sonntag in drei Bundesländern konnte sie Rekordergebnisse einfahren, allen voran in Sachsen-Anhalt mit 24,2 Prozent der Stimmen. Über die Reaktionen in dem Bundesland sprach Radio Vatikan mit dem Leiter des Katholischen Büros in Magdeburg, Stephan Rether.

RV: Herr Rether, wie haben Sie persönlich auf das Wahlergebnis reagiert?

„So einen Wahlabend habe ich in meine ganzen dienstlichen Laufzeit noch nicht erlebt. Nachdem die ARD um 18 Uhr die erste Prognose veröffentlicht hatte, wurde es dann unwahrscheinlich ruhig im Landtag, wo die Landeswahlleiterin ihr Büro aufgestellt hatte und die ganzen Medien versammelt waren. Dieses große Entsetzen über das Abschneiden der AfD mit hier 24,2 Prozent der Wählerstimmen hat doch geradezu zu einer Lähmung geführt gestern. Das Wahlergebnis war für mich auch schon der Höhe nach eine enttäuschende Überraschung. Die Umfragen haben natürlich wie auch in den beiden anderen Bundesländern gezeigt, dass die AfD angesichts der gesellschaftspolitischen Situation eine deutlich wahrzunehmende Größe ist und dass die AfD hier in Sachsen-Anhalt mehr Zuspruch genießt als in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz. Aber dass tatsächlich fast ein Viertel der Wähler in Sachsen-Anhalt, die am Sonntag ihre Stimme abgegeben haben, diese junge neue Partei gewählt haben, das hat mich sehr enttäuscht.“

RV: Handelt es sich in Ihren Augen um eine Protestwahl oder tatsächlich um einen gesellschaftspolitischen Wandel?

„Das Ergebnis zeigt für mich auf, dass viele Wahlentscheidungen sicherlich aus Protest getroffen worden sind. Also der Protestwähler folgt wie ein kleines Kind seinem spontanen Widerwillen, aber ein ‚Ich will aber nicht‘ zeigt weder vernünftige Alternativen auf, noch ist dieser Protest ein wirklich konstruktiver Ansatz, Belastungen und Probleme zu lösen. Der verantwortungsvolle Wähler muss wissen, dass er nicht tagesaktuell, sondern für fünf lange Jahre diejenigen auswählen muss, denen er in allen seinen Lebenslagen und Belangen zutraut, dass er dort bestmöglich vertreten wird. Und eben nicht denjenigen, der mit seinem tagesaktuellen Bauchgefühl im Einklang steht.“

RV: Kardinal Marx hat im Vorfeld der Wahl noch einmal betont, dass ein Christ niemanden wählen könne, der Hass verbreite. Wie erklären Sie sich den großen Erfolg der AfD in Sachsen-Anhalt?

„Offensichtlich ist es der AfD gelungen, spontane Stimmungen aufzugreifen und daraus auch parlamentarischen Profit zu erzielen. Ob das von Dauer ist, hängt ein Stück weit von uns Kirchen und von der Politik der etablierten bürgerlichen Parteien ab. Es ist unwahrscheinlich wichtig, dass wir verstehen, dass wir gefordert sind, immer wieder zu kommunizieren: Wie soll unsere Gesellschaft aussehen? Welche Werte muss sie verteidigen? Was ist ihr wichtig? Und schließlich müssen wir deutlich machen, wie das System der parlamentarischen Demokratie im Alltag funktioniert. Ich hoffe sehr, dass dieses Ereignis auch in der Landesgeschichte Sachsen-Anhalts so oder noch schlimmer keine Wiederholung findet.“

RV: Was müssen wir nun von der Kirche und der etablierten Politik erwarten?

„Angesichts dessen, dass sich hier ein Viertel der Wähler für die AfD entschieden hat, gehört es sich vielleicht nicht, dass wir hier eine Politik des Ignorierens oder gar der Ächtung betreiben. Ich gehe davon aus, dass ein AfD-Mandatsträger auch Vize-Präsident des Landtags wird. Das ist zumindest die bisherige Übung im Parlament. Wie verhalten wir uns vor einem Inhaber eines solchen Staatsamtes? Hier müssen wir auch im Austausch mit den anderen Bundesländern Antworten finden.“

RV: Wie kann die Kirche zwischen denen, die die Werte des christlichen Abendlandes verteidigen wollen und denen, die aus dem Prinzip der Nächstenliebe Flüchtlinge aufnehmen wollen, vermitteln?

„Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um auch hier den einzelnen Menschen deutlich zu machen, was sind die Werte, die die Gesellschaft zusammenhalten und wo sind aber auch die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit. Ich glaube, dass Sachsen-Anhalt noch viel mehr leisten kann im Bereich der Integration, Bildung und Erziehung, um zu einer guten Zukunft zu kommen. Ich bin da sehr zuversichtlich.”

RV: Immer wieder positionieren sich einzelne Kirchenleute, Priester und Gemeinden gegen die AfD. Inwiefern finden die Kirchen in Sachsen-Anhalt Gehör?

„Selbst wenn wir die evangelischen Landeskirchen dazu nehmen, sind wir deutlich unter 20 Prozent Christen in der Gesamtbevölkerung. Das heißt wir haben hier keine ausgeprägten christlichen Milieus, die dazu führen könnten, dass wir zwingend mit unseren Äußerungen wahrgenommen werden. Ich glaube schon, dass wir als Kirche gehört werden. Aber man muss eben auch sehen, dass über 80 Prozent der Bevölkerung nicht getauft sind und möglicherweise kein Interesse an Kirche, religiösen Themen und theologischen Wahrheiten haben. Und wenn man allein aus dieser Quelle heraus die Menschenwürde und die Achtung vor dem Nächsten kommuniziert, dann ist das hierzulande in Sachsen-Anhalt eine herausfordernde Unternehmung.“ (rv)