Nuntius Périsset: „Deutsche Kirche ist lebendig“

In drei Tagen ist der Papst in Berlin – und unter den ersten Persönlichkeiten, die ihn dort begrüßen werden, ist sein Statthalter in der Kapitale, der Apostolische Nuntius. Gudrun Sailer sprach mit dem aus der Schweiz stammenden Erzbischof Jean-Claude Périsset: „Diese Leute schaden sich selbst mit ihrer Haltung", meint er mit Blick auf die Abgeordneten, die einen Boykott der Papstrede im Bundestag angekündigt haben.

Herr Erzbischof, eine Ihrer Hauptaufgaben als Nuntius ist es, Rom über politische und kirchliche Themen Deutschlands zu informieren. Angenommen, man würde ausschließlich Ihre Nuntiaturberichte lesen und keine anderen Quellen zu Rate ziehen: Welches Bild der Kirche in Deutschland würde man da gezeichnet finden?

„Seit ich in Deutschland bin – seit vier Jahren – ist die Kirche lebendig in diesem Land, obwohl die Zahl der Angehörigen zur katholischen Kirche zurück geht, besonders letztes Jahr nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle. Aber man sieht überall, wie viele Leute sich einsetzen in den Pfarreien, Hilfswerken, und wie viel auch der Klerus und die Ordensleute sich für den Nächsten einsetzen. Da gibt es etwa in Berlin die Klinik Sankt Joseph in der Nähe der Nuntiatur, sie hat die viertgrößte Zahl der Geburten in Deutschland, über 3000 pro Jahr – das zeigt, wie diese Ordensfrauen sich für die Gesellschaft einsetzen. Deshalb habe ich keine Angst für die Zukunft der Kirche in Deutschland. Es sind Schwierigkeiten, ja. Man braucht nur die Geschichte zu kennen, aber die Kirche ist etwas Lebendiges."

In Vorberichten ist meist nur vom Boykott der Bundestagesrede, Gegendemonstrationen und Kosten die Rede, wie oft vor Papstbesuchen. Die Bundestagsrede ist der politische Höhepunkt der Reise. Wie sehen Sie als Diplomat des Heiligen Stuhles die Tatsache, dass Dutzende Abgeordnete die Rede des Papstes vor dem Bundestag boykottieren werden?

„Das ist ihre Verantwortung. Jeder ist frei, einen Gast anzuhören oder nicht. Der Bundestag als solcher hatte den Papst eingeladen. Alle waren einverstanden – aber jeder (Abgeordnete) trägt nun selbst Verantwortung. Aber es erstaunt mich nicht. Denn mit der Kritik ist es immer so wie mit einem Fleck auf dem Tischtuch: Man sieht nur den Fleck, nicht das Schöne des Tischtuchs. Die Zeitungen messen diesen Randsachen, diesen Flecken, mehr Raum bei. Und nachher werden sie vielleicht, hoffen wir, anderes sagen als bisher, wie es schon anderswo geschehen ist. Deshalb habe ich für den Papstbesuch Hoffnung, dass das Positive am Ende über dem Negativen steht, und wer das Negative steht, kann sagen, ich bin dafür verantwortlich, aber nicht der Papst, nicht die Kirche."

Wenn man sich in verschiedenen diplomatischen Kreisen nach diesem Boykott erkundigt, bekommt man hinter vorgehaltener Hand gesagt, der Boykott der Papstreise sei eine krass unhöfliche Geste. Stimmen Sie als Diplomat dem zu?

„Unhöflich würde ich nicht sagen. Es ist wie in einer Familie, wenn man einen Verwandten einlädt, der Schwierigkeiten hatte mit einem Sohn der Familie, und der Sohn wird vielleicht an dem Tag nicht anwesend sein, um diesen Verwandten nicht zu sehen. Ich würde das nicht zu stark betonen. Ich muss sagen, diese Leute schaden sich selber in ihrer Haltung. Es ist ihr Recht. Sie haben ihre Verantwortung. Nicht dass es uns gleichgültig ist, uns wäre es viel lieber, es würden alle kommen. Warum? Weil am Fronton des Bundestags steht: Dem Deutschen Volk. Die Abgeordneten sind nicht für sich selber im Bundestag, sondern für die Bevölkerung. Und ich würde gern die Wähler ihres Kreises fragen, sind Sie zufrieden damit, dass Ihr Abgeordneter beim Papstbesuch abwesend war? Ich bin fast sicher, die meisten wären gar nicht zufrieden damit, „ich hätte lieber gehabt, er hätte den Papst hören sollen"… Für mich gibt es eine Kohärenz zwischen den Fakten und den Haltungen. Einige wollen sich absondern, und das sind die Verlierer."

Viel berichtet wird im Vorfeld des Papstbesuches auch von den geplanten Demonstrationen. Dazu laden Homosexuellen-Initiativen ein. Nun hat sich letzte Woche der neue Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki mit Vertretern solcher Homosexuellen-Gruppen getroffen. Das war eine Premiere. Beide Seiten rühmten nachher die gute Atmosphäre des Gesprächs. Ist das ein Wendepunkt zwischen Kirche und Homosexuellen?

„Wir haben auch als Nuntiatur Kontakt mit Homosexuellen-Vertretern. Und es gibt in allen Diözesen in Deutschland Priester, die besonders damit beauftragt sind, die Kontakte mit Homosexuellen-Vertretern zu haben. Man kann also nicht sagen, es sei etwas ganz Neues. Aber die Art und Weise ist besonders, und auch vor dem Papstbesuch, das ist neu. Ich freue mich besonders, dass der Erzbischof die Kraft und die Hoffnung gehabt hat, diese Begegnung zu machen. Es wird sicher mit besseren Folgen weitergehen. Es war für uns sicher wichtig, dass diese Demonstranten sich angenommen und anerkannt fühlen und nicht verworfen. Deshalb ist diese Begegnung sehr wichtig in Bezug auf den Besuch des Papstes." (rv)