Vorhof der Völker in Berlin: „Der Kalte Krieg ist zu Ende“

RavasiEndlich eine echte Debatte und nicht nur ein feierliches Aneinander-Vorbei-Reden wie so oft bei italienischen Ausgaben des „Vorhofs der Völker"! Das sagte einer der Organisatoren der Gesprächsinitiative nach den ersten Stunden des Berliner „Vorhofs"; er war rundum zufrieden. Nicht immer komme man so schnell hinein in den Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Tatsächlich waren im Festsaal des Roten Rathauses am Dienstagabend auch viele deutliche Worte gefallen. So nannte etwa der Philosoph Herbert Schnädelbach, nach eigener Aussage ein „frommer Atheist", das Motto der ersten Gesprächsrunde „absurd" und „intellektuelle Panikmache".

Dieses Motto war einem Werk von Dostojewski entlehnt und lautete: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt." Kardinal Gianfranco Ravasi vom Päpstlichen Kulturrat, der das Zitat ausgewählt hatte, räumte ein, es sei tatsächlich „provozierend".

„Freilich breitet sich in unseren Tagen immer stärker eine Art Nebel aus, der sowohl die echte Religion als auch den eindeutigen, strengen Atheismus verschwimmen lässt und umhüllt. Dabei handelt es sich eher um ein soziologisches als ein weltanschauliches Phänomen: es ist die Gleichgültigkeit, die Oberflächlichkeit, Banalität, sarkastischer Spott. In dieser Stimmung herrscht oft der Mythos über den Logos, das Pamphlet ersetzt den analytischen Aufsatz, die fundamentalistische Lesart ist stärker als das kritische Abwägen der Positionen… Diesen echten Erkrankungen sowohl des Unglaubens als auch der Religion kann, so meine ich, der Dialog eine Erwiderung anbieten!"

Kardinal Ravasi sprach von „zwei unterschiedlichen Lehren vom Menschen, zwei unterschiedlichen existenziellen Wegen, zweierlei Humanismen": Der eine „mit Gott" und der andere ohne Gott. Nichtgläubige hätten ihren Bezugspunkt „im Individuum, im Subjekt, das seine eigene ethische Ordnung sucht"; religiöse Menschen hingegen glaubten, „dass die Wahrheit, die Natur, die sittliche Ordnung uns vorausgehen und uns übersteigen". Der „Vorhof der Völker" gehöre nach Berlin, weil die deutsche Hauptstadt in gewisser Hinsicht eine „spirituelle Wüste" sei. Dem widersprach heftig Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit: Es gebe zwar eine religions- und konfessionslose Bevölkerungsmehrheit in der Stadt, aber gleichzeitig über 250 aktive Religionsgemeinschaften, das mache sie zur „religiös vielfältigsten in Europa". „Gottlos ist Berlin also sicher nicht." Dass Berlin aber allemal der richtige Schauplatz für den deutschen „Vorhof der Völker" ist, darin waren sich alle einig, auch der frühere Bundespräsident Horst Köhler.

„Berlin ist ein guter Ort für diesen Dialog. Das gilt zum einen für die Berliner selber, zum anderen aber brauchen wir diesen Dialog für die Welt. Es gibt nun einmal unterschiedliche Auffassungen über Religion, über Gerechtigkeit oder Wahrheit; wir brauchen den Dialog, wo unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen und über diese Unterschiedlichkeit deutlich geredet wird. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Kardinal hier ist, und nehme es als eine Ermunterung, darauf aufzubauen."

Beim „Vorhof der Völker" „kommt zusammen, was zusammen gehört", formulierte Berlins Kardinal Rainer Maria Woelki angelehnt an ein berühmtes Willy-Brandt-Zitat: „Glaubende und Nicht-Glaubende versammeln sich an einem Ort, um über Themen zu sprechen, die alle gleichermaßen angehen, um über die Frage nach der Wahrheit und der Freiheit zu ringen." Angepeilt sei „eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, die die jeweils andere Position ernst nimmt." Der „kalte Krieg" zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen sei „vorbei", so der Hauptstadterzbischof.

„Unser christlicher Glaube lebt aus eigenen Freiheitserfahrungen – individuellen und gemeinschaftlichen – und ist ein Glaube, der uns zu Gottsuchern macht, die das Gespräch mit jenen Nichtglaubenden suchen, die die Gottesfrage nicht einfach gleichgültig lässt und die am gemeinsamen Wohl der Stadt Berlin, der Hauptstadt unseres Landes Interesse haben."

Vor allem Protestanten – Fichte, Schleiermacher, Hegel – haben im 19. Jahrhundert in Berlin über Religion, Gott und den Menschen nachgedacht. Darum war es auch ein Protestant, der Kirchenhistoriker Christoph Markschies von der Humboldt-Universität, der die erste Debatte des „Vorhofs" moderierte. Konturen wurden da schnell sichtbar: Auch wenn es Gott nicht gäbe, dürfe doch noch keiner über die rote Ampel fahren, meinte der Philosoph Herbert Schnädelbach, Normen gälten also auch ganz ohne Bezug auf Gott. Und dem Soziologen Hans Joas waren die Begriffe – „Gott, Religion, Nichtglaubende" – zu „groß" und zu unbestimmt, um sie in einer solchen Debatte ständig im Munde zu führen.

„Selbst der Begriff Christentum ist viel zu groß, wir sehen da eine enorme Heterogenität. Ich denke, auf diesem Gebiet steigt das Niveau, wenn die Abstraktionsebene sinkt. Also, dass wir mehr reden sollten über konkrete Menschen, die glauben."

Joas kritisierte auch den Titel „Vorhof der Völker": Sicher sei diese Metapher gut gemeint, und der biblische Bezug sei ja auch klar, aber „Vorhof" klinge doch ausgrenzend, so als hätten Gläubige einen Sonderbereich für sich, als hätten sie die ganze Wahrheit und die anderen nicht. „Mit dieser Metapher kann man nicht gleichzeitig behaupten, dass man einen Dialog auf Augenhöhe will."

Der berührendste Moment der Debatte war es, als sich der Skeptiker Schnädelbach zu „religiösen Erfahrungen" bekannte: Ja, die habe er auch schon gemacht, aber er bringe sie eben nicht mit dem biblischen Gott in Verbindung. Das Gespräch im „Vorhof der Völker" ist schnell in Gang gekommen. (rv)