Vatileaks: Auszüge aus den Verhörprotokollen

In der Affäre des Datenschwundes aus dem Vatikan hat der Heilige Stuhl zu Beginn der Woche zwei brisante Gerichtsdokumente veröffentlicht: den Untersuchungsbericht sowie die Anklageschrift gegen den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele und den Informatiker Claudio Sciarpelletti. Beide müssen sich im Herbst vor dem Vatikantribunal verantworten, wegen schweren Diebstahls der eine, wegen Begünstigung der andere. Das Besondere ist, dass Papst Benedikt entschied, beide Gerichtsdokumente komplett und nicht bloß in Auszügen zu veröffentlichen. Die trocken formulierten und mit Quellenangaben gespickten Texte stützen sich auf Verhörprotokolle und Zeugenaussagen, sie bieten hochinteressante Einblicke in innere Vorgänge des Vatikans mitten in der Krisensituation, die als „Vatileaks" bekannt wurde.

„War schon immer an Fragen des Geheimdienstes interessiert"

Paolo Gabriele handelte seinen eigenen Aussagen zufolge in helfender Absicht, wobei er sich vom Heiligen Geist geleitet sah. Ein wörtliches Zitat aus einem seiner Verhöre: „Als ich das Böse und die Korruption überall in der Kirche sah, bin ich in letzter Zeit – jener der Eskalation – an einen Punkt gelangt, an dem es kein Zurück mehr gab… Ich war mir sicher, dass ein Schock, auch in den Medien, dabei helfen würde, die Kirche auf den rechten Weg zurückzubringen. Überdies war ich immer an Fragen des Geheimdienstes interessiert. Auf gewisse Weise dachte ich, dass diese Rolle mir vom Heiligen Geist zugedacht war, von dem ich mich erfüllt fühlte." Ein anderes Mal spricht Gabriele direkt von Misständen in der Verwaltung des Vatikanstaates und von einem daher rührenden „Skandal für den Glauben". Wörtlich: „Mir wurde bewusst, dass der Papst über einige Punkte nicht oder nur schlecht informiert war. Mit der Hilfe anderer Personen wie Nuzzi dachte ich, die Dinge klarer sehen zu können."

Die erste Begegnung mit dem Skandaljournalisten Gianluigi Nuzzi, der im Mai 2012 sein Buch mit den gestohlenen Vatikan-Dokumenten veröffentlichte, bahnte der Kammerdiener per Internet an. Danach traf man sich im Zeitraum zwischen November 2011 und Januar 2012 wöchentlich oder alle zwei Wochen in einer Wohnung, die der aus Mailand stammende Journalist in Rom zur Verfügung hatte. Der Kammerdiener übergab die gestohlenen Dokumente auf mehrere Male verteilt. Er habe dafür weder Geld noch Vorteile erhalten, sagte Gabriele im Verhör. Ein Fernsehinterview, das Nuzzi mit dem dafür unkenntlich gemachten Paolo Gabriele führte und das im Frühjahr 2012 ausgestrahlt wurde, ist echt.

Gabriele stritt zunächst alles ab

Zwei Tage nach der Publikation des Buches – am 21. Mai 2012, wie die Anklageschrift penibel vermerkt – setzen sich in der Wohnung des Papstes Angehörige der päpstlichen Familie zusammen, und zwar jene, die Zugang zum Schreibtisch ihres Dienstherren haben: die beiden Privatsekretäre Georg Gänswein und Alfred Xuereb, die deutsche Schreibkraft Birgit Wansing, die vier italienischen Haushälterinnen der Bewegung „Memores Domini" und schließlich der Kammerdiener Paolo Gabriele. Alle verneinen, etwas mit dem Dokumentenschwund zu tun zu haben. Daraufhin weist Gänswein den Butler vor den anderen darauf hin, dass einige der gestohlenen und publizierten Dokumente das Büro des Papstes noch nicht einmal verlassen hatten und Gabriele zwei davon mit Sicherheit in Händen gehabt habe, weil er mit der Vorbereitung der Antwort betraut war; das werfe zumindest einen starken Verdacht auf ihn. Gabriele jedoch streitet weiter kategorisch ab. Zwei Tage später ist es Gänswein, der vor der abermals versammelten päpstlichen Familie dem Kammerdiener seine Verhaftung mitteilt. Gabrieles Antwort: Da sei ja jetzt der Sündenbock gefunden. Er sei ruhig und gelassen und mit seinem Gewissen im Reinen, auch weil er mit seinem geistlichen Begleiter gesprochen habe.

Dieser geistliche Begleiter – „Zeuge B." nennt ihn die Anklageschrift – hat davor von Paolo Gabriele in einem A4-Ordner mit päpstlichem Wappen Fotokopien derselben Dokumente erhalten, die dieser auch an den Journalisten Nuzzi weiterspielte. Auch das sagte Gabriele in einem der Verhöre aus. Der geistliche Begleiter gab seinerseits vor dem vatikanischen Staatsanwalt zu Protokoll, diese Dokumente verbrannt zu haben. Begründung: Er wisse, dass sie Frucht einer ungesetzlichen und unehrlichen Handlung seien. Etwas kryptisch heißt es in der Anklageschrift weiter: „Übrigens kann man anmerken, dass alle Gründe für die Vernichtung der Dokumente bereits im Moment des Entgegennehmens vorhanden waren." Wieviel Zeit der geistliche Begleiter verstreichen ließ, bevor er die Papiere verbrannte, bleibt offen. Andererseits scheint sich aus dem umfassenden Geständnis des Kammerdieners klar zu ergeben, dass niemand anderer als er selbst die Dokumente weitergab.

Er war witzig – und verschlossen

Auf einer persönlichen Ebene wurde Paolo Gabriele von vielen geschätzt. Die Anklageschrift zitiert stellvertretend drei Zeuginnen, möglicherweise die Haushälterinnen, die den Diener als gläubigen und frommen Mann beschreiben, der jeden Tag mit Andacht die Morgenmesse mit dem Papst gehört und viel gebetet habe. Vertrauenswürdig und intelligent sei er, überdies witzig, aber, wie die dritte zitierte Zeugin kritisch anmerkt, eben auch „sehr verschlossen. Es war schwierig, zumindest für uns, mit ihm warm zu werden, vor allem schien er ein Mensch in ständigem Wettbewerb, der sehr auf der Suche nach Bestätigung für sein Verhalten war. In Alltagsfragen nahm er die Position des Richters ein und war etwa sehr kritisch mit der Schule und den Lehrern seiner Kinder."

Privatsekretär Gänswein, der einzige Zeuge, den die Anklageschrift namentlich nennt, schildert den Kammerdiener als einen „Ausführenden", dem man mitunter Dinge auch zweimal sagen musste. Er sei ihm aber ehrlich und loyal erschienen, und so habe er Gabriele nach einem Jahr mit einigen leichten Verwaltungs- und Routineaufgaben in seinem Büro betraut. Aber: „Ich habe ihm nie vertrauliche Dokumente übermittelt oder gezeigt."

Schuldgefühle und Größenwahn

Die beiden psychiatrischen Gutachten, die über die Zurechnungsfähigkeit von Paolo Gabriele angefertigt wurden, bescheinigen dem Angeklagten eine schwierige Persönlichkeit. Gabriele bezog sich „mehrmals auf Komplotte und Machenschaften zugunsten oder Ungunsten herausragender Persönlichkeiten, seien es Laien oder, öfter noch, Priester". Er sei leicht beeinflussbar. Und weiter: „Herr Gabriele zeichnet sich durch einfache Intelligenz und eine fragile Persönlichkeit aus, mit Hang zum Paranoiden. Er versucht eine tiefe persönliche Unsicherheit und ein ungestilltes Bedürfnis nach Anerkennung und Zuneigung durch andere zu verbergen. Vorhanden sind obsessives Verhalten im Denken und Handeln (Pedanterie, Beharrlichkeit), Schuldgefühle und Größenwahn, verbunden mit dem Wunsch, im Sinn eines persönlichen Gerechtigkeitsideals zu handeln." Dennoch sei der Mann zurechnungsfähig, heißt es im ersten Gutachten. Das zweite Gutachten, angefertigt im Auftrag der Verteidigung, kommt allerdings zum gegenteiligen Schluss.

Zweieinhalb Seiten der Anklageschrift widmen sich Claudio Sciarpelletti, dem Programmierer im Staatssekretariat, dem Beihilfe zum schweren Diebstahl vorgeworfen wird. Er verstrickte sich in den Vernehmungen am Vatikantribunal in Widersprüche, etwa über die Herkunft des brisanten Umschlags, den die Fahnder in seinem Büro-Schreibtisch entdeckten. Der Umschlag enthielt Dokumente, von denen einige identisch waren mit jenen, die Nuzzi veröffentlichte. Einmal gab Sciarpelletti an, er habe sie ungefähr zwei Jahre zuvor von Paolo Gabriele erhalen, ein anderes Mal konnte er sich an den Übermittler nicht mehr erinnern, jedenfalls habe er den Inhalt nie gelesen und den Umschlag in der Lade irgendwann vergessen. Über seine Bekanntschaft zu dem Kammerdiener sagte der Informatiker einmal aus, es habe sich um eine flüchtige Arbeitsbeziehung gehandelt, ein andermal war von gemeinsamen Unternehmungen mit den Familien und einem Ausflug in die päpstlichen Gärten von Castelgandolfo die Rede. Die Widersprüche in Sciarpellettis Aussagen genügen, um ihn der Begünstigung anzuklagen. Eine Anklage wegen Geheimnisverrats hingegen ließ der Untersuchungsrichter fallen. (rv)