Lombardi: „Deutschlandreise war eine Mahnung“

Letzte Tage im Jahr: Zeit, um Bilanz zu ziehen. 2011 war für den Papst „ein intensives Jahr", meint im Gespräch mit Radio Vatikan der Sprecher von Benedikt XVI., Jesuitenpater Federico Lombardi. Und er hat damit besonders die Papstreise nach Deutschland von Ende September im Auge.

„In Deutschland wurde besonders die Sorge des Papstes deutlich, von Gott zu sprechen und vom Primat Gottes in der Gesellschaft, auch in einem Kontext der Säkularisierung. Es war eine ausgesprochen intensive und wichtige Reise, die schon mit Spannung erwartet worden war. Ich glaube, die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag in Berlin wird zu den großen Reden dieses Pontifikats gezählt werden. Er machte darin einem sehr breiten Zuhörerkreis klar, wie wichtig der Gottesbezug für das menschliche Zusammenleben ist, für die fundamentalen Werte der Gesellschaft und für die Menschenwürde. Dieses Thema, Gottes Vorrang, hat die Reise nach Deutschland ein bisschen dominiert, wenn auch im Kontext der Säkularisierung."

Eine zweite Auslandsreise des Papstes, die aus der Sicht von Pater Lombardi besonders wichtig war: Spanien. Da hatte Benedikt Mitte August am kirchlichen Weltjugendtag teilgenommen, der mehr als eine Million von Jugendlichen in der Hauptstadt Madrid versammelte.

„Das war eine große Erfahrung von der Lebendigkeit des Glaubens, von seiner Zukunftskraft. Der Papst hat vor kurzem in seiner Ansprache an die römische Kurie deutlich gemacht, wie wichtig ihm diese Erfahrung war. Und er hat gezeigt, dass er von diesem Weltjugendtag ausgehen will, um über die Art und Weise einer Neuevangelisierung der Welt nachzudenken. Es geht um eine neue und lebenskräftige Art, das Christsein zu leben. Zum Vergleich: Die Deutschlandreise war eher eine Mahnung, die grundlegenden Werte zu bewahren in einer Zeit und einer Welt, die sich weiter säkularisiert. Der Weltjugendtag und Spanien hingegen haben die positive Seite der verkündenden und lebendigen Anwesenheit gezeigt, die die Kirche in der Welt von heute hat."

Afrikareise: „Möglichkeiten einer einheimischen Kirche"

Im Gespräch mit uns ging Federico Lombardi SJ auch auf die Papstreise nach Benin von diesem Herbst ein. Es war schon die zweite Afrikatour dieses Papstes; Benedikt stellte auf ihr ein Grundlagendokument zur Kirche in Afrika vor. Das Dokument ist Frucht einer vatikanischen Bischofssynode; Lombardi nennt es „sehr schön, klar und einfach":

„Mehrere Kommentatoren – darunter auch nicht-katholische – haben es einen der schönsten Texte genannt, die es heute für den afrikanischen Kontinent gibt: Er stellt seine Probleme in einen breiten Horizont und zeigt Motive für eine realistische Hoffnung für die Zukunft, wobei die Würde der Afrikaner anerkannt wird. Das war ja auch das Klima, in dem die Reise stattfand; der Papst war sehr bewegt von der Freude und Vitalität des Volkes, das ihn empfangen hat. Eines Volkes, das Probleme durchmacht, große Leiden und Schwierigkeiten, das aber auch eine Fähigkeit zeigt, nach vorne zu schauen und Lebensfreude zu versprühen. Die Reise hat die Möglichkeiten einer in Afrika einheimischen Kirche gezeigt: einer Kirche, die nicht von Europa aus zu Afrika spricht, sondern von Afrika selbst aus. Das macht Hoffnung für die Zukunft der Kirche in Afrika, für den Dienst, den sie auf dem Kontinent leistet."

Assisi: „Ein Schritt nach vorn, nicht zurück"

Ein herausragender Moment des Papstjahres 2011 war auch eine Reise, die den Heiligen Vater nur knappe zweihundert Kilometer von Rom entfernt nach Umbrien führte: in das Bergstädtchen Assisi. Dort traf er sich mit Religions- und Kirchenführern, aber auch mit Atheisten zu einer Pilgerfahrt für den Frieden auf der Welt.

„An diese Begegnung von Assisi knüpften sich schon vorher viele Erwartungen. Wir wissen ja, dass es lange Zeit Zweifel gab, ob Papst Benedikt XVI. die Assisi-Botschaften seines Vorgängers aufgreifen würde oder ob er da nicht einen Schritt zurückgehen würde… In Wirklichkeit war das dann ja auch keine einfache Kopie der früheren Assisi-Gebetstreffen, sondern ein weiterer Schritt nach vorn, das Öffnen auf einen neuen Horizont hin. Der Papst hat – ganz auf seiner Linie, zu den grundlegenden Punkten zurückzukehren – das Thema der Wahrheitssuche als gemeinsamen Nenner vorgegeben, und dadurch konnte er eben ehrliche Sucher der Wahrheit nach Assisi einladen, auch wenn sie an keinen Gott glauben."

Ein „sehr wichtiges Element", findet Pater Lombardi: Dadurch sei einerseits spürbar geworden, „welche Gemeinschaft es schon gibt zwischen denen, die sich auf einen personalen Gott beziehen". Andererseits aber habe es „auch denen das Kommen leicht gemacht, die ehrlich die Wahrheit suchen".

„Das war eine außerordentlich schöne Botschaft – eine Fortschreibung auch des Themas Vorhof der Völker, das der Papst zuvor lanciert hatte und das jetzt mit Engagement auch in der Kirche vorangetragen wird. Wenn wir hier einmal nicht nur auf die Termine des Papstes schauen, sondern auch auf die kirchlichen allgemein, dann sehen wir, dass das Thema des Vorhofs der Völker mitsamt seinen Events einer der wichtigen Momente im Leben der Kirche 2011 war. In diesen Zusammenhang gehören natürlich auch wichtige ökumenische und interreligiöse Begegnungen des Papstes in diesem Jahr: mit den Lutheranern in Deutschland, wo es um den Vorrang Gottes ging; oder mit den Behörden in Benin, wo der Papst das Thema interreligiöser Dialog sehr tiefgehend und direkt angesprochen hat."

„Viele glauben an eine Heiligsprechung Johannes Pauls II."

Vieles aus dem Jahr 2011 weist schon ins kommende Jahr voraus, so Pater Lombardi: Er meint vor allem das vom Papst für nächsten Herbst angesetzte Jahr des Glaubens. Oder die ebenfalls im Herbst stattfindende Bischofssynode zum Thema Neuevangelisierung. Oder die Messe, die Benedikt XVI. zu Monatsbeginn für Lateinamerika gefeiert hat: Vorgriff auf seine zweite große Lateinamerika-Reise, die ihn im Frühjahr nach Mexiko und Kuba führen wird.

Zur Bilanz 2011 gehört ansonsten auch der 1. Mai des Jahres: Da sprach Benedikt seinen Vorgänger Johannes Paul II. selig, eine Premiere in der neueren Kirchengeschichte.

„Johannes Paul II. erweist sich wirklich als lebendig und präsent auf dem Weg der Kirche. Das fühlen und erleben viele, viele Gläubige spontan, und sie kommen ihn dann auch symbolisch besuchen an seinem Grab in Sankt Peter… das ist eine Sache, die weitergeht. Die Seligsprechung Johannes Pauls war kein Endpunkt, sondern gewissermaßen nur eine Etappe auf einem Weg: Viele schauen schon nach vorne auf die Heiligsprechung, von der sie natürlich glauben, dass es dazu kommen wird!"

„Wir warten auf den dritten Band des Jesus-Buchs"

Benedikt XVI. habe sich im ablaufenden Jahr erneut „als nicht nur theologischer, sondern auch spiritueller Lehrer" erwiesen, urteilt Vatikansprecher Lombardi.

„Er hat auch einen weiteren Schritt nach vorn gemacht in diesem großen Werk über Jesus, das er uns hinterlassen will und das ein wenig das Testament seiner Liebe zu Christus ist, seiner persönlichen Suche nach dem Antlitz Jesu. Das Buch, das dieses Jahr von Benedikt XVI. erschien, beschäftigt sich mit Jesu Leiden und Auferstehung – offensichtlich der zentrale Band des großen Werks. Wir warten jetzt noch auf den dritten, den über die Kindheit Jesu, als Ergänzung dieser tiefgehenden Jesus-Darstellung für uns heute."

Alles in allem – ein wichtiges Pontifikats-Jahr, dieses 2011. Und eines in einem etwas ruhigeren Fahrwasser.

„Frühere Jahre waren schon etwas durchschüttelt von Krisen- oder Spannungsphänomenen. Dieses Jahr hingegen war sehr schön und positiv – mit großen Botschaften, die uns nach vorne schauen lassen." (rv)