Libyen: „Gaddafi nicht in Kirche versteckt“

Die Nato hat auch in der letzten Nacht wieder Bomben auf Tripolis abgeworfen – wie in den zwei Nächten zuvor. Der Bischofsvikar von Tripolis, der der Nato-Operation sehr kritisch gegenübersteht, hofft, dass Kirchen und kirchliche Einrichtungen nicht getroffen werden. Bischof Giovanni Martinelli ist aufgeschreckt über eine – wie er sagt – Falschmeldung in einer italienischen Zeitung, durch die jetzt ausgerechnet die Kirche in Tripolis ins Nato-Fadenkreuz geraten könnte.

„Ich dementiere, was eine italienische Zeitung am Mittwoch geschrieben hat, nämlich: Gaddafi sei in einer Kirche versteckt – das sei ein Verdacht diplomatischer Kreise in Italien und Russland. Gaddafi halte sich in einem Raum unter einer katholischen Kirche in Tripolis auf. Dem widerspreche ich in aller Entschiedenheit! Als Franziskaner wäre ich sehr zufrieden, wenn ich ihm in einer Kirche Aufnahme gewähren könnte, aber er ist absolut nie gekommen, er hat uns nie um Gastfreundschaft gebeten, und diese Hypothese ist auch gefährlich und schädlich für uns!"

Der Italiener Martinelli ist seit 1985 Bischofsvikar in der libyschen Hauptstadt. Von Anfang an hat er sich gegen die Nato-Operationen ausgesprochen. Er sieht das wie der italienische Friedensbischof Giovanni Giudici, der die italienische Sparte der katholischen Friedensbewegung Pax Christi leitet:

„Was die Ineffizienz eines Krieges betrifft, was die Tatsache betrifft, dass ein Krieg große Probleme schafft und Wunden schlägt, die so schnell nicht verheilen, kann man den Libyen-Einsatz durchaus mit dem Irakkrieg vergleichen. Hier sieht man, dass nicht nur Menschen sterben, sondern auch auf lange Sicht Ungleichgewichte entstehen, dass das Zusammenleben der Menschen schwierig wird, dass die Entwicklung eines Landes blockiert wird!"

Die Nato-Mitgliedsstaaten haben am Mittwoch abgelehnt, mehr militärische Kräfte für den Libyen-Einsatz bereitzustellen. Mit der entsprechenden Forderung konnte sich Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beim Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel nicht durchsetzen. Darum entdeckt er jetzt den politischen Prozess wieder:

„Wir haben den Boden für eine politische Lösung bereitet, indem wir Herrn Gaddafi und seinen Anhängern klargemacht haben, dass Gewalt und Unterdrückung keine Zukunft haben. Alle Minister waren sich einig, dass wir den Druck aufrechterhalten werden, solange es braucht, um diese Krise zu einem baldigen Ende zu bringen!"

Es ist allerdings nicht die Nato, die einen politischen Prozess in Gang zu bringen versucht, sondern die Afrikanische Union und die UNO. Der UNO-Sondergesandte Abdelilah al-Khatib spricht, während die Nato weiter ihre Bomben wirft, mit Vertretern des Gaddafi-Regimes. UNO-Sprecher Martin Nesirky:

„Er fordert sie dazu auf, der UNO ihre Vorstellungen über eine Übergangsphase mitzuteilen, damit dann ein politischer Prozess in Gang kommt, der den legitimen Wünschen des libyschen Volkes entspricht. Heute diskutiert al-Chatib dieses Thema in Bengasi mit dem Leiter des Nationalen Rates. Das Ziel ist herauszufinden, wie man den streitenden Parteien in Libyen dabei helfen kann, sich auf einen Übergang und einen Prozess zu verständigen, so dass die Kämpfe im Land beendet werden."

Der Chef-Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag erklärte an diesem Donnerstag, Gaddafi habe seinen Soldaten Massen-Vergewaltigungen befohlen und dazu u.a. Viagra verteilen lassen. Es gebe „mehrere Beweise" für eine systematische Vergewaltigungs-Politik des libyschen Regimes, so Luis Moreno-Ocampo in New York. Das Den Haager Gericht wird bald entscheiden, ob es gegen Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anklage erhebt. (rv)