Papst: Kollegialität gehört ins Kirchenrecht

Das Kirchenrecht muss sich permanent dem Kirchenbild anpassen, das sich durch das Zweite Vatikanische Konzil weiterentwickelt hat. Das schreibt Papst Franziskus in einem Brief zur Hundertjahrfeier des ersten Kodex des Kirchenrechts. Mit einem Zitat seines Vorgängers Benedikt XVI. schreibt Franziskus, nach dem Konzil habe es einen Übergang gegeben von einer Ekklesiologie – also Lehre von der Kirche –, die von Kirchenrecht geformt wurde, zu einem Kirchenrecht, das an die Ekklesiologie angepasst werde. Es sei „nötig, dass das Kirchenrecht immer der konziliaren Ekklesiologie entspricht“.

Franziskus schreibt von seiner Hoffnung, dass das Kirchenrecht zu einem „Werkzeug“ werde, um eine „langfristige Rezeption“ des Zweiten Vatikanischen Konzils zu erleichtern. Wichtig seien ihm dabei die Punkte „Kollegialität, Synodalität, mehr Verantwortung für die Ortskirchen und Mitverantwortung aller Christgläubigen für die Mission der Kirche“.

Der erste Kodex des Kirchenrechts wurde im Mai 1917 vom damaligen Papst Pius X. in Kraft gesetzt. (rv)

Kinderschutz und Prävention: „Das ist und bleibt Chefsache“

Prävention und Hinschauen im Feld von sexueller Gewalt sind kein Selbstläufer, es braucht weiter Anstrengungen, das präsent zu halten: Bischof Stephan Ackermann spricht zum Abschluss des Kongresses zum Thema Kinderschutz im Internet über die Herausforderungen im Alltag der Kirche heute.

Papst Franziskus hatte in seiner Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses an der Päpstlichen Universität Gregoriana rhetorisch gefragt, ob die Kirche „in diesen Jahren denn nicht zu Genüge gelernt (hat), dass das Verstecken der Realität von sexuellen Missbräuchen ein äußerst schwerwiegender Fehler und Ursache vieler Übel ist?“. Pater Bernd Hagenkord hat Bischof Ackermann diese Frage weiter gegeben: Hat die Kirche genügend gelernt?

Ackermann: „Wir haben eine große Lerngeschichte hinter uns, das kann man in jedem Fall sagen wenn man auf die letzten sieben Jahre zurück schaut. Aber meine Erfahrung ist auch, dass die Fragen von Prävention und vom Hinschauen bei sexueller Gewalt kein Selbstläufer ist. Es gibt da Ermüdungserscheinungen, damit sinkt die Achtsamkeit ab. Diese Gefahr besteht und insofern ist die Frage des Papstes eine Frage der Gewissenserforschung, die Gefahr bleibt, dass wir etwas nicht wahrhaben wollen und nicht hinschauen.“

RV: Beim Kongress ging es um Kinderschutz im Internet, war das bisher in Ihrer Arbeit schon ein großes Thema?

Ackermann: „Natürlich war das schon Thema, aber nicht in der Breite, wie wir sonst auf das Thema sexualisierte Gewalt geschaut haben. Aber ich bin auch ganz bewusst zu diesem Kongress gekommen, damit man uns nicht vorwerfen kann, dass wir uns sechs, sieben Jahre lang vor allem mit dem Blick zurück beschäftigt haben, also mit der Aufarbeitung so wichtig die ist und weiter gehen muss, darüber aber die aktuellen Gefahrenpotentiale vergessen hätten.“

RV: Es sind bald acht Jahre, dass wir im deutschsprachigen Raum diese Debatte um sexualisierte Gewalt führen, wenn Sie nun auf dieser Erfahrung aufbauend in die Zukunft schauen, was sind die nächsten Herausforderungen, die sich stellen?

Ackermann: „Das ganze Feld bewegt sich ja weiter, kirchlich, aber auch außerhalb der Kirche. Es gibt neue Erkenntnisse, auch in der Wissenschaft, etwa was den Umgang mit Betroffenen angeht. Man kann nicht sagen, dass alles klar sei und wir einen Standard erreicht hätten, bei dem wir jetzt bleiben. Das ist eine permanente Weiterentwicklung. Eine Herausforderung besteht also darin, dabei zu bleiben und zu sehen, dass die Arbeit hier weiter geht.

Es gibt aber auch neue Felder, auf die wir schauen, ich nenne als Beispiel die Flüchtlingsarbeit. Viele sind in der Flüchtlingsarbeit aktiv und melden zurück, wie viele Kinder und Frauen sexuelle Gewalt erlitten haben und traumatisiert wird. Wir müssen auch das in den Blick nehmen. Das ist ein Feld, dass wir 2010 noch gar nicht im Blick gehabt haben. Hier geht es weniger um Missbrauch, der innerhalb der Kirche geschieht, als vielmehr darum, wo kirchliche Akteure Verantwortung wahrnehmen und jetzt achtsam sind auf diese Problematik.

Und dann geht es immer auch darum, die Achtsamkeit präsent zu halten, damit das nicht geschieht, was ich eben gesagt habe, nämlich dass die Aufmerksamkeit irgendwie wieder absinkt. Es ist eine Erfahrung, die mich erschrickt, die aber auf der anderen Seite nicht erstaunlich ist, weil neue Personen Verantwortung übernehmen. Die müssen sich erst einmal mit diesem Feld beschäftigen. Diejenigen, die die letzten Jahre mitbekommen haben und in Verantwortung waren, die wissen darum. Aber ich kann nicht voraussetzen, dass das einmal da ist und dann bleibt. Es muss immer wieder neu informiert werden und das ist eine dicke Herausforderung: die Präventionsarbeit auf Dauer zu stellen.“

RV: In der Kirche waren die mit Missbrauch befassten etwa in der Personalführung ganz zentral eingebunden. Ist das immer noch der Fall? Ist das immer noch ganz klar Teil der kirchlichen Personalpolitik? Oder sinkt auch das mittlerweile ab?

Ackermann: „Das braucht permanente Anstrengung, zu sagen ‚Das ist und bleibt Chefsache‘. Daran liegt es wesentlich, dass auch diejenigen, die auf diesem Feld aktiv sind wissen, dass das ganz klar gewollt ist und eine hohe Priorität hat. Aber ich sage ehrlich, dass das Anstrengung braucht. Und ich sehe auch die Gefahr, dass Dinge wieder absinken, weil man sie für normal und eingegliedert hält.“

RV: Das heißt, dass die rhetorische Frage des Papstes durchaus auch als Warnung gemeint ist.

Ackermann: „Genau, das würde ich auch sagen. Damit ist das Ausrufungszeichen gegeben, das auch in Zukunft zu realisieren. Damit hat er die Gefahr ausgedrückt, dass das wieder in den Hintergrund rückt, und damit wächst dann auch wieder die Gefahr, dass Missbrauch geschieht.“

Der Trierer Bischof Ackermann ist der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen. (rv)

Vatikan: Welche Aufgaben hat Kardinal Burke bei Gericht?

Die Berufung von Kardinal Raymond L. Burke an die Apostolische Signatur hat die Frage aufgeworfen, worin die Arbeit der Mitglieder dieses höchsten Kirchengerichts besteht. Der US-amerikanische Kardinal, dem auch Kritiker hohe Kompetenz im Kirchenrecht bescheinigen, hatte bis 2014 als Präfekt der Signatur gewirkt, ehe Papst Franziskus ihn zum Kardinalpatron des Malteserordens bestimmte. Nun holte Franziskus den Kardinal zurück an das Gericht, allerdings nicht als Leiter, sondern als Mitglied. Burke gilt als traditionsverbunden. Zusammen mit drei weiteren Kardinälen hatte er dem Papst in einem Brief seine Zweifel – „dubia“ – über den von Franziskus eingeschlagenen Kurs in moraltheologischen Fragen unterbreitet; Franziskus hat dieses Schreiben der vier Kardinäle nicht beantwortet.

Die Apostolische Signatur steht an der Spitze der Gerichtsbarkeit in der katholischen Weltkirche. Die Mitglieder – etwa 18 an der Zahl – sind zugleich Richter. Franziskus ernannte zusammen mit Burke noch vier weitere neue Mitglieder des Gerichts.

Geleitet wird die Apostolische Signatur vom Präfekten, der jeweils ein Kardinal ist und das ganze Jahr über anwesend sein muss. Anders die Mitglieder: Sie sind Kardinäle oder Bischöfe aus der ganzen Weltkirche, die drei- bis viermal pro Jahr zu Richterkollegien am Sitz des Tribunals in Rom zusammenkommen und dabei gemeinsam Urteile fällen. Außerdem treffen sich alle Angehörigen der Signatur zur Vollversammlung, wenn Grundsatzfragen zur kirchlichen Rechtspflege auf Weltebene zu klären sind. Dies ist nicht oft der Fall: Die letzte Vollversammlung an der Signatur war im Februar 2011 und erörterte die Rolle des Ehebandverteidigers im Ehenichtigkeitsprozess.

Wie arbeiten die Richter der Signatur?

Die Richter der Signatur erhalten die Akten der einzelnen Fälle nach Hause zugestellt, wo sie sie studieren und sich ihre Meinung bilden. Das Urteil fällen die Richter gemeinsam im Kollegium, normalerweise zu fünft. Die verhandelten Streitsachen betreffen beispielsweise Nichtigkeitsbeschwerden gegen Urteile oder endgültige Dekrete der Römischen Rota, des päpstlichen Berufungsgerichts für die gesamte Weltkirche. Darüber hinaus fungiert die Signatur als Verwaltungsgerichtshof, die Richter entscheiden also über Beschwerden gegen Verwaltungsakte im Bereich des Heiligen Stuhls.

Nicht befasst ist die Signatur mit Einzelverfahren zur Ehenichtigkeit. Die Frage nach dem Umgang mit Gläubigen, die nach gescheiterten, aber gültigen katholischen Ehen ein zweites Mal zivil heiraten, berührt einen sensiblen Punkt in der katholischen Kirche. Papst Franziskus hatte in seinem nachsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“ die Möglichkeit eröffnet, solche Menschen im Einzelfall nach einer gewissenhaften Prüfung wieder zum Empfang der Kommunion zuzulassen. Konservative Kräfte, unter ihnen Kardinal Burke, verwerfen eine solche Möglichkeit mit Verweis auf die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe. Unbenommen bleibt aber die Möglichkeit, die Gültigkeit der Ehe zu prüfen.

Verfahren zur Ehenichtigkeit sind Aufgabe der Rota, nicht der Signatur

Wenn eine sakramental geschlossene katholische Ehe scheitert, haben die Partner ein Anrecht darauf, die Gültigkeit ihrer Ehe gerichtlich prüfen zu lassen. Sollte sich dabei herausstellen, dass die Ehe von Anfang an nicht gültig zustande kam, gilt sie als nichtig, das heißt, sie hat nach katholischer Auffassung vor Gott nie bestanden. In einem solchen Fall können der Mann und die Frau mit anderen Partnern eine neue kirchliche Ehe eingehen und sind in einer regulären Situation.

Anders verhält es sich mit katholischen Gläubigen, deren erste Ehe scheitert und zivil geschieden wird, kirchlich aber gültig ist. Eine zweite Heirat kann dann nur standesamtlich erfolgen und gilt nicht vor der Kirche. Dieser Gruppe von Gläubigen, den sogenannten „wiederverheirateten Geschiedenen“, galt ein beträchtlicher Teil der Arbeit bei den beiden Familien-Bischofssynoden. Die Ergebnisse dieser weltkirchlichen Beratungen flossen in das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ ein.

Ehenichtigkeitsprozesse beginnen am jeweils zuständigen diözesanen oder interdiözesanen Gericht. Gegen das dort gefällte Urteil können die Eheleute Berufung einlegen, und zwar am örtlichen Berufungsgericht oder an der Römischen Rota. Sollte das zweite Urteil nicht gleichlautend mit dem ersten sein, besteht noch die Möglichkeit der Berufung an der Römischen Rota, die dann in dritter Instanz entscheidet. (rv)