Papst schaltet sich schlichtend in Malteser-Streit ein

Papst Franziskus schaltet sich in den Streit im Malteserorden ein. Eine Gruppe von fünf angesehenen Maltesern soll objektive Informationen über die jüngst verkündete Entlassung des Großkanzlers sammeln und sie zur Entscheidungsfindung „in kurzer Zeit“ dem Heiligen Stuhl zukommen lassen. Das gab der vatikanische Pressesaal am Donnerstag bekannt. Der Großkanzler des Ordens, der Deutsche Albrecht von Boeselager, war jüngst von der Ordensspitzen aus dem Amt entlassen worden, hält diesen Schritt aber für ungerechtfertigt und widerrechtlich. Die fünf Männer, die der vom Papst eingerichteten Gruppe angehören, sind Vatikan-Erzbischof Silvano Maria Tomasi, der Jesuit und frühere Rektor der päpstlichen Gregoriana-Universität Gianfranco Ghirlanda, der frühere Malteser-Großkanzler Jacques de Liedekerke, der deutsch-französische Finanzfachmann Marc Odendall und der Präsident der Malteser im Libanon, Marwan Sehnaoui.

(rv 22.12.2016 gs)

Kardinal Kasper: „Amoris Laetitia ist klar“

Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper hat sich zum Brief der vier Kardinäle an den Papst geäußert. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte der frühere Präsident des päpstlichen Einheitsrates, aus seiner Sicht sei Franziskus’ Schreiben Amoris Laetitia klar. Vier Kardinäle, darunter die Deutschen Meisner und Brandmüller, hatten dem Papst gegenüber schriftlich „dubia“, Zweifel zu Amoris Laetitia unterbreitet.

„Natürlich kann jeder dem Papst Zweifel und Fragen vorlegen – jeder Kardinal kann das tun. Ob das eine gute Idee war, das öffentlich zu machen, ist eine ganz andere Frage, das würde ich bezweifeln. Meiner Meinung nach ist das Apostolische Schreiben klar; es gibt ja nachträglich auch Erklärungen des Papstes selber, etwa den Brief an die argentinischen Bischöfe, oder auch Erklärungen des Kardinalvikars von Rom. Dort wird klargemacht, was der Papst meint und wie er es versteht. Es haben andere gezeigt, dass da kein Widerspruch zu den Aussagen von Johannes Paul II. besteht, sondern eine homogene Entwicklung. Das ist meine Position, so sehe ich das. Insofern bestehen für mich diese dubia, diese Zweifel nicht.“

Im Brief der vier Kardinäle geht es etwa um die Frage, ob nun wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen zu den Sakramenten gehen dürfen oder nicht. Kasper:

„Ich hoffe, dass wir daraus jetzt keine Spaltungen und Feindschaften ableiten, sondern dass man in einer vernünftigen Weise darüber spricht und die Argumente darlegt. Ich denke, der Papst hat das Nötige für die Klarheit getan, und ich verstehe auch nicht den Vorwurf, dass da Unklarheiten vorhanden seien. Es ist eine gewisse Entwicklung, aber die kann legitim sein; das hat ja auch Benedikt XVI. in seiner berühmten Rede zur Hermeneutik des Konzils ganz klar herausgestellt.“ (rv)

Papst an Kurie: „Kein Fitnessraum für verborgenen Ehrgeiz“

Papst FranziskusZwölf Kriterien der Kurienreform: Papst Franziskus hat an diesem Donnerstag in seiner Weihnachtsansprache an seine höheren Mitarbeiter die Reform der Kurie zum Thema gemacht. Er sprach über Widerstände und deren Notwendigkeit und über bereits gemachte Schritte der Reform.

Der Papst begann dem Anlass gemäß mit der Betrachtung des Weihnachtsgeheimnisses. Es stelle die menschlichen Werte auf den Kopf, zitierte er den Theologen Romano Guardini. Dass die Allmacht klein werde, sei mit menschlicher Logik nicht nachzuvollziehen. Die „liebende Demut Gottes“ zeige sich als göttliche Logik, er habe klein geboren werden wollen, weil er Liebe wollte. „Und so ist die Logik des Weihnachtsfestes die Umkehrung der Logik der Welt, der Logik der Macht, der Logik des Kommandierens, der Logik der Pharisäer.”

Aus diesem Grund, so der Papst, habe er wieder die Reform der römischen Kurie zum Thema der Ansprache gewählt. Er gliederte seine Überlegungen in drei Abschnitte: Worum geht es bei der Reform, welche Kritieren braucht sie, um zu gelingen, und welche Schritte sind bereits getan. „Mir ist an dieser Stelle die antike Weisheit eingefallen … das De-formierte re-formieren, das Re-formierte kon-formieren, das Kon-formierte bestätigen und das Bestätigte trans-formieren“ (deformata reformare, reformata conformare, conformata confirmare e confirmata transformare).

Der zweifache Sinn der Re-Form

Reform und konform: mit diesen zwei Worten umriss der Papst die beiden Dimensionen der Kurienreform. „Konform“ der Frohen Botschaft, die freudig und mutig allen, vor allem den Armen, verkündet werden müsse. „Konform“ aber auch den Zeichen der Zeit, „um besser den Bedürfnissen der Frauen und Männer begegnen zu können, denen zu dienen wir gesandt sind.”

Konform aber auch zum Zweck der Kurie, nämlich zur Mitarbeit am Dienst des Nachfolgers Petri „in der Ausübung seiner einen, höchsten, vollen, unmittelbaren und universalen ordentlichen Autorität.“

Weil auch die Kurie kein unbeweglicher Apparat sei, sei auch die Reform Zeichen der Lebendigkeit der pilgernden Kirche. „Wir müssen klar bekräftigen, dass die Reform nicht um ihrer selbst willen geschieht, sondern ein Prozess des Wachsens und vor allem der Bekehrung ist. Die Reform hat keinen ästhetischen Sinn, als ob sie die Kurie schöner machen wolle. Man kann sie nicht als eine Art ‚Lifting’ sehen, als ‚Make-up’ oder als Schminke, um den alten Körper der Kurie zu verschönern. Sie ist auch keine Schönheitsoperation, um Falten zu entfernen. Liebe Brüder, nicht die Falten der Kirche müssen wir fürchten, sondern den Schmutz.“ Deswegen könne eine Reform nur dann gelingen, wenn sie mit erneuerten, nicht mit neuen Menschen geschehe.

„Es reicht nicht, sich mit dem Auswechseln von Personal zufrieden zu geben, sondern es ist nötig, dass sich die Mitglieder der Kurie geistlich, menschlich und professionell erneuern. Die Reform der Kurie erschöpft sich überhaupt nicht darin, Menschen auszuwechseln – auch wenn dieses geschehen ist und geschehen wird – sondern nur in der Bekehrung der Menschen. Es braucht nicht nur eine stetige Weiterbildung, sondern auch und vor allem eine stetige Bekehrung und Reinigung. Ohne eine Verwandlung der Mentalität bleibt jede praktische Anstrengung hohl.“

Offener, verdeckter und böswilliger Widerstand

An dieser Stelle griff der Papst seine beiden letzten Weihnachtsansprachen an die Kurie auf: 2014 hatte er, was für anhaltende Debatten sorgte, 15 Kurienkrankheiten aufgezählt, im Jahr darauf einen Katalog der notwendigen Tugenden präsentiert.

„Es war notwendig, von Krankheiten und Heilung zu sprechen, weil jeder Operation, damit sie erfolgreich sein kann, eine Diagnose vorangeht, eine akkurate Analyse, und sie muss von präzisen Vorschriften begleitet und gefolgt werden.“

Dass es Widerstände gegen die Reform gibt, sei etwas Gutes, ein Zeichen der Lebendigkeit, fuhr der Papst fort. Widerstand müsse angehört und ermutigt werden, sich auszudrücken. So gebe es offenen Widerstand, der oft gutem Willen und dem Wunsch nach Dialog entspringe. Franziskus sprach aber auch von verdecktem Widerstand an der Kurie; der rühre von verängstigten oder versteinerten Herzen her und nähre sich „von den leeren Worten der Einstellung ‚es muss sich alles ändern, damit alles bleibt wie es ist’“ [Gattopardismo nennt es der Papst, nach einem italienischen Roman].

Drittens, so der Papst in gewohnter Offenheit, gebe es auch böswilligen Widerstand an der Kurie. „Dieser letzte Typus Widerstand versteckt sich hinter Worten der Rechtfertigung und in vielen Fällen der Anklage, er flieht in die Tradition, in den Schein, die Formalität, das Altbekannte, oder will alles auf die persönliche Ebene bringen, ohne zwischen Akt, Akteur und Aktion zu unterscheiden.“

Das alles besage, dass die Reform der Kurie ein „empfindlicher Prozess“ sei, „der gelebt werden muss mit Treue zum Wesentlichen, in andauernder Unterscheidung, mit dem Mut des Evangeliums, mit kirchlicher Weisheit, mit aufmerksamen Hören, mit hartnäckigem Handeln, mit positiver Stille, mit festen Entscheidungen, mit viel Gebet, mit tiefer Demut, mit klarem Weitblick, mit konkreten Schritten voran und wenn es sein muss auch zurück, mit festem Wille, mit aufgeweckter Lebendigkeit, mit verantwortlicher Autorität, mit unbedingtem Gehorsam, aber vor allem mit dem sich selber der Führung durch den Heiligen Geist anvertrauen.“

Zweiter Teil: Konkrete Kriterien

Wie diese gelebte Reform konkret aussehen müsse, dem wandte sich der Papst im zweiten Teil seiner Ansprache zu. Er nannte zwölf Kriterien, das erste davon: die persönliche Bekehrung. Ohne diese seien alle Änderungen in der Struktur unnütz, so der Papst.

An zweiter Stelle nannte er die „pastorale Bekehrung“, „die Aufgaben aller Mitarbeiter der Kurie muss von einer pastoralen Ausrichtung und einer Spiritualität des Dienstes und der Gemeinschaft getragen sein, denn das ist das Gegenmittel zu allem Gift von leerem Ehrgeiz oder trügerischer Rivalität.“

Die Kurie dürfe keine Bürokratie sein, rein „kanonistisch und ritualistisch, kein Fitnessraum für verborgenen Ehrgeiz“, zitierte er Papst Paul VI.

Drittens nannte der Papst die missionarische Ausrichtung. Ohne Treue zur Sendung der Kirche verderbe jede neue Struktur innerhalb kürzester Zeit.

Zwei Kriterien befassen sich mit den einzelnen Abteilungen der Kurie und deren Verhältnis zueinander. So nannte der Papst an vierter Stelle das Kriterium der Rationalität. Hierbei ging es Franziskus um die jeweiligen Kompetenzen der einzelnen Abteilungen der Kurie: keine dürfe die Kompetenz einer anderen an sich ziehen.

Fünftens sprach er unter der Überschrift der Funktionalität über das Zusammenlegen von einzelnen Abteilungen, er nannte auch eine „stetige Revision“ der Rollen, der Kompetenzen und der Verantwortung der Mitarbeiter.

An sechster Stelle führte der Papst das „Aggiornamento“ (Verheutigung, Anm.) an sowie die „Zeichen der Zeit“, beides Begriffe aus den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils. „sorgen wir schleunigst dafür, dass die Dikasterien der römischen Kurie den Situationen unserer Zeit angeglichen sind und sich an die Notwendigkeiten der universalen Kirche anpassen.“

Einfachheit, Subsidiarität, Synodalität

Das Kriterium der Einfachheit stand an siebter Stelle, noch einmal konkret auf die Abteilungen eingehend sagte der Papst: „In dieser Hinsicht ist eine Vereinfachung und Verschlankung der Kurie notwendig.“ Er nannte unter den möglichen Konsequenzen Zusammenlegungen oder auch Verkleinerungen der Zahl der Kommissionen, Akademien, Räten etc.

An achter Stelle stand das Kriterium der Subsidiarität, Entscheidungen sollen immer auf möglichst tiefer Ebene getroffen werden, nur wenn allgemeinere Angelegenheiten oder weitere Konsequenzen der Entscheidung anstehen, soll die nächst höhere Ebene befasst werden. Das gelte auch für das Staatssekretariat, das im Vatikan für die Koordination der verschiedenen Abteilungen zuständig sei.

Neuntens nannte der Papst das Kriterium der Synodalität, das ihm auch während der Versammlungen der Bischofssynoden wichtig war. „Die Arbeit der Kurie muss synodal sein: gewohnheitsmäßige Versammlungen der Leiter der Dikasterien, denen der Papst vorsteht, regelmäßige Audienzen für die Leiter und Dikasterien-übergreifende Versammlungen. Die Synodalität muss auch im Inneren jedes Dikasteriums gelebt werden.“

Katholizität stand an zehnter Stelle, die Kurie müsse die Globalität der Kirche widerspiegeln. Nicht nur die Verschiedenheit der Kulturen und Sprachen gehöre dazu, sondern auch das Miteinander von Klerus und Gottesvolk. „Es ist angebracht, eine größere Zahl von Laien vor allem in den Dikasterien anzustellen, wo sie kompetenter sind als Kleriker oder Ordensleute. Von großer Bedeutung ist darüber hinaus die Wertschätzung der Rolle der Frau und der Laien im Leben der Kirche und ihre Einbeziehung in Leitungspositionen in Dikasterien.“

Das elfte Kriterium war die Professionalität, dazu brauche es eine ständige Weiterbildung des Personals, „um zu vermeiden, dass man ‚rostet’ und in die Routine des Funktionalismus fällt.“

Letztes Kriterium auf der Liste des Papstes war die Gradualität. Damit griff er den Begriff der „geistlichen Unterscheidung“ auf, „der einen Prozess bedeutet, ein ‚Abtasten’ der Zeitpunkte und Schritte, ein Überprüfen, eine Korrektur, ein Ausprobieren, ein Einrichten ad experimentum [zur Probe]. In diesen Fällen ist das keine Unentschiedenheit, sondern eine notwendige Flexibilität, um zu einer wirklichen Reform zu kommen.“

Was schon umgesetzt wurde

Im letzten Teil seiner Ansprache zählte der Papst die Schritte der Kurienreform auf, die schon getan wurden. Die Einrichtung des Kardinalsrates „K9“ war darunter, die Reform der so genannten Vatikanbank IOR und der Finanzaufsicht im Vatikan, die Kommission zum Kinderschutz und nicht zuletzt die Einrichtung von vier neuen Dikasterien: die Sekretariate für Wirtschaft und für Kommunikation sowie zwei Behörden, die durch Zusammenlegung entstanden: das Dikasterium für Laien, Familie und Leben und das Dikasterium für die Nachhaltige Entwicklung des Menschen.

Begonnen habe er seine Ansprache mit dem Gedanken, dass das Weihnachtsfest die menschlichen Kriterien auf den Kopf gestellt habe, „um klarzustellen, dass das Herz der Reform Christus ist.“ Er wolle zum Abschluss noch einmal sagen, dass Weihnachten das Fest der „liebenden Demut Gottes“ sei. „Danke, ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr 2017!“ (rv)

Der Kardinal: Teil des Päpstlichen Leibes

Von Ulrich Nersinger / VATICAN Magazin. Überlegungen und Anfragen zu einer kirchlichen Institution – Ein Kommentar von Ulrich Nersinger.

Die Kardinäle der katholischen Kirche sind immer noch etwas ganz Besonderes. Jetzt ist Unruhe in diesen erlauchten Kreis gekommen. Vier Purpurträger haben „Zweifel“ an dem nachsynodalen Schreiben Amoris Laetitia geäußert und den entsprechenden Brief an Franziskus veröffentlicht, nachdem sie vom Papst keine Antwort erhalten hatten. Dafür wurden sie aus dem Kardinalskollegium attackiert, aber auch verteidigt. Ein Grund, nochmals zu fragen, was Kardinäle eigentlich sind.

Cardinales creantur… Kardinäle werden nicht ernannt, gewählt oder geweiht. Sie werden kreiert, geschaffen, und zwar allein durch eine Willensbekundung des Papstes. So ist ihre Stellung in der Kirche zwar einzigartig, mit höchsten Ehren und dem Privileg der Papstwahl ausgestattet, aber dennoch nur begrenzt eigenbestimmt. Und verlierbar.

Besuch aus Aachen im Vatikan

In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, gegen Ende des Pontifikats Papst Pauls VI. (1963–1978), waren zwei Schüler und der Direktor des Heilig-Geist-Gymnasiums in Broichweiden bei Aachen im Vatikan zu Besuch. Sie hatten dort in einem Palazzo, nicht weit entfernt vom alten Gästehospiz Santa Marta, auf bequemen, mit Damast bespannten Sesseln Platz genommen. Ihnen gegenüber saß in schwarzer Soutane, mit Ring und Brustkreuz, Sergio Pignedoli (1910–1980), der Präsident des vatikanischen Sekretariates für die Nichtchristen. Was die Kleidung des Geistlichen betraf, verriet nur ein Hauch von Scharlachrot, der sich unterhalb des Kollars zeigte, dass der Gastgeber im Rang eines Kardinals stand.

Seit dem Heiligen Jahr 1975 hatten die Gymnasiasten gemeinsam mit ihrem Direktor Fahrten in die Ewige Stadt organisiert. Jahr für Jahr kamen sie mit Mitschülern in der Osterwoche nach Rom, um hier die frühen Stätten der Christenheit zu erkunden und den Vatikan kennenzulernen. Dazu gehörten auch Besuche bei vatikanischen Einrichtungen: der Schweizergarde, Radio Vatikan, Kurienbehörden – und Kardinälen. Kardinal Pignedoli fragte seine Gäste, ob diesmal nur sie drei in Rom seien. Die Antwort lautete nein. Man habe Seiner Eminenz nur kurz die Aufwartung machen wollen. Die Gruppe besichtige die päpstlichen Museen und zwei Damen, die Schulsekretärin und eine Arbeitskraft (vulgo Putzfrau), würden am Glockenturm, einem Eingang zur Vatikanstadt, auf sie warten.

Der Kardinal stand auf, ging zum Telefon und sprach kurz mit den Wachtposten der Vigilanza (so nannte sich damals die Gendarmerie) und der Schweizergarde, die am Glockenturm Dienst taten. Nicht einmal zehn Minuten später befanden sich die beiden Damen im Palazzo des Kardinals, ein Glas Orangensaft in der Hand.

Für den folgenden Tag lud der Purpurträger die ganze, gut zwanzigköpfige Reisegruppe in seine Residenz. Die vier Ordenschwestern, die seinen Haushalt führten (welcher Skandal für die Pauperisten unserer Zeit!), hatten eine Kaffeetafel hergerichtet, die ihresgleichen suchte. Bei noch dampfendem Espresso, Mineralwasser con gas, frisch gepresstem Orangensaft und einem kühlen Tropfen aus den Albaner Bergen, bei allerlei Dolci, schmackhaften Tramezzini (Sandwichhappen) und großzügig bereitgestellten Zigaretten und Zigarillos (vom Direktor des Gymnasiums kritisch beäugt) hatte sich die recht große Besucherschar eingefunden. Der Kardinal unterhielt sich angeregt mit seinen Gästen – in gebrochenem Deutsch, perfekt auf Englisch und Französisch. Niemanden ließ er unbeachtet, für jeden gab es ein freundliches und interessiertes Wort. Seine Eminenz machte bella figura. Sein Auftreten war nicht eine Spur gekünstelt.

Noch heute prägt es die damaligen Besucher in ihrem Bild von einer Kirche, die in Traditionen und abendländischer Kultur wurzelt und von Offenheit und Menschenfreundlichkeit geprägt ist. Den einem Kardinal nach internationalen Gepflogenheiten zustehenden Rang eines „Prinzen königlichen Geblüts“ (die stets griesgrämig dreinblickenden Vertreter einer ecclesiastical correctness werden die Köpfe schütteln) verband Sergio Pignedoli durch eine zeitgemäße Aktualisierung mit natürlicher Liebenswürdigkeit zu einer beeindruckenden Symbiose.

„Weiter sehen, universeller lieben können“

Das Kardinalat erfährt heute nicht selten rein „ekklesiologisch-pastorale“ Deutungen. Papst Franziskus schrieb 2014 in einem Brief an neunzehn von ihm neu benannte Kardinäle:

„Lieber Bruder, die Kardinalswürde ist keine Beförderung, weder eine Ehre noch eine Zierde. Sie ist schlicht ein Dienst, der danach verlangt, den Blick zu weiten und das Herz zu öffnen. Und dieses Weiter-Sehen- und Universeller-Lieben-Können, mit größerer Intensität, kann man, obwohl das paradox scheint, nur erreichen, indem man dem Weg des Herrn folgt: den Weg des Sich-Kleinmachens und der Demut, wie ein Sklave zu werden (Phil 2,5-8). Deshalb bitte ich dich mit Nachdruck, diese Ernennung mit einem einfachen und demütigen Herzen zu empfangen. Und auch wenn du sie mit Wonne und Freude aufnehmen solltest, passe auf, dass dieses Gefühl weit entfernt ist von jedem Ausdruck der Weltlichkeit.“

Die Einbindung des Kardinalats in die politische und kulturelle Geschichte der Menschheit und sein Dialog mit und in der Welt scheint dem jetzigen Heiligen Vater kein mehr zu förderndes Charakteristikum seines Senats zu sein. In der Vergangenheit verband man die Dinge miteinander.

Kein Selbstzweck

Als Giovanni de’ Medici mit siebzehn Jahren Kardinal wurde, schärfte ihm sein Vater, der große Lorenzo il Magnifico, ein: „Steht früh auf, denn Euer Stand verpflichtet Euch, das Brevier zu beten und Empfänge zu geben.“ Der Respekt, die Ehren und das Zeremoniell, die einem Mitglied des Heiligen Kollegiums zukamen (und zukommen), waren ebenso wie das Auftreten eines Kardinals kein Selbstzweck. Reinhard Raffalt merkte in seinem Buch „Wohin steuert der Vatikan?“ an, dass die Anmut der Rede und der Schliff der Umgangsformen bei den Purpurträgern nicht Ausdruck der Hoffart waren. Er zitierte einen Ausspruch von Kardinal Valerio Valeri: „Die Ehren, die wir empfangen, geben uns die Möglichkeit, jene zu ehren, die sie uns entgegenbringen.“

Die Päpste haben das Recht, ihren Senat zu formen und zu reformieren. Das Heft des Handelns liegt in ihrer Verantwortung. Aber schließt ein solches Handeln nur das Jetzt ein? Muss nicht der Blick auch in die Vergangenheit gehen? In die Jahrhunderte, auf eine Vielzahl von Jahrhunderten gerichtet sein? Und verdient nicht auch das Kardinalat eine Akzeptanz der Plurialität der Tugenden und Charismen, als auf ein einziges Verhalten, nur eine Haltung begrenzt zu werden? Ein Ideal muss verinnerlicht sein. Was nützt es, bei Brustkreuzen (wenn man sie denn trägt) von Silber oder Gold zu Eisen oder Holz zu wechseln, aber unter der Soutane das Armgelenk mit einer Rollex zu schmücken? Was bringt es, der „Welt“ zu entsagen, aber dem Zeitgeist rekordverdächtig nachzulaufen und dies dann auch noch publik zu machen? Kardinäle haben Männer zu sein! Jeglichem Verlangen nach Genderismus zum Trotz und zur Beschämung. Wladimir d’Ormesson, langjähriger Botschafter Frankreichs beim Heiligen Stuhl, bekannte einmal zu Kardinal Eugene Tisserant (1884–1972): „Jedesmal, wenn ich in den vatikanischen Museen die Rüstung sah, die Papst Julius II. getragen hat, stellte ich mir vor, wie vortrefflich sich Eure Eminenz darin ausnehmen würde, das Banner der Kirche in gepanzerter Faust.“

Die Kreaturen des Papstes

In der römischen Antike, zur Zeit der Cäsaren, galten die Senatoren als pars corporis Imperatoris, als Teil des kaiserlichen Leibes. Ähnlich eng wurde später von Theologen und Rechtsgelehrten das Verhältnis der Kardinäle zum Papst gesehen; sie galten als pars corporis Papae, als Teil des päpstlichen Leibes (Cod. Just., IX, VIII, 5). Diese enge „organische“ Verbindung erklärt auch, warum die Kardinäle nicht ernannt, sondern kreiert werden – vom lateinischen creare (erschaffen).

Sie gelten als Kreaturen, Geschöpfe des Papstes, die allein dem Obersten Hirten und keinem anderen Souverän dienen und verantwortlich sind, nur ihm zugehören. Doch die Begrifflichkeit „Kreatur“ muss stets in ein christliches Verständnis eingebunden sein. So ist ein beseeltes Geschöpf mitnichten ein Spielzeug, keine willenlose Figur auf einem Schachbrett. Sie hat Persönlichkeit. „An der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf den Schöpfer schließen“, heißt es im Buch der Weisheit 13,5.

Noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde bei der Kreierung neuer Kardinäle ein eigenartig erscheinender Brauch geübt: die Schließung und Öffnung des Mundes. Zu dieser Zeremonie sprach der Papst die Worte: „Wir schließen Euch den Mund, so dass Ihr weder in den Konsistorien noch in den Kongregationen oder in anderen Funktionen, die zur Würde des Kardinalates gehören, Eure Meinung äußern könnt.“

Darauf vergingen einige Minuten und der Papst hielt eine kurze Ansprache, bei der er die neuen Purpurträger lobte. Dann sagte er: „Wir öffnen Euch den Mund, so dass Ihr in den Konsistorien, in den Kongregationen und in den anderen Funktionen, die zur Würde des Kardinalates gehören, Eure Meinung äußern könnt“. Das Schließen und Öffnen des Mundes war eine Erinnerung an die Probezeit, welche die Kardinäle früher als eine Art Noviziat bestehen mussten.

Als Papst Paul VI. im Jahre 1970 das aktive Wahlrecht der Kardinäle auf achtzig Lebensjahre begrenzte und damit den Senioren unter ihnen den Einzug ins Konklave verwehrte, begann man im Senat des Papstes zu murren. Die Kritik der Entmachteten blieb in der Öffentlichkeit verhalten. Die verbale und die direkte Auseinandersetzung mit dem Papst scheute das Kardinalskollegium in toto, eine Antwort auf die Beschneidung seiner traditionellem Vorrechte gab es ihm dennoch. Als im Jahre 1972 der Dekan des Kardinalskollegiums starb, galt es einen neuen zu wählen. Die Senatoren des Papstes entschieden sich für den 90-jährigen ehemaligen Kardinalstaatssekretär Cicognani. So kann auch, ohne ein einziges Wort zu verlieren, ein kraftvolles und eindeutiges Votum gegenüber dem Pontifex Maximus abgegeben werden.

Kardinäle haben das Recht, ja die Pflicht, zum Wohle des Papstes und der Kirche ihre Meinung kundzutun. Sie sollten dem in der Regel durch das gesprochene oder geschriebene Wort nachkommen. Und wenn es durch Bedeutung und Schwere des Anliegens geboten erscheint, suaviter in modo, fortiter in re – stark in der Sache, mild in der Methode, wie es in der Gesellschaft Jesu üblich ist. Kürzlich haben hochverdiente Mitglieder des Kardinalskollegiums dies beherzt. Mit Respekt vor der Person und dem Amt des Obersten Hirten der Kirche trugen sie dem Heiligen Vater ihre Sorgen vor. Sie wurden ihrem Auftrag als Berater des Papstes und Stützen des Petrusamtes gerecht.

Nichts an ihrem Vorgehen ist unbotmäßig, geschweige denn verwerflich oder „verbrecherisch“. In der kirchlichen Öffentlichkeit mussten sich die vier Purpurträger den Tiraden eines Kirchenrechtsprofessors aus der deutschen Provinz (eine bekannte katholische Journalistin sprach von „Giftzwergigkeit“), den untergriffigen „Mitteilungen“ eines dubiosen vatikanischen Twitteraccounts und den nicht minder dubiosen Interpretationen des kanonischen Rechts durch einen vatikanischen Höchstrichter aussetzen. Der Tenor der Angriffswelle schien nicht nur in Ansätzen jenem wütenden Geschrei zu gleichen, das zu Zeiten der Französischen Revolution zu Füßen der Guillotine zu vernehmen war. Zwar wurden noch nicht die Köpfe, wohl aber schon die Roten Hüte der vier Eminenzen gefordert. Man fragt sich, worüber mehr Verwunderung angesagt ist, über die Arroganz und Überheblichkeit der Angreifer, deren fundamentalem Verlust der Anständigkeit oder ihrem Mangel an fachlichem Wissen. Eines steht auf jeden Fall fest: Die Kardinäle erfreuen sich des privilegium canonis und des privilegium fori, wonach allein der Papst in Rechtsfragen und -angelegenheiten für sie zuständig ist.

Als ein Pontifex Maximus früherer Zeiten einmal einem Kardinal bei einem heftigen Streit den Verlust des Purpurs androhte, gab der pars corporis Papae mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme zu bedenken: „Man amputiert und verstümmelt sich nicht selbst“. Nur selten nahmen die Päpste Kardinälen den Roten Hut. Es mussten schon schwere Vergehen und Verbrechen sein, die sie dazu zwangen: Angriffe auf das depositum fidei der Kirche, Attentate auf Leib und Leben des Heiligen Vaters. Aber selbst in diesen Fällen geschah nicht selten – wenn die Betroffenen Einsicht in ihre Schuld und echte Reue gezeigt hatten – die Wiedereinsetzung in den früheren Stand. Noch nie sind Kardinäle, die in tiefer Sorge um das Seelenheil der Gläubigen vor den Papst traten, bestraft, ihrer Würde beraubt worden.

Eine Institution, deren Ursprung sich bis in die frühen Zeiten der Kirche zurückverfolgen lässt, verdient Respekt und mit Anstand behandelt zu werden. Vor allem ihre aktiven Mitglieder, egal ob sie nun das achtzigste Lebensjahr vollendet haben oder nicht. Es gilt, die katholische Freiheit eines Christenmenschen zu verteidigen und zu fördern. Jemanden mundtot zu machen, ist das Signum der Diktaturen. Und Proskriptions-Listen, die sollte man ganz in der heidnischen Antike hängen lassen.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung und Unterstützung von Vatican Magazin.

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