Pakistan: „Der Hass beginnt im Schulbuch“

PakistanIn Pakistan sind bei einem Bombenanschlag rund 40 Menschen ums Leben gekommen. Der Sprengsatz explodierte vor einer Klinik, wo sich Anwälte und Journalisten zu einer spontanen Trauerfeier für Bilal Anwar Kasi versammelt hatten. Der Anwalt Kasi, Chef der Rechtsanwälte-Vereinigung der Provinz Balutschistan, war kurz zuvor erschossen worden; die Hintergründe des Anschlags sind noch unklar, man vermutet Al Quaida dahinter. Immer wieder wird Pakistan von schweren Bombenattentaten erschüttert, zuletzt starben in Lahore über 70 Menschen. Die Radikalisierung, die Anstachelung zum Hass und zur Intoleranz auch gegen Nicht-Muslime beginnt schon in den Schulbüchern. Das erklärt uns Mobeen Shahid, Dozent für islamische Religion an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom.

Schulbücher, die religiösen Fanatismus fördern: Das ist das Ergebnis einer Studie der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Pakistan, die von der katholischen Bischofskonferenz gegründet wurde. Vom Staat abgesegnete Bildungspläne, die in den vier Provinzen des Landes verteilt werden, sind demnach zumindest mitverantwortlich für die Massengewalt und den religiösen Extremismus. Mobeen Shahid bestätigt das:

„In den staatlichen wie in den vom Staat anerkannten privaten Schulen gibt es die Pflicht, einen staatlichen Bildungsplan einzuhalten. Die Schulbücher, insbesondere jene der Geschichte Pakistans, aber auch die Bücher für andere Fächer, die nichts direkt mit Religion zu tun haben, etwa Biologie, Physik und andere, haben immer eine islamistische Konnotation: Sie sind geleitet von einer Ideologie, die die gegenwärtige fanatische Kultur in der Nation geschaffen hat.“

In den Büchern wird demnach zum Hass angeregt – nicht nur gegen religiöse Minderheiten, sondern vor allem auch gegen den Westen. Dabei spielt besonders die Kolonialzeit auf dem indischen Subkontinent eine wichtige Rolle, die als eine dunkle Ära für die islamische Bevölkerung dargestellt wird; die Engländer hätten die Muslime unterdrückt. Diese Erklärungsmuster würden auch heute noch auf Christen angewendet, erklärt Mobeen Shahid.

„Vor zwei Monaten hat die Regierung der Region Khyber Pakhtunkhwa Entwicklungsgelder für die religiösen Minderheiten gestrichen und sie einem Islamschullehrer gegeben, der auch den Anführer der islamistischen Terrororganisation Tehreek-e-Taliban unterrichtete. Der nächste Schritt besteht dann darin, zu behaupten, dass der Westen und die Christen die Muslime unterdrücken wollen. Das erzeugt eine allgemeine Haltung der Intoleranz und des Hasses auf den Westen, aber auch auf die Christen aus Pakistan selbst.“

Dabei war dieser Hass zwischen den Religionen in dem mehrheitlich islamischen Land nicht immer so ausgeprägt. In den ersten 30 Jahren des Bestehens Pakistans sei das Zusammenleben zwischen den Religionen viel friedlicher gewesen, so Shahid. Muslime machten besonders gerne Geschäfte mit Christen, weil diese als verlässlich galten. Seit den 70er Jahren allerdings, so erklärt es Shahid, begann das Land mit der Ausbildung der Mudschahedin im Krieg in Afghanistan. „Von da an hielten Ideologien aus Saudi-Arabien Einzug ins Land, die von einer Kultur des Hasses gegen religiöse Minderheiten geprägt waren – mit dem Ziel, auch Pakistan noch stärker zu islamisieren, damit es auf der Welt eine Führungsrolle übernehmen könne.“ (rv)

„EU-Türkei-Deal funktioniert nicht“

TürkeiNach wie vor kommen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak über die Türkei nach Griechenland. Der EU-Türkei-Deal aber, der ihre Verteilung in der EU regulieren soll, steht auf der Kippe. Die türkische Regierung droht immer wieder damit, den Flüchtlingspakt mit der EU platzen zu lassen, wenn die versprochene Visafreiheit nicht kommt. Die EU hingegen fordert als Ausgangsbedingung die Einhaltung der Menschenrechte im Land. Wie aber geht es den Flüchtlingen in Griechenland, die Gegenstand dieser Verhandlungen sind? Darüber sprach Radio Vatikan mit dem italienischen kirchlichen Migrations-Experten Giancarlo Perego. Der Geistliche ist Direktor der bischöflichen Stiftung Migrantes.

„Die Lage ist dramatisch, 70 Prozent der Menschen leben nicht mal in den Flüchtlingslagern oder vorgesehenen Einrichtungen. Der Schutz der Menschenrechte steht auf dem Spiel. Der EU-Türkei-Pakt ist ohnehin schon ein Rückschritt, was die Rechte von Migranten angeht, doch jetzt ist ihr Schutz noch mehr in Gefahr. Die Hälfte dieser gefährdeten Personen sind Kinder und Minderjährige. Europa bräuchte mehr Garantien für die Grundrechte der Asylbewerber und Flüchtlinge.“

Der Streit zwischen EU und Türkei dreht sich insbesondere um die Visafreiheit für türkische Staatsbürger, die als Gegenleistung für die Regulierung der Migration aus der Türkei nach Europa versprochen wurde. Die Türken machen Druck, damit die Visafreiheit baldmöglichst eingeführt wird, die EU hingegen fordert als Bedingung unter anderem die Einhaltung der Menschenrechte, die nach dem Putschversuch gegen Erdogan und durch seinen radikalen Staatsumbau besonders bedroht sind.

„Das Abkommen hat von vornherein schlecht funktioniert und funktioniert immer noch schlecht, vor allem was den Schutz der Rechte der Migranten angeht. Viele Hilfsorganisationen, etwa Caritas Europa oder Ärzte ohne Grenzen, weisen immer wieder auf die dramatische Situation der Flüchtlinge hin. Und sie hat sich jetzt noch weiter verschlechtert.“

Dennoch glaubt Perego nicht, dass jetzt ein Ende des EU-Türkei-Abkommens bevorsteht. Zu hoch seien die Interessen der beiden Partner, dabei das Gesicht zu wahren und zu demonstrieren, dass sie die Situation unter Kontrolle halten können. Dennoch wäre ein Plan B sinnvoll, findet er.

„Das wünschen wir uns: dass Europa eine Quotenverteilung der Flüchtlinge einführt, und dass es Asylrecht und ein nationales Asylsystem in allen 27 Mitgliedstaaten schafft, denn in fast 20 Mitgliedstaaten fehlt es daran noch. Auch warten wir noch immer auf die Umverteilung von rund 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten, die im Herbst 2015 vereinbart wurde und von denen bislang nur wenige Tausend verteilt wurden. Vor allem müssten die EU-Länder jetzt aber humanitäre Korridore einführen, um Massenfluchten zu vermeiden und vor allem Schleppern und terroristischen Organisationen wie dem Islamischen Staat das Handwerk zu legen.“ (rv)