Kommentar: Der Krieg als Chance

BelgienBRÜSSEL – „Wir befinden uns im Krieg“. Damit hat Frankreichs Premier Manuel Valls gestern auf den Punkt gebracht, was nicht erst seit Brüssel bitterste Wahrheit ist. Es herrscht Krieg. Auch wenn viele unter uns — auch ich — es eigentlich nicht wahrhaben wollen. Und nun? Die Frage ist, wie wir ehrlich, sachlich und differenziert damit umgehen, und dann vor allem handeln. Ohne selbst-verordnete Scheuklappen oder emotionale Hysterie. Als Christen, als Bürger, als Gesellschaft. Was also tun? Drei Dinge würde ich vorschlagen:

  1. Die Opfer beim Namen nennen, für sie beten — und ihren Hinterbliebenen beistehen. Christen, aber auch Jesiden, Atheisten, Juden, Muslime; alle, die den Terroristen zum Opfer fallen, egal ob in Brüssel, auf dem Sinai oder in Istanbul. Gedenken wir ihrer, und helfen wir den Überlebenden; auch mit Asyl.
  2. Den Gegner beim Namen nennen, für ihn beten — und sich seiner wehren. Wie wir uns vor andere stellen würden, welche uns und unserer Freiheit an die Kehle wollen. Das ist auch Christenpflicht. Der selbst-ernannte Islamische Staat lebt eine mörderische Ideologie, die weder uns respektiert noch unsere Demokratie und Werte, noch die meisten anderen, inklusive dem übrigen Islam. Völlig egal, ob er sich IS nennt, oder als Takfirismus, Salafismus etikettiert wird: Diese Ideologie hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. Nicht in unseren Flüchtlingsheimen, nicht an unseren Schulen, in unseren Fußgängerzonen, den sozialen Medien — und schon gar nicht in unseren Moscheen und Kulturvereinen. Ein Islamgesetz, robuster Schutz sowie eine rationelle Migrationspolitik wären ein Anfang.
  3. Diese Bedrohung, dieser Krieg, ist auch eine Gelegenheit, die „doppelte tiefgreifende Krise“ des Glaubens in Europa zu überwinden, die Papst emeritus Benedikt XVI. unlängst diagnostiziert hat und auch Franziskus tadelt. Auch der – endlich anerkannte – Völkermord des IS und sein Terror sind ein Aufruf zur Umkehr und zum Zeugnis seiner Liebe. (CNA Deutsch)

Papst ernennt neue Mitglieder der Rota Roma

Rota RomanaPapst Franziskus hat zwei neue Mitglieder für die römischen „Rota ernannt. Wie der Vatikan am Dienstag mitteilte, werden Pater Miroslav Konštanc und Adam José Fernando Mejía Yáñez neue Auditoren sein. Pater Konštanc ist zurzeit Rektor der Päpstlichen Universität Thomas von Aquin in Rom, während Pater Mejía Yáñez bisher Leiter des Obersten Verwaltungsgerichts des Apostolischen Stuhls ist. Auditoren sind Mitglieder des Gerichtsgremiums.

Die „Rota“ ist der ordentliche Appellationsgerichtshof. Nach der Apostolischen Signatur ist sie das zweithöchste Gericht der katholischen Kirche und übt für den Papst die ordentliche Gerichtsbarkeit aus. Ihren Sitz hat die römische „Rota“ seit 1967 beim römischen Palazzo della Cancelleria. (rv)

Franziskus trauert um Opfer von Brüssel

CNA_FranziskusVATIKANSTADT – In einem Beileidstelegramm von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat Papst Franziskus die Terror-Angriffe auf Brüssel verurteilt.

Er „vertraue der Barmherzigkeit Gottes die Menschen an, die ihr Leben verloren haben“, und bete für die Hinterbliebenen, so Franziskus.

Die Botschaft des Telegramm an den Erzbischof von Mechelen-Brüssel, Jozef De Kesel, wird auch in den Aussagen anderer Kirchenväter widergespiegelt.

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, sagte: „Ich bete für alle Opfer. Der Hass darf bei uns nicht siegen!“ Dieser neue Anschlag sei eine Bewährungsprobe der europäischen „Wertegemeinschaft“, so der Wiener Erzbischof. (CNA Deutsch)

Gottesdiensträume für geflohene Christen

Erzbistum München und FreisingMÜNCHEN – Platz für vertriebene Christen aus dem Nahen Osten und Afrika: Den orientalischen Gemeinden, die durch die Ankunft christlicher Flüchtlinge stark angewachsen sind, bieten Pfarreien im Erzbistum München und Freising mehr Räume für Gottesdienste und Begegnungen an.

Bereits 18 Räume für bis zu 500 Gläubige

Der Generalvikar des Münchner Erzbischofs, Peter Beer, rief Ende Februar in einem Brief alle Pfarreien auf zu prüfen, ob unierten, orientalischen und orthodoxen Gemeinden Räume zur Verfügung gestellt werden können. In den drei Wochen nach dem Aufruf meldeten Pfarreien im Erzbistum bereits 18 Gottesdiensträume für teilweise bis zu 500 Gläubige und fast ebenso viele gemeindliche Räume für Begegnungen. Das fortlaufend wachsende Angebot wird vom Erzbischöflichen Ordinariat gesammelt und koordiniert an orientalische Gemeinden vermittelt.

Nach der Aufnahme die Integration

Nachdem die Kirche im Erzbistum in einer ersten Phase 1300 Unterbringungsplätze schaffen, einen Flüchtlingsfonds einrichten, eine große Zahl an Helferkreisen bilden und diese durch Caritas und Erzdiözese professionell unterstützen konnte, gelte es nun „in einer zweiten Phase den Blick stärker auf die Integration“ zu richten, schreibt Generalvikar Beer in dem Brief an die Pfarreien.

Ein wichtiger Schritt könne es dabei sein, die Gemeinden und Kirchen zu unterstützen, „die in besondere Weise mit den Herkunftsländern im Mittleren Osten und in Afrika verbunden sind und deshalb Flüchtlingen aus diesem Kulturraum sehr gut als Orte der geistlichen Beheimatung dienen können“.

600 Gottesdienstbesucher in einer Gemeinde

Das Beispiel der eritreisch-orthodoxen Gemeinde, die vor vier Jahren von 18 Gemeindemitgliedern gegründet wurde und ihre Heimat in der katholischen Pfarrei St. Gertrud im Münchner Norden fand, verdeutlicht das starke Anwachsen dieser Gemeinden: Mittlerweile kommen 500 bis 600 Gläubige zu den Gottesdiensten an den Feiertagen und zu den Festen der Gemeinde in St. Gertrud.

Beispiele wie diese zeigten die Notwendigkeit, den nach Deutschland geflohenen orientalischen Christen auch eine geistliche Heimat anbieten zu können, so Beer. Er sei überzeugt, „dass solche Gemeinden auch für eine Pfarrei zu einer lebendigen Bereicherung werden können“. (CNA Deutsch)

Binnen 24 Stunden folgen über eine Million Menschen Papst Franziskus auf Instagram

Franziskus am PetersplatzVATIKANSTADT – Zum Hochfest des heiligen Josef, dem 19. März, hat Papst Franziskus ein eigenes Konto bei Instagram eröffnen lassen. Der zum Facebook-Konzern gehörende Foto- und Videodienst ist auch unter Katholiken ein weltweit beliebtes soziales Medium.

Monsignore Dario Edoardo Viganò, Präfekt des Sekretariats für Kommunikation des Vatikans, hatte bereits am 14. März die Eröffnung des offiziellen Accounts angekündigt.

Der Papst ist auf Instagram unter seinem lateinischen Namen vertreten als @Franciscus

Das erste Bild zeigte Papst Franziskus beim Gebet. Binnen 24 Stunden hatte der Heilige Vater über eine Million „Follower“. (CNA Deutsch)

 

Bücher-Diplomatie: Der Vatikan und die Türkei

Erzbischof BruguèsDie Gespräche mit der Türkei waren ein „wirklicher Erfolg“: Nein, das sagt nicht Angela Merkel oder einer ihrer EU-Kollegen, sondern der Archivar der Heiligen Römischen Kirche. Es geht auch nicht um Flüchtlinge, sondern um Bücher und Manuskripte. Erzbischof Jean-Louis Bruguès war in der Türkei, um die Arbeit der Apostolischen Bibliothek und des Vatikanischen Geheimarchivs vorzustellen – und ist bei seinen türkischen Gesprächspartnern auf viel Interesse gestoßen.

„Für die (Apostolische) Bibliothek gibt es eine praktische Verfahrensweise: Ein neuer Botschafter stellt sich als erstes dem Papst vor, dann dem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, und dann kommt er in die Bibliothek. Wir sind also die dritte Adresse der diplomatischen Besucher! Als der neue Botschafter der Türkei (beim Heiligen Stuhl) ernannt wurde, kam er also zu mir, schenkte mir Bücher für die Bibliothek und schlug mir eine Reise in die Türkei vor. Das Ziel sollte darin bestehen, Bibliothek und Geheimarchiv vorzustellen.“

Dazu müsse man wissen, so der Erzbischof, „dass die öffentliche Meinung der Türkei ein eher negatives Bild vom Heiligen Stuhl und auch vom Archiv hat, weil es das Geheime im Namen trägt“. Das betreffe übrigens nicht nur Türken, sondern auch vielen Menschen in unseren Breiten. Sie hören „Geheimarchiv“ und denken: Aha, der Vatikan will seine Geheimnisse für sich behalten.

„Ich wurde nach Istanbul eingeladen, wo es eine großartige Universität gibt – die Universität der schönen Künste –, um dort vor 400 Studierenden zu sprechen. Die Aufmerksamkeit war wirklich groß! Und ich habe ja 25 Jahre lang unterrichtet…, dass die Bibliothek und das Archiv für alle Studierenden offen sind, auch für die aus der Türkei, und dass wir zur Zusammenarbeit bereit sind. Die Antwort darauf war enthusiastisch!“

Zweite Station für Bruguès: Smyrna. Der neue katholische Erzbischof, ein Dominikaner, ist ein alter Bekannter von Bruguès, der ebenfalls Dominikaner ist, und lud ihn zu einem Vortrag ein. Eine weitere Etappe in Bruguès „Bücher-Diplomatie“. Der Erzbischof erklärt das so:

„Es gibt in der Bibliothek zunächst eine wissenschaftliche Dimension: 15.000 Menschen, die jedes Jahr zu uns zum Forschen und Studieren kommen. Aber dann gibt es auch noch eine zweite Dimension, die ich zunächst nicht verstanden hatte: die Kultur. Sie ist in einigen, schwierigen Fällen die einzige Art und Weise, Brücken zu bauen, wo es ansonsten nur Grenzen und Gegensätze gibt. Auch in der Türkei konnte ich trotz einer eher negativen öffentlichen Meinung die Öffnung der Kirche durch den Kanal der Kultur demonstrieren.“

Seit fast drei Jahren treibt der rührige Franzose seine „Bücher-Diplomatie“ voran. Den Anfang machten, wie er erzählt, Politiker und auch orthodoxe Metropoliten aus Belgrad, Sofia, Bukarest: „Sie baten mich, den orthodoxen Ortskirchen und den Ländern zu helfen, ihr vom Krieg beschädigtes historisches Gedächtnis wiederherzustellen; die nationalen Bibliotheken waren verbrannt oder zerstört. Ich fand es sehr interessant, dass orthodoxe Kirchen die katholische Weltkirche um Hilfe baten. Mittlerweile ist die Vatikan-Bibliothek eine Art Mutterbibliothek für diese nationalen und kirchlichen Bibliotheken geworden.“

Wichtig geworden ist auch die Zusammenarbeit mit China: Immerhin unterhält das kommunistische Land keine diplomatischen Beziehungen zum Vatikan. Für Bruguès „Bücher-Diplomatie“ war das kein Hindernis. „Wir bereiten eine Wanderausstellung für China vor, für den Sommer 2017. Das chinesische Publikum soll die antiken (chinesischen) Manuskripte kennenlernen, die wir heute in unserer Bibliothek haben. Um sie dem großen Publikum vorzustellen, werden sie komplett digitalisiert.“ (rv)

Buchtipp: Attentat auf den Glauben – das Martyrium des Óscar A. Romero

Attentat auf den Glauben _NersingerUlrich Nersinger: Attentat auf den Glauben – das Martyrium des Óscar A. Romero. Ein Gespräch mit dem Autor.

Über einen prominenten neuen Seligen der Kirche hat der Historiker und Journalist Ulrich Nersinger ein Buch vorgelegt: Erzbischof Oscar Arnulfo Romero von San Salvador ist ein Märtyrer der katholischen Kirche. Er starb am 24. März 1980 am Altar beim Feiern der Messe durch den Schuss eines Auftragsmörders. Romero stand der Theologie der Befreiung nahe. Er hatte sich im Sinn des Evangeliums für Gerechtigkeit eingesetzt und war daher mit der salvadorianischen Militärdiktatur in Konflikt geraten. Papst Franziskus sprach Erzbischof Romero ihn am 23. Mai 2015 in San Salvador selig.

RV: Warum gab es so viel Polemik um diese Seligsprechung?

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es im Grund bei fast allen Selig- und Heiligsprechungen der letzten Zeit zu Polemiken kam. Natürlich bei Romero besonders. Es hängt damit zusammen, dass man sich mit dem eigentlichen Geschehen bei einer Heiligsprechung nicht beschäftigt und bestimmte Personen von bestimmten Seiten für sich vereinnahmen will. Da versucht die Kirche einen Riegel vorzuschieben, denn sie will die künftigen Seligen und Heiligen im Kontext des Glaubens sehen und nicht in irgendeiner Richtung oder einer Politik vereinnahmt wissen.“

RV: Kurz ein Blick auf die Biografie: Warum gilt Romero er auf gewisse Weise als politischer Seliger?

„Weil es auch mit der Politik sehr eng verbunden ist. Was wichtig ist, um Romero wirklich zu erkennen, ist ihn sich anzuschauen: Was hat er geschrieben, was hat er gesagt, wie hat er gehandelt. Das ist viel zu wenig gemacht worden. Wir haben einige Begriffe, die – ich sage es salopp – hingeknallt werde, aber man hat sich nicht mit der Person selber im klassischen Sin beschäftigt. Wenn man sich mit ihm beschäftigt, merkt man, dass alle die Kategorien rechts links eigentlich lächerlich sind, sondern dass man alles aus dem Glauben heraus beachten muss.“

RV: Warum hakte das Seligsprechungsverfahren, bis Franziskus wieder Schwung hineinbrachte?

„Es war eigentlich schon Papst Benedikt XVI., der das gelöst hat, im Zusammenspiel mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller von der Glaubenskongregation. Beide sind Theologen und haben gesehen, wie die theologische Dimension beim Martyrium und speziell bei Romero ist. Sie waren überzeugt davon, dass es eine wichtige Causa ist, die vorangetrieben werden muss.“

RV: Was lehrt uns Romero, ist es ein klassischer Märtyrer?

„Ich würde sagen ja. Denn es zeigt sich, dass er alle Entscheidungen, die er getroffen hat, nicht aus einer politischen Haltung heraus, sondern aus dem Glauben heraus gemacht hat. Solche Entscheidungen sind sehr wichtig, gerade in unserer Zeit: Sie zeigen, dass, wenn ich als Christ etwas mache, ich das aus meiner Überzeugung heraus vollziehe, und das konsequent vollziehe. Das macht Romero als Vorbild ideal für uns.“

RV: Warum gilt das Martyrium in der katholischen Kirche als Hochform und Grundgestalt der christlichen Heiligkeit?

„Wenn wir in die Zeit der Evangelium zurückgehen, sehen wir, dass eigentlich Christus das Urbild der Märtyrer ist, der für die Überzeugung Gottes Bekenntnis bis zum Tode ablegt. Man kann das Martyrium nur begreifen von Christus selber her und dann von den Christen her, die in aller Konsequenz, bis zum Vergießen des eigenen Blutes, nachgefolgt sind.“

RV: Vergießen des eigenen Blutes: Wie zeitgemäß ist das Martyrium heute?

„Wenn wir einen Blick werfen auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten, sehen wir, wir wichtig die Beschäftigung mit dem Martyrium ist. Wir erfahren dauernd hautnah, wie gefährlich es geworden ist, für den Glauben einzustehen – dass das aber eben auch eine Hoffnung und eine Stärkung für uns alle ist.“

Ulrich Nersinger: Attentat auf den Glauben – das Martyrium des Óscar A. Romero. Bernardus-Verlag 2015. Rund 15 Euro.

Der Autor spricht am 22. März 2016 um 19.30 Uhr im Domforum in Köln über das Martyrium des seligen Erzbischofs Óscar A. Romero. (rv)

Vatikan: Licht ab am Petersdom

VatikanLicht aus für das kirchliche Wahrzeichen Roms: Am Samstagabend schaltet der Vatikan für eine Stunde die Beleuchtung des Petersdoms ab, um mit diesem Zeichen des Energiesparens auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Kuppel und Fassade der Basilika liegen zwischen 20:30 und 21:30 Uhr im Dunkeln, teilte der Vatikan mit. Der Papststaat beteiligt sich damit schon zum wiederholten Mal an einer weltweiten Aktion der Umweltschutzorganisation WWF. Während der sogenannten „Earth Hour“ (Stunde der Erde) werden etwa auch die Lichter des Eiffelturms in Paris oder des Empire State Buildings in New York abgeschaltet. (rv)

Die „doppelte tiefgreifende Krise“ der Kirche: Der volle Wortlaut von Benedikt XVI.

Benedikt XVI.VATIKANSTADT – Nur selten wendet sich Benedikt XVI. an die Öffentlichkeit. Wenn der emeritierte Papst einmal kommuniziert, und dabei auch noch über Franziskus und die Barmherzigkeit, horcht nicht nur die katholische Welt auf. Wenn im gleichen Interview dieser führende Theologe zudem über eine „doppelte tiefgreifende Krise“ und den Zusammenbruch der missionarischen Dynamik der Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil spricht, über eine „Evolution des Dogmas“, und die Frage des Christseins in der Moderne, dann haben diese Aussagen historische Relevanz – und sind gleichzeitig dem Risiko ausgesetzt, von Journalisten wie Klerikern selektiv zitiert zu werden.

CNA Deutsch dokumentiert im folgenden ungekürzt die Worte von Papst emeritus Benedikt XVI. im deutschen Original, wie sie Joseph Ratzinger formuliert hat. Die ursprünglichen Fragen von Pater Jacques Servais SJ, die auf französisch im Kontext eines Kolloquiums im Oktober 2015 gestellt worden waren, sind behutsam gekürzt und redigiert wiedergegeben, ohne deren Sinn zu entstellen. Die Antworten von Papst Benedikt waren bei der Konferenz durch den Präfekten des Päpstlichen Hauses, Kurienerzbischof Georg Gänswein, vorgelesen worden, und sind mittlerweile auch in anderen Sprachen in mehreren Medien übersetzt erschienen.

Eure Heiligkeit, die Frage, die diesem Jahr beschäftigt sich die Konferenz mit der Rechtfertigungslehre. Sie haben betont, dass der christliche Glaube nicht eine Idee ist, sondern ein Leben. Und mit Blick auf die Aussagen des heiligen Apostels Paulus in Römer 3:28, erwähnten Sie, in dieser Hinsicht, eine zweifache Transzendenz: „“Glaube ist Gabe durch die Gemeinschaft; die sich selbst gegeben wird,” gs iv, 512). Könnten Sie erklären, was Sie damit meinen?

BENEDIKT XVI.: Es geht um die Frage, was Glaube ist und wie man zum Glauben kommt. Glaube ist einerseits eine höchst persönliche Berührung mit Gott, die mich ins Innerste hinein trifft und mich ganz unmittelbar dem lebendigen Gott gegenüberstellt, so dass ich ihn anreden, ihn lieben, mit ihm in Gemeinschaft treten kann. Aber dieses höchst Persönliche hat doch zugleich untrennbar mit Gemeinschaft zu tun: Zum Wesen des Glaubens gehört es, dass er mich in das Wir der Kinder Gottes, in die Weggemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern hineinnimmt. Die Begegnung mit Gott bedeutet immer zugleich, dass ich selbst geöffnet, aus meiner Verschließung herausgerissen und in die lebendige Gemeinschaft der Kirche hineingenommen werde. Sie vermittelt mir auch die Begegnung mit Gott, der mich dann freilich ganz persönlich ins Herz trifft.

Der Glaube kommt vom Hören, sagt uns der heilige Paulus. Das Hören schließt also immer schon ein Gegenüber ein. Glaube ist nicht Produkt eines Nachdenkens und auch nicht einer Versenkung in die Tiefen meines Seins, obwohl beides hinzugehören kann. Aber beides bleibt unzulänglich ohne das Hören, durch das Gott von außen her, von einer durch ihn geschaffenen Geschichte her auf mich zutritt. Damit ich glauben kann, bedarf ich zuerst der Zeugen, die Gott begegnet sind und mich für ihn öffnen.

Wenn ich in meinem Artikel über die Taufe über die doppelte Transzendenz der Gemeinschaft gesprochen habe, so kommt darin nochmals ein wichtiges Element zum Vorschein: Die Gemeinschaft des Glaubens schafft sich nicht selbst. Sie ist nicht eine Vereinigung von Menschen, die eine gemeinsame Idee haben und sich entscheiden, zusammen für diese Idee zu wirken. Dann könnten sie nur persönliche Meinungen vertreten und gemeinsam nach Wegen suchen, um diese Ideen zu verwirklichen. Alles würde dann auf einen eigenen Entschluss und letztlich auf dem Mehrheitsprinzip basieren, letztlich also nur doch menschliche Meinung sein. Eine solche Kirche kann mir nicht Garant des ewigen Lebens sein und nicht Entscheidungen von mir fordern, die mich schmerzen und die gegen meine Wünsche stehen. Nein, die Kirche hat sich nicht selbst gemacht, sondern sie ist vom Herrn geschaffen und wird immer wieder von ihm gebildet. Dies drückt sich in den Sakramenten, zuallererst im Sakrament der Taufe aus: In die Kirche trete ich nicht mit einem bürokratischen Akt ein, sondern durch das Sakrament. Das bedeutet, ich werde in eine Gemeinschaft aufgenommen, die nicht von sich selbst kommt und die über sich selbst hinausreicht.

Die Pastoral, die die geistliche Erfahrung der Gläubigen formen will, muss von diesen Grundgegebenheiten ausgehen. Sie muss die Vorstellung einer sich selbst machenden Kirche überwinden und mir zeigen, dass Kirche Gemeinschaft am und im Leib Christi ist. Sie muss in die Begegnung mit Jesus Christus und in seine Anwesenheit im Sakrament hineinführen.

Als Sie Präfekt der Glaubenskongregation waren, kommentierten sie die Gemeinsame Erklärung der katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes über die Rechtfertigungslehrer vom 31. Oktober 1999. Dabei wiesen Sie auf den Mentalitäts-Unterschied hin mit Blick auf Luther und die Frage der Erlösung. Das religiöse Erleben Luthers war dominiert von der Angst vor dem Zorn Gottes. Ein Gefühl, das dem modernen Menschen sehr fremd ist, der eher die Abwesenheit Gottes spürt (wie Sie in Communio, 2000, 430 geschrieben haben). Für den modernen Menschen ist die Frage nicht so sehr, wie er das ewige Leben erlangt, sondern eher, wie er in der prekären Situation unserer Welt eine gewisse Balance eines Lebens in Fülle.

BENEDIKT XVI.: Zunächst möchte ich noch einmal unterstreichen, was ich in „Communio“ im Jahr 2000 zur Rechtfertigungsproblematik gesagt hatte: Für den Menschen von heute haben sich die Dinge gegenüber der Zeit Luthers und gegenüber der klassischen Perspektive des christlichen Glaubens in gewisser Hinsicht umgekehrt: Nicht mehr der Mensch glaubt der Rechtfertigung vor Gott zu bedürfen. Er ist der Meinung, dass Gott sich rechtfertigen müsse angesichts alles Schrecklichen in der Welt und angesichts aller Mühsal des Menschseins, das letztlich doch alles auf sein Konto geht. Ich finde es in dieser Hinsicht bezeichnend, daß ein katholischer Theologe diese Umkehr auch förmlich behauptet: Christus habe nicht für die Sünden der Menschen gelitten, sondern gleichsam die Schuld Gottes abgetragen. Auch wenn eine so drastische Umkehrung unseres Glaubens den meisten Christen doch wohl noch fernliegt, so kommt darin doch eine Grundtendenz unseres Zeitalters zum Vorschein. Wenn Johann Baptist Metz davon spricht, dass die Theologie heute „theodizee-empfindlich“ sein müsse, so wird auf eine positive Art dasselbe Problem angesprochen. Abgesehen von dieser radikalen Infragestellung der kirchlichen Sicht des Verhaltens von Gott und Mensch, hat der Mensch von heute ganz generell das Bewusstsein, dass Gott nicht den größeren Teil der Menschheit in die Verdammung abgleiten lassen kann. Insofern ist die Heilssorge im alten Sinn weitgehend verschwunden.

Dennoch existiert meiner Überzeugung nach auf andere Weise das Wissen weiter, dass wir der Gnade und der Vergebung bedürfen. Es ist für mich ein „Zeichen der Zeit“, dass die Idee der Barmherzigkeit Gottes immer beherrschender in den Mittelpunkt rückt – angefangen von Schwester Faustina, deren Visionen irgendwie doch ganz grundlegend das Gottesbild des Menschen von heute und sein Verlangen nach Gottes Güte darstellen. Papst Johannes Paul II. war von diesem Impuls zutiefst erfüllt, auch wenn er nicht immer ganz offen zutage liegt. Aber es ist doch wohl kein Zufall, dass sein letztes Buch, das unmittelbar vor seinem Sterben erschien, von der Barmherzigkeit Gottes handelt. Aus seiner Lebenserfahrung heraus, die ihn in früher Stunde mit aller Grausamkeit des Menschen konfrontiert hatte, sagt er, dass die Barmherzigkeit die einzig wirkliche und letzte Gegenkraft gegen die Macht des Bösen sei. Erst da, wo Barmherzigkeit ist, endet die Grausamkeit, endet das Böse, endet die Gewalt. Papst Franziskus steht ganz in dieser Linie. Seine pastorale Erfahrung drückt sich gerade darin aus, dass er uns immerfort von Gottes Barmherzigkeit spricht. Es ist die Barmherzigkeit, die uns zu Gott hinzieht, während die Gerechtigkeit uns vor ihm erschrecken lässt. Dies zeigt nach meinem Dafürhalten, dass unter der Oberfläche der Selbstsicherheit und der Selbstgerechtigkeit des heutigen Menschen sich doch ein tiefes Wissen um seine Verwundung, um seine Unwürdigkeit Gott gegenüber verbirgt. Er wartet auf Barmherzigkeit. Es ist gewiss kein Zufall, dass das Gleichnis vom barmherzigen Samariter die Menschen von heute besonders anspricht – nicht nur weil dort die soziale Seite des Christseins stark betont ist und nicht nur weil dort der Samariter, der nicht religiöse Mensch, gegenüber den Religionsdienern sozusagen als der wirklich gottgemäß handelnde Mensch erscheint, während die amtlichen Diener der Religion sich gleichsam gegen Gott immunisiert haben. Beides ist natürlich dem modernen Menschen sympathisch. Aber ebenso wichtig scheint mir, dass im stillen doch die Menschen für sich selbst den Samariter erwarten, der sich zu ihnen niederbeugt, Öl in die Wunden gießt, sie umsorgt und in die Herberge bringt. Sie wissen im letzten doch, dass sie der Barmherzigkeit Gottes, seiner Zärtlichkeit bedürfen. In der Härte der technischen Welt, in der die Gefühle nicht mehr zählen, wächst dann doch die Erwartung nach einer heilenden Liebe, die umsonst geschenkt wird. Mir scheint, dass so im Thema der Barmherzigkeit Gottes auf eine neue Weise ausgedrückt ist, was Rechtfertigung durch Glauben heißt. Von der Barmherzigkeit Gottes her, nach der alle Ausschau halten, lässt sich der wesentliche Kern der Rechtfertigungslehre auch heute neu verstehen und erscheint wieder in seiner ganzen Wichtigkeit.

Der heilige Anselm verwendet eine Sprache, die für einen modernen Menschen nur schwer akzeptabel ist, wenn er darüber spricht, dass Gott am Kreuz sterben musste, um die zerstörte Ordnung wieder herzustellen (vgl. Gs 215. Ss iv)

BENEDIKT XVI.: Die Begrifflichkeit des heiligen Anselm ist uns heute sicher unverständlich geworden. Was dahinter als Wahrheit steht, müssen wir auf neue Weise zu verstehen suchen. Ich möchte drei Anmerkungen zu diesem Punkt vorlegen:

a) Die Gegenüberstellung des Vaters, der unerbittlich auf der Gerechtigkeit besteht, mit dem Sohn, der dem Vater gehorcht und im Gehorsam die grausame Forderung der Gerechtigkeit aufnimmt, ist nicht nur für heute unverständlich, sondern in sich, von der Trinitätstheologie her völlig verfehlt. Vater und Sohn sind eins, und ihr Wille ist daher von innen her eins. Wenn der Sohn am Ölberg mit dem Willen Gottes ringt, so geht es nicht darum, dass er eine grausame Verfügung Gottes über sich annehmen muss, sondern darum, dass er das Menschsein in den Willen Gottes hinaufzieht. Auf das Verhältnis der beiden Willen von Vater und Sohn werden wir nachher noch einmal zurückkehren müssen.

b) Aber warum denn überhaupt das Kreuz, die Sühne? Nun, irgendwie ist in den Umkehrungen des modernen Denkens, von denen ich vorhin gesprochen hatte, dieses Warum auf eine neue Weise sichtbar. Stellen wir uns die ungeheure schmutzige Masse des Bösen, der Gewalt, der Lüge, des Hasses, der Grausamkeit, des Hochmuts vor, die die ganze Welt verschmutzt und entstellt. Diese Masse des Bösen kann nicht einfach als inexistent erklärt werden, auch nicht von Gott. Sie muss aufgearbeitet, überwunden werden. Israel war davon überzeugt, dass das tägliche Sündopfer und besonders die große Liturgie des Versöhnungstages als Gegengewicht gegen die Masse des Bösen in der Welt notwendig waren und dass nur durch diesen Ausgleich die Welt gleichsam erträglich bleiben konnte. Als die Opferfeiern im Tempel erloschen, müsste es sich fragen, was denn nun den Übermächten des Bösen entgegengestellt werden könne, wie einigermaßen ein Gegengewicht gefunden werden könne. Die Christen wussten, dass der abgebrochene Tempel durch den auferstandenen Leib des gekreuzigten Herrn ersetzt war und dass in seiner radikalen, unermesslichen Liebe ein Gegengewicht gegen die unermessliche Masse des Bösen geschaffen war. Ja, sie wüssten, dass das bisherige Opfer nur Ausgriff nach einem wirklichen Gegengewicht sein konnte. Und sie wüssten, dass bei der Übermacht des Bösen nur eine unendliche Liebe, nur eine unendliche Sühne ausreichen konnte. Sie wussten, dass der gekreuzigte und auferstandene Christus die Gegenmacht zur Macht des Bösen ist und die Welt rettet. Von da aus konnten sie dann auch den Sinn ihrer eigenen Leiden verstehen als Hineingenommen sein in Christi leidvolle Liebe und Teil der rettenden Macht dieser Liebe. Wenn ich vorhin einen Theologen zitiert hatte, der meint, Gott habe für seine Schuld an der Welt leiden müssen, so kommt in dieser Verkehrung der Perspektiven doch Wahrheit zum Vorschein: Gott kann die Masse des Bösen einfach nicht stehen lassen, die durch die Freiheit entstanden ist, die er selbst gegeben hat. Nur er selbst kann, ins Leiden der Welt eintretend, die Welt erlösen.

c) Von da aus wird nun noch einmal das Verhältnis zwischen Vater und Sohn deutlicher. Ich zitiere dazu einen Passus aus dem Buch von De Lubac über Origenes, der mir sehr klärend erscheint: „Der Erlöser ist zur Erde abgestiegen aus Mitleid für das Menschengeschlecht. Er hat unsere Erleidungen (passiones) auf sich genommen, ehe er das Kreuz erlitt, ja ehe er sogar unser Fleisch anzunehmen geruhte: hätte er sie nicht zuerst gespürt, so wäre er nicht gekommen, um an unserem Menschenleben teilzunehmen.

Welches war diese Erleidung, die er zuerst für uns litt? Es war die Leidenschaft der Liebe.

Aber der Vater selbst, der Gott des Alls, er, der voll ist von Langmut, Erbarmen und Mitleid, leidet nicht auch er in gewisser Weise? Oder weißt Du nicht, dass er, wenn er sich mit den menschlichen Dingen abgibt, ein menschliches Erleiden kennt? ‚Denn der Herr, Dein Gott, hat deine Sitten auf sich genommen, wie der, der sein Kind auf sich nimmt (Dt 1,31)’. Gott nimmt also unsere Sitten auf sich, wie der Sohn Gottes unsere Erleidungen auf sich nimmt. Der Vater selbst ist nicht leidenschaftslos! Wenn man zu ihm fleht, dann kennt er Erbarmen und Mitleiden. Er erleidet ein Leiden der Liebe (Ez. h 6, 6)“ [aus: Henri de Lubac, Geist aus der Geschichte. Das Schriftverständnis des Origenes. Übertragen und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar. Johannes Verlag, Einsiedeln 1968, 284f.]

Es gab in Teilen Deutschlands eine sehr bewegende Frömmigkeit, die „die Not Gottes“ betrachtete. Mir ist da ein erschütterndes Bild vor der Seele, das den leidenden Vater darstellt, der das Leiden des Sohnes inwendig als Vater mit erleidet. Und auch der „Gnadenstuhl“ gehört hierher: Der Vater hält das Kreuz und den Gekreuzigten, beugt sich liebevoll zu ihm herunter und ist gleichsam auf der anderen Seite mit am Kreuz. Was Barmherzigkeit Gottes ist, Mitleiden Gottes mit dem Menschen, ist da groß und rein empfunden worden. Es geht nicht um eine grausame Gerechtigkeit, nicht um den Fanatismus des Vaters, sondern um die Wahrheit und die Wirklichkeit der Schöpfung: um die wirklich innere Überwindung des Bösen, die nur im Leiden der Liebe letztlich geschehen kann.

In seinen Geistlichen Übungen verwendet der heilige Ignatius von Loyola nicht die alttestamentarischen Bilder von Rache, im Gegensatz zu Paulus (vgl. 2.Thessalonicher 1,5-9); dennoch schrieb und handelte er aus der Überzeugung, so viele „Ungläubige“ wie möglich vor dem schrecklichen Schicksal ewiger Verdammnis retten zu müssen. Diese Lehre, formalisiert im Konzil von Trient, wurde in stark gemäßigter Form in den Katechismus der Katholischen Kirche (vgl. Abschnitte 633, 1037) übernommen. Ist es richtig zu sagen, dass es in den vergangenen Jahrzehnten zu diesem Punkt eine „Entwicklung des Dogmas“ gegeben hat, welcher der Katechismus unbedingt Rechnung tragen sollte?

BENEDIKT XVI.: Zweifellos ist in diesem Punkt eine tiefgreifende Entwicklung des Dogmas in Gang. Während die Väter und die Theologen des Mittelalters noch der Meinung sein konnten, dass im wesentlichen die ganze Menschheit christlich geworden sei und nur noch am Rande Heidentum bestehe, hat die Entdeckung der neuen Welt zu Beginn der Neuzeit die Perspektiven radikal geändert. Das Bewußtsein, dass Gott nicht alle Ungetauften der Verdammnis verfallen lassen kann und auch eine bloß natürliche Seligkeit für sie keine wirkliche Antwort auf die Frage des Menschseins darstellt, hat sich im letzten halben Jahrhundert vollends durchgesetzt. Wenn die großen Missionare des 16. Jahrhunderts noch überzeugt waren, dass ungetaufte Menschen für immer verloren seien und von da aus sich die Dynamik ihres missionarischen Einsatzes erklärt, so ist dieses Bewusstsein in der katholischen Kirche mit dem II. Vaticanum endgültig zusammengebrochen. Daraus ergab sich eine doppelte tiefgreifenden Krise: Zum einen scheint es keinen Grund mehr für die Mission zu geben. Warum sollte man noch Menschen zum christlichen Glauben führen wollen, wenn sie auch ohne ihn gerettet werden können? Aber auch für die Christen selbst ergab sich eine Folge daraus: Die Verbindlichkeit des Glaubens und seiner Lebensform wurde fragwürdig. Wenn andere auf andere Weise gerettet werden können, ist am Ende auch nicht mehr einsichtig, warum der Christ selbst an die Forderungen des christlichen Glaubens und seiner Moral gebunden ist. Wenn aber Heil und Glaube nicht mehr zusammenhängen, wird der Glaube selbst grundlos.

Inzwischen haben sich verschiedene Versuche gebildet, um den universellen Anspruch des christlichen Glaubens mit der Möglichkeit des Heils ohne ihn in Einklang zu bringen. Ich erwähne zwei davon: Da ist zunächst die bekannte These von Karl Rahner von den anonymen Christen. Sie besagt, dass der wesentliche Grundakt der christlichen Existenz, der für das Heil entscheidend ist, in der transzendentalen Struktur unseres Bewusstseins als Ausgriff nach dem ganz anderen, nach dem Einssein mit Gott bestehe. Der christliche Glaube habe ins Bewusstsein gehoben, was strukturell im Menschen an sich da ist. Wenn also der Mensch sich in seinem wesentlichen Sein annimmt, vollzieht er das Wesentliche des Christseins, ohne es begrifflich zu kennen. Das Christliche fällt so mit dem Menschlichen zusammen, und in diesem Sinn ist jeder Mensch ein Christ, der sich selbst annimmt, auch wenn er es nicht weiß. Diese Theorie ist zwar beeindruckend, macht aber das Christentum selbst nur zu einer bewussten Darstellung dessen, was Menschsein an sich ist und lässt so das Drama der Verwandlung und der Erneuerung aus dem Spiel, um das es im Christsein wesentlich geht.

Noch weniger akzeptabel ist die Lösung der pluralistischen Religionstheorien, die uns sagen, dass alle Religionen je auf ihre Weise Heilswege seien und in diesem Sinn in ihrer Wirkung als gleichbedeutend angesehen werden müssen. Die Religionskritik, wie sie das Alte Testament, das Neue Testament und die frühe Kirche geübt haben, ist da wesentlich konkreter in ihrer Erkenntnis der verschiedenen Religionen. Eine so einfache Rezeptur ist der großen Frage nicht angemessen.

Schließlich haben vor allem Henri De Lubac und nach ihm manche andere den Gedanken der Stellvertretung betont. Die Proexistenz Christi sei Ausdruck für die Grundfigur christlicher Existenz und für die Kirche als solche. Damit ist zwar das Problem nicht völlig gelöst, aber ich denke, dass dies doch die wesentliche Einsicht ist, die dann auch die Existenz eines jeden Christen betrifft. Christus als der Eine war und ist für alle und die Christen, die mit ihm nach dem großen Bild des heiligen Paulus seinen Leib in dieser Welt bilden, nehmen an diesem Für-Sein teil. Christ ist man sozusagen nicht für sich selber, sondern mit Christus für die anderen. Es bedeutet nicht eine Art Sonderbillett zum Eintritt in die ewige Seligkeit, sondern die Sendung zum Mittragen des Ganzen. Was der Mensch zum Heil braucht, ist die innere Offenheit für Gott, das innere Warten und Zugehen auf ihn, und das bedeutet umgekehrt, dass wir mit dem Herrn, der uns begegnet ist, auf die anderen zugehen und ihnen das Zugehen Gottes in Christus sichtbar zu machen versuchen.

Man kann dieses Für-Sein auch etwas abstrakter verständlich machen. Es ist wichtig für die Menschheit, dass Wahrheit in ihr da ist, dass sie geglaubt und gelebt wird. Dass für sie gelitten wird. Dass geliebt wird. Diese Realitäten leuchten in die Welt als ganze hinein und tragen sie mit. Ich denke, dass in der gegenwärtigen Situation uns auch immer mehr das Wort des Herrn an Abraham verständlich wird, dass zehn Gerechte ausreichen würden, damit eine Stadt überleben kann, aber dass sie sich selbst zerstört, wenn diese kleine Zahl unterschritten wird. Es ist klar, dass an der Frage weiter gearbeitet werden muss.

In den Augen vieler säkularer Humanisten, geprägt vom Atheismus des 19. und 20. Jahrhunderts, wie Sie angemerkt haben, sollte Gott – wenn er denn existiert –verantwortlich gemacht werden, statt des Menschen, für die Ungerechtigkeit, das Leiden der Unschuldigen, den Zynismus der Macht derer wir Zeuge sind, machtlos, in der Welt und der Weltgeschichte (vgl. Spe Salvi Nr. 42). In Ihrem Buch „Jesus von Nazareth“ weisen Sie darauf hin, was für diese Menschen – und für uns – ein Skandal ist: Die Realität der Ungerechtigkeit, des Bösen, die nicht ignoriert werden kann, sondern überwunden und besiegt werden muss, damit es Barmherzigkeit gibt. Ist das Sakrament der Beichte einer der Ort, an denen das Böse „repariert“ werden kann? Wenn ja, wie?

BENEDIKT XVI.: Das Wesentliche zur Frage im ganzen habe ich bereits in der Antwort auf Frage 3 darzustellen versucht. Das Gegengewicht gegen die Übermacht des Bösen kann zunächst nur in der gottmenschlichen Liebe Jesu Christi bestehen, die immer größer ist als jede mögliche Macht des Bösen. Aber unser Eintreten in diese Antwort Gottes durch Jesus Christus ist notwendig. Auch wenn jeder einzelne selber einen Teil des Bösen zu verantworten hat und so an dessen Macht mitschuldig ist, kann er doch zugleich mit Christus zusammen „ergänzen, was an seinen Leiden noch fehlt“ (vgl. Kol 1, 24).

Das Bußsakrament spielt hier sicher eine wichtige Rolle. Es bedeutet, dass wir uns selber immer wieder neu von Christus umarbeiten, umwandeln lassen und immer wieder neu von der Seite der Zerstörer auf die rettende Seite treten. (CNA Deutsch)

Lombardi: Papst Franziskus reist im Juni nach Armenien

Pater Lombardi PressekonferenzPapst Franziskus möchte in der zweiten Junihälfte nach Armenien reisen. Das bestätigte Vatikansprecher Federico Lombardi an diesem Freitag auf Anfrage von Journalisten. Ein genaues Reisedatum stehe aber noch nicht fest. Die Reisevorbereitungen seien im Anfangsstadium, die Vatikanverantwortlichen hätten noch keine Ortsbegehung vorgenommen, präzisierte Lombardi mit Blick auf vorweg genannte mögliche Reisedaten, die aber nicht korrekt seien. Es wird sich um die dreizehnte Auslandsvisite des Papstes handeln. Vorbereiten wird sie erstmals der neue päpstliche Reisemarschall Mauricio Rueda Beltz, ein aus Kolumbien stammender Kurienpriester, der im Staatssekretariat tätig ist. Die letzte Papstreise nach Armenien war jene von Johannes Paul II. im Jahr 2001. (rv)