Papst im Slum: Kritik an „Wohlstandswelt“

Franzsikus200Einen Slum mitten im Herzen der Millionenstadt Nairobi hat Papst Franziskus am Freitag besucht. Am Morgen seines dritten und letzten Reisetags in Kenia fuhr er im offenen Papamobil durch die Barackenstadt, in der mehr als 100.000 Menschen aus vielen Regionen Kenias und aus dem afrikanischen Ausland wohnen. Der Slum heißt Kangemi, er hat sich zwischen Wohnvierteln gebildet; kurz vor dem Papstbesuch installierte die Stadtverwaltung endlich Straßenbeleuchtung, ein erster greifbarer Erfolg der Visite.

Franziskus grüßte viele Einwohner und auch seine Mitbrüder aus dem Jesuitenorden, die in dem Slum die Pfarrei St. Joseph leiten; angeschlossen sind eine Krankenstation, ein Zentrum für Mütter in Schwierigkeiten und eine Ausbildungsstation für technische Berufe. Schon bei seiner Visite in Lateinamerika im Sommer diesen Jahres hatte der Papst, der Favelas aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires gut kennt, ein vergleichbares Elendsviertel besucht.

In seiner Ansprache versicherte der Papst den Bewohnern der Hütten und Baracken von Kangemi, er wisse genau „um die Schwierigkeiten, die ihr Tag für Tag durchmacht“, und um „die Ungerechtigkeiten, die ihr erleidet“. Ihre Freuden und Ängste seien ihm „nicht gleichgültig“. Genauso würdigte er aber auch, was er „die Weisheit der Armenviertel“ nannte: „eine Weisheit, die aus dem zähen Widerstand des Echten hervorsprießt, aus den Werten des Evangeliums, welche die durch den zügellosen Konsum eingeschlummerte Wohlstandswelt zu vergessen haben scheint“.

Wörtlich sagte Franziskus: „Ihr seid fähig, Bande der Zugehörigkeit und des Zusammenlebens zu knüpfen, die das Gedränge in eine Gemeinschaftserfahrung verwandeln, wo die Wände des Ichs durchbrochen und die Schranken des Egoismus überwunden werden.“ Die „Kultur der Armenviertel“ leiste mit „dieser besonderen Weisheit“ einen wichtigen „Beitrag für die Zeit, in der wir leben“. Als Beispiel für diese „andere Art von Kultur“ mit ihren „Werten, die nicht an der Börse gehandelt werden“, nannte er das Sprichwort: „Wo zehn essen, da essen auch zwölf!“

„Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt“

Beredt rügte der Papst dann die „abscheuliche Ungerechtigkeit der städtischen Ausgrenzung“: „Es sind die Wunden, die Minderheiten verursachen, welche Macht und Reichtum konzentrieren und egoistisch verschwenden, während wachsende Mehrheiten sich in verwahrloste, verseuchte, ausgesonderte Randzonen flüchten müssen! Das verschärft sich, wenn wir die ungerechte Verteilung des Bodens sehen…, die in vielen Fällen dazu führt, dass ganze Familien überhöhte Mieten zahlen für Behausungen in ungeeignetem baulichen Zustand. Ich weiß auch um das schwerwiegende Problem des Hamsterkaufs von Ländereien durch gesichtslose „private Entwickler“, die sogar versuchen, sich den Pausenhof der Schulen ihrer Kinder anzueignen.“ Das alles passiere, „weil man vergisst, dass Gott die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt hat“, so Franziskus mit einem Zitat des hl. Johannes Paul II.

„In diesem Sinn stellt der mangelnde Zugang zu Infrastrukturen und den wichtigsten Serviceleistungen ein schwerwiegendes Problem dar. Ich meine damit Toiletten, Abwasserkanäle, Abflüsse, Müllabfuhr, Elektrizität, Wege, aber auch Schulen, Krankenhäuser, Erholungs- und Sportzentren und Kunstwerkstätten.“ Vor allem der Zugang zu Trinkwasser sei eigentlich ein fundamentales Menschenrecht, das keinem verweigert werden dürfe, fuhr der Papst fort. „Diese Welt lädt eine schwere soziale Schuld gegenüber den Armen auf sich, die keinen Zugang zum Trinkwasser haben, denn das bedeutet, ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist. Einer Familie unter irgendeinem bürokratischen Vorwand das Wasser zu verweigern, ist eine große Ungerechtigkeit, vor allem, wenn aus dieser Not ein Nutzen gezogen wird.“

Noch schlimmer werde das Gewebe aus „Gleichgültigkeit und Feindseligkeit, unter dem die Armenviertel leiden“, durch Gewalt und organisierte Kriminalität. All diese „Wirklichkeiten“ seien „keine zufällige Kombination von Einzelproblemen“, diagnostizierte der Papst. „Sie sind vielmehr die Folge neuer Formen von Kolonialismus… Tatsächlich fehlt es nicht an Druck, damit (die armen Länder) politische Maßnahmen der Aussonderung ergreifen wie die zur Geburtenbeschränkung – eine Art Wegwerfpolitik.“

Der Papst warb für eine Trendwende: „Weder Ausmerzung, noch Paternalismus, noch Gleichgültigkeit, noch bloße Zügelung. Wir brauchen Städte, die integriert und für alle da sind.“ Alle Menschen hätten das Recht auf Land, Wohnung und Arbeit: „Das ist keine Philanthropie, es ist eine Verpflichtung aller!“
„Ich möchte alle Christen, besonders die Hirten, aufrufen, den missionarischen Schwung zu erneuern, gegenüber so vielen Ungerechtigkeiten die Initiative zu ergreifen, in die Probleme der Nächsten einzugreifen, sie in ihrem Ringen zu begleiten, die Früchte ihrer Gemeinschaftsarbeit zu schützen und gemeinsam jeden kleinen und großen Sieg zu feiern. Ich weiß, dass sie schon viel tun, aber ich bitte sie, sich daran zu erinnern, dass es nicht eine zusätzliche Aufgabe, sondern jedes Mal die wichtigste Aufgabe ist, denn die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums.“ Letzteres war übrigens ein Zitat aus einer Rede von Benedikt XVI. an brasilianische Bischöfe.

Nach seinem Besuch in Kangemi fuhr der Papst weiter zu einem Treffen mit Jugendlichen im Kasarani-Stadion von Nairobi. Daran soll sich dann ein Treffen mit den Bischöfen des Landes anschließen. Am Nachmittag steht der Weiterflug in das Nachbarland Uganda auf dem Programm, zweite Station auf der Afrikareise des Papstes. (rv)