Kardinal Ravasi: „Neue Ämter für Frauen in der Kirche denkbar“

Kardinal Gianfranco RavasiEs ist ein Novum für den Vatikan: der Päpstliche Kulturrat hat eine permanente Frauen-Beratungsgruppe gegründet, die einen kritischen Blick auf alles werfen soll, was der Rat tut. Die erste Sitzung fand an diesem Dienstag in den Räumlichkeiten des Kulturrates statt. 22 Frauen waren dabei, überwiegend Italienerinnen, darunter Universitätsprofessorinnen, Mütter, Diplomatinnen, Journalistinnen, Forscherinnen und Polit-Aktivistinnen.

Präsident des Päpstlichen Kulturrates ist Kardinal Gianfranco Ravasi. Im Gespräch mit Gudrun Sailer von Radio Vatikan regte der Kardinal generell „mehr Kreativität“ an, um das reiche Reservoir weiblichen Wissens zum Wohl der ganzen Kirche besser auszuschöpfen. Die erste Frage an den Kardinal: Welche Anliegen genau verfolgt der Kulturrat mit der Einrichtung der Frauen-Beratungsgruppe?

„Die Ziele sind zwei: zum einen geht es darum, die Frauen einzuladen, mit ihrem Blick und ihrer persönlichen Interpretation alle Aktivitäten des Dikasteriums zu beurteilen. Es geht nicht darum, sich gleichsam zu schmücken mit weiblicher Präsenz in der Kirche. Wir wünschen uns von den Frauen ein Urteil, ein objektives, aber aus ihrer Sicht gefälltes Urteil auf alles, was wir am Kulturrat tun. Die zweite Dimension ist, von den Frauen Hinweise auf unbekanntes Terrain und neue Horizonte zu erhalten. Wir sind hier in den gehobenen Positionen nur Männer, die Frauen haben ausschließlich Verwaltungstätigkeiten – und genau deshalb wollen wir die Frauen bitten, uns neue Wege zu zeigen, die wir noch nie betreten haben.“

„Ich bin skeptisch mit Blick auf Frauenquoten“

Inwiefern ist die Einrichtung einer solchen Beratungsgruppe innovativ?

„Sie ist innovativ gerade in diesem Sinn, weil es nicht bloß heißt: Wir wollen irgendwie auch Frauen dabei haben. Ich bin skeptisch mit Blick auf Frauenquoten, also auf das Mechanische und Mathematische, Halbe-Halbe, oder Quoten einzuführen. Ich bin aber überzeugt davon, dass es eine weibliche Präsenz braucht, und eine relevante Präsenz, die nicht nur irgendwie Farbe und neue Eindrücke gibt, wie man das ja oft hat bei Beratungsgruppen. Unsere soll stattdessen wirklich ins Innere der Fragen eintreten, auch mit ihren kritisierenden Fähigkeiten.“

Die Gruppe hat sich zum ersten Mal bereits versammelt. Was sind die nächsten Schritte?

„Ich möchte gerne auch die erste Versammlung beschreiben. Da gab es zunächst ein Art Outing von allen Anwesenden, in der alle sich vorgestellt haben, und das hat allen – auch uns vom Rat, die wir zuhörten – auch gleich eine Art elektrischen Schlag versetzt, denn jede erzählte sich nicht nur vom Biografischen her, sondern vom Menschlichen. Das war ein überraschender Beitrag, solche existenziellen Erfahrungen der Frauen zu hören. Dann habe ich ein thematisches Beispiel vorgestellt, mit dem die Frauengruppe beginnen könnte; in meinem Dikasterium laufen mindestens sieben, acht Aktivitäten, von denen ich mir wünsche, dass sie von den Frauen geprüft und beurteilt werden. Eines davon ist Sport. Sport ist ja heutzutage eine Art Esperanto der Völker geworden, und es ist auch eine Phänomen, in dem sich am meisten die Figur des Mannes und der Frau spiegelt. Im Guten, im Spiel, im Reichtum, der Phantasie, aber auch im Schlechten: Denken wir an Doping, Korruption, Gewalt in den Stadien, Rassismus. Wir möchten gerne von Etappe zu Etappe voranschreiten auf zwei Wegen. Zum einen möchten wir die Gruppe erweitern, und zum anderen ihr Urteil erfragen in Themen, die wir bereits vorliegen haben.“

Müssen denn alle Angehörigen der Frauen-Beratungsgruppe katholisch sein?

„Auch Nichtglaubende in den Rat berufen“

„Im Moment sind, glaube ich, alle Teilnehmerinnen katholisch. Aber das war etwas, das sofort als Wunsch auftauchte: nicht nur die ökumenische Dimension, sondern auch die interreligiöse Dimension, und ich habe noch eine weitere Dimension eingebracht, die der Nichtglaubenden. Ich habe die Absicht, in dieser Beratungsgruppe auch Frauen aufzunehmen, die sich zu keinem Glauben ausdrücklich bekennen. Und nach dieser ersten bescheidenen Meldung, die wir veröffentlicht haben, sind bereits positive Reaktionen von mindestens sieben, acht nichtglaubenden Frauen eingelaufen, die sich vorstellen könnten, mit dabei zu sein.“

Wäre es vorstellbar, auch in anderen vatikanischen Kurienbehörden solche weiblichen Beratungsgruppen einzuführen?

„Das würde ich mir wünschen. Papst Franziskus hat ja auch oft Erklärungen in diese Richtung gemacht und in der Kurie eine stärkere Präsenz von Frauen verlangt, die ja noch schwach ausgeprägt ist. Vor einigen Tagen hat uns Papst Franziskus hier im Kulturrat besucht, und ich habe ihm dieses Anliegen vorgelegt. Der Papst war sehr aufmerksam und nannte eine Reihe von Beispielen, wo Bischöfe zuerst auf ihre rein männlichen Beratungsorgane hörten, und dann aber auch eine Frauen-Beratungsgruppe ins Leben riefen und fanden, dass die Ratschläge aus dem weiblichen Gremium reichhaltiger und besser waren. Ich denke, das ist ein Wunsch, und unsere Gruppe am Kulturrat ist ein Beispiel. Kultur ist ja von ihrem Wesen her beweglicher und kreativer.“

„Man müßte da Kreativität entwickeln“

Nicht nur in der in der westlichen Welt haben Katholikinnen heute einen hohen Bildungsgrad, auch in der Theologie. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, um dieses Reservoir besser auszuschöpfen, zum Wohl der ganzen Kirche?

„Im Feld der Laien wird das zum Glück immer häufiger, ich denke an das Feld der Wissenschaft, wo heute auch ganz an der Spitze Frauen mitwirken – nachdem sie oft mit großer Mühe ihren Weg machen mussten in einem traditionell männlichen Feld. Ähnliches muss auch in der Kirche geschehen. Und das muss, denke ich, auch abseits der funktionellen Wege geschehen, das heißt nicht in klerikaler Gesinnung. Also: die Präsenz ist nur gegeben, wenn du es schaffst, eine priesterliche oder kuriale Funktion zu haben – das sind Funktionen, die von Männern kodifiziert wurden. Man müsste da Kreativität entwickeln. Die Präsenz von Frauen in der Gesellschaft hat sich in Jahrhunderten entwickelt, und ich hoffe, dass in der Kirche in den nächsten Jahrzehnten – nicht Jahrhunderten! – Ämter, Funktionen, Verantwortungen entstehen, die vornehmlich weiblich sind.“

Können Sie uns da ein Beispiel nennen?

„Nun, das Synodendokument spricht etwa von Frauen in der Priesterausbildung. Hier muss man eine Figur, eine Funktion schaffen. Und wir müssen uns auch daran erinnern, woran uns Papst Franziskus gemahnt, dass die Figur von Maria wichtiger ist als die der Kardinäle und der Bischöfe. Sie ist in der Mitte, und sie repräsentiert die Kirche. Und wie sie unter dem Kreuz Jesu steht, wird Maria – und nicht der Jünger – das Bild der Kirche. Und so glaube ich, es muss eine Revolution, nein besser: eine Evolution stattfinden, zuerst auf theoretischer Ebene, theologisch und auch mit Blick auf die Mentalität, und dann auf praktischer Ebene. Dabei sollten wir aber nie vergessen, dass wir nicht das männliche Modell imitieren sollten, das bis jetzt exklusiv die Funktionen und Ämter der Kirche bestimmt hat.“

„Spitzenämter für Frauen auch in Vatikan-Behörden“

Wie sehen Sie die Frage nach hohen Ämtern für Frauen an der römischen Kurie?

„Spitzenfunktionen in den Dikasterien könnten sehr gut auch Frauen anvertraut werden. Dazu braucht es aber das, was ich vorhin sagte: eine theoretische und eine praktische Ekklesiologie. Andernfalls würden die Leute, auch Frauen selbst, einen solchen Vorschlag gar nicht annehmen. Das ist ein Werk, das von Johannes Paul II. begonnen und von Benedikt XVI. bestärkt wurde und jetzt von Franziskus ein unmittelbares Interesse erfährt.“

Braucht es eine Synode der Frauen?

„Das wünschen sich viele Frauen, und viele haben mir deswegen geschrieben. Ich denke, man muss sehen, wie man das versteht. Frauen als Objekt oder als Subjekt? Eine Bischofssynode über Frauen also zunächst: Ja, das kann man machen, auch wenn ich nicht begeistert bin von der Vorstellung, Frauen als Studienobjekte anzusehen. Aber ich denke, so wie ich in meinem Dikasterium in diesem Jahr eine Vollversammlung über die „weiblichen Kulturen“ gemacht habe, so kann man auch eine Synode über die Frauen prüfen, über ihre Probleme, Kulturen, ihre Präsenz in der Kirche. Das ist legitim, man hat es für so viele andere Themen gemacht. Und eine Synode der Frauen, Frauen als Subjekte der Synode? Nun, die Synode ist in der Kirche als Bischofssynode angelegt. Die Kirche betrachtet das Priesteramt als christologisch und somit als männlich. Aber wir wissen gut, dass die Synode viele andere teilnehmende Subjekte hat. Und wie werden in diesem Fall beispielsweise Generaloberinnen als Synodenmitglieder miteinbezogen? Man könnte es ja so anlegen, dass in einer Synode der Frauen eine starke weibliche Präsenz vorhanden ist, die im Dialog ist. Das wäre heute gar nicht so schwer. Denn die Mehrheit der Bischöfe ist überzeugt. Auch weil in jeder Hirtentätigkeit der Beitrag von Frauen wesentlich ist, denken wir an die Religionslehrerinnen. Der Dialog zwischen den Frauen und den Bischöfen, und in dieser Weise könnte auch eine solche Synode der Frauen stattfinden.“

Hintergrund

Unter den Frauen, die der vatikanischen Beratungsgruppe bisher angehören, sind unter anderem die Botschafterin Irlands beim Heiligen Stuhl Emma Madigan, die Ordensfrau Mary Melone, die erste Rektorin einer Päpstlichen Universität in Rom, die Leiterin des römischen Frauengefängnisses in Rebibbia Ida del Grosso und die Schauspielerin Nancy Brilli. Kardinal Ravasi hatte die letzte Vollversammlung des Päpstlichen Kulturrates dem Thema „Weibliche Kulturen“ gewidmet. In dieser Veranstaltung war der Vorschlag eines „Frauenrates“ aufgekommen. (rv)

Kasper: „Höhere Gerechtigkeit“ für Wiederverheiratete

Kardinal Walter Kasper„Die Frage der Zulassung der wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten ist kein neues und kein nur deutsches Problem.“ Das schreibt Kardinal Walter Kasper in einem Aufsatz, den die Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ an diesem Donnerstag veröffentlicht hat. Der frühere Leiter des vatikanischen Ökumenerates widerspricht dem Eindruck, dass diese Frage der Wiederverheirateten im Mosaik der kirchlichen Ehe- und Familienpastoral nur ein ganz kleines Steinchen wäre.

„Die Diskussion um diese Frage wird international seit Jahrzehnten geführt“, schreibt Kasper: Auch Johannes Paul II. habe schon „von einer schwierigen und kaum lösbaren Frage“ gesprochen. Das „Problem so vieler Gläubigen“ brenne „vielen Seelsorgern und Beichtvätern, Theologen und Bischöfen auf der Seele“. Kasper wörtlich: „Es war darum zu erwarten, dass die Frage im Vorfeld und während der Außerordentlichen Bischofssynode 2014 neu aufgeflammt ist und kontrovers diskutiert wurde“. Die bevorstehende Ordentliche Bischofssynode vom Herbst 2015 solle diese Frage nun „abschließend beraten und sie dem Papst zur Entscheidung vorlegen“, so Kasper.

„Schmerzlicher, aber heilsamer Prozess der Klärung“

Was den kirchlichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen betrifft, geht Kardinal Kasper zunächst auf die geistliche Kommunion ein, die ihnen – anders als die Kommunion von Brot und Wein – auch nach heutigem Kirchenrecht erlaubt bleibt. Doch Kasper gibt zu bedenken, dass die geistliche Kommunion „keine alternative Form zur sakramentalen Kommunion“ sei, „sondern wesentlich auf die sakramentale Kommunion bezogen“. Das mache „die Anwendung auf die Situation der wiederverheiratet Geschiedenen problematisch“ und führe letztlich „in eine theologische Sackgasse“. Ähnlich skeptisch äußert er sich über Anleihen aus der Praxis der orthodoxen Kirchen.

Stattdessen wirbt er „für eine Erneuerung der via paenitentialis“ der alten Kirche. „Gemeint ist nicht die Ableistung von Bußauflagen, sondern der schmerzliche, aber heilsame Prozess der Klärung und der Neuausrichtung nach der Katastrophe einer Scheidung, der in einem geduldig hinhörenden und klärenden Gesprächsprozess von einem erfahrenen Beichtvater begleitet wird“, so Kasper. Dieser Prozess solle „bei dem Betroffenen zu einem ehrlichen Urteil über seine persönliche Situation führen, in dem auch der Beichtvater zu einem geistlichen Urteil kommt, um von der Vollmacht zu binden und zu lösen in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise Gebrauch machen zu können“. Das geschehe „in schwerwiegenden Fragen nach alter kirchlicher Praxis unter der Autorität des Bischofs“. Der Kardinal betont, bei dieser Binde-und-Löse-Vollmacht gehe es keineswegs um eine „billige Pseudogerechtigkeit“ oder eine „Außerkraftsetzung des Rechts“, „sondern um die höhere Gerechtigkeit“.

Natürlich bedeute sein Vorschlag auch keineswegs „eine Vergebung ohne Umkehr“, beteuert Kardinal Kasper: „Das wäre in der Tat theologischer Unsinn.“ Der oder die Beichtende müsse „Reue und den Willen“ zeigen, „in der neuen Situation nach besten Kräften gemäß dem Evangelium zu leben“. Kasper fährt fort: „Gerechtfertigt wird in der Lossprechung nicht die Sünde, sondern der umkehrwillige Sünder. Die sakramentale Kommunion, zu der die Lossprechung wieder berechtigt, soll dem Menschen in einer schwierigen Situation die Kraft geben, um auf dem neuen Weg durchzuhalten. Gerade Christen in schwierigen Situationen sind auf diese Kraftquelle angewiesen“. Eine solche „Erneuerung der kirchlichen Bußpraxis“ könnte nach Kaspers Dafürhalten „über den Bereich der wiederverheiratet Geschiedenen hinaus Signalwirkung haben für die notwendige Erneuerung der in der gegenwärtigen Kirche in beklagenswerter Weise so darniederliegenden kirchlichen Bußpraxis“.

Unauflöslichkeit „nicht fundamentalistisch auslegen“

Der emeritierte deutsche Kurienkardinal hatte im Frühjahr 2014 den synodalen Prozess zur Neuordnung der Ehe- und Familienseelsorge auf die Bitte von Papst Franziskus hin mit einem Grundlagen-Vortrag eröffnet. In diesem Text mit dem Titel „Das Evangelium von der Familie“ wurde die Frage des kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen bereits angesprochen. Vorschläge Kaspers stießen bei einem Teil der Synodenväter im Oktober 2014 auf deutlichen Widerspruch.

In dem an diesem Donnerstag erschienenen Aufsatz nun betont der Kardinal mit Blick auf die Ehe: „Grundlegend ist das Wort Jesu, dass der Mensch nicht trennen darf, was Gott verbunden hat.“ Das sei schon zur Zeit Jesu selbst „anstößig“ gewesen. „So wenig wie damals dürfen wir heute das Wort Jesu durch Anpassung an die Situation entschärfen.“ Allerdings dürfe es auch „nicht fundamentalistisch ausgelegt werden“. Kasper schreibt wörtlich: „Es gilt seine Grenze wie die Weite auszuloten, es im Ganzen der Botschaft Jesu zu verstehen und ihm treu zu bleiben, ohne es zu überdehnen.“ Schon in der Urkirche habe es daher durchaus eine „flexible pastorale Praxis mancher Ortsgemeinden“ gegeben.

Der Bund kann auch scheitern

Das Zweite Vatikanische Konzil habe die Ehe unter Berufung auf den Epheserbrief „als sakramentales Abbild des Bundesverhältnisses von Christus und der Kirche gedeutet“. Das sei „eine großartige und überzeugende Konzeption“, urteilt Kasper. „Sie darf jedoch nicht zu einer lebensfremden Idealisierung führen.“ Die christliche Ehe sei „ein großes Geheimnis in Bezug auf Christus und die Kirche“, könne dieses Geheimnis aber „im Leben nie ganz, sondern immer nur gebrochen verwirklichen“. Das könne bis zum Scheitern der Ehe gehen; Scheitern gehöre übrigens „auch zur biblischen Theologie des Bundes“, wie etwa im Buch Hosea deutlich werde. „Eine realistische Theologie der Ehe muss dieses Scheitern ebenso wie die Möglichkeit der Vergebung bedenken“, so Kasper. Auch im menschlichen Scheitern bleibe „die Verheißung der Treue und des Erbarmens Gottes bestehen“.

„In diesem Sinn wird die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe neu aktuell“, fährt der Kardinal fort: „Sie ist kein bloßes Ideal. Gottes Ja-Wort bleibt bestehen, auch wenn das menschliche Ja-Wort schwach oder gar gebrochen wird… Das von Gott selbst geknüpfte Eheband zerbricht nicht, auch wenn die menschliche Liebe schwächer wird oder gar ganz erlischt.“ Auf Gottes Barmherzigkeit sei „Verlass, wenn nur wir uns auf sie verlassen“. (rv)

Kirche und Missbrauch: Viele unbeantwortete theologische Fragen

Universität GregorianaWelche Fragen hat der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in theologischer Hinsicht aufgeworfen? Zum ersten Mal beschäftigt sich eine Konferenz explizit mit diesem Themenfeld. Das internationale Symposium „Child Protection – A Spiritual and Theological Approach“ geht an diesem Mittwochabend an der Universität Gregoriana zu Ende. Großes Thema auf der Veranstaltung, die vom Kinderschutzzentrum der Päpstlichen Uni in Zusammenarbeit mit anglophonen Bischofskonferenzen ausgerichtet wurde: das Amtsverständnis von Priestern und Bischöfen. Dieses sei seit dem Missbrauchsskandal ziemlich in die Krise geraten, bestätigt Pater Hans Zollner, Organisator der Tagung, im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Das Amtsverständnis hat sicher Risse bekommen, und zwar überall dort, wo die Skandale um Missbrauch die Grundfesten der Kirche und des kirchlichen Selbstbildes erschüttert haben. Das betrifft sehr viele von den Ländern, die hier vertreten sind, speziell die englischsprachigen Länder des Westens, aber auch einige Länder Afrikas oder Asiens. Es ist meines Wissens der erste Kongress, der jemals weltweit zu diesen Fragen auf theologische Themen ausgerichtet wurde. Ich bin überzeugt davon, dass das erst der Anfang einer weitergehenden theologischen Reflektion ist, in der sehr viel davon die Rede sein wird, was Priestersein heute bedeutet im Blick darauf, wie Männer, die diesen Dienst tun wollen, vorbereitet werden müssen – das wurde hier immer wieder angesprochen.“

Viele unbeantwortete Fragen

Neben der Frage des Amtsverständnisses gehe es bei einer theologisch-spirituellen Beschäftigung mit dem Thema zum Beispiel auch um kontroverse Fragen der Seelsorge, so Zollner weiter – für die Opfer und die Täter. Doch auch insgesamt werde das große Gebäude der Kirche durch den Missbrauch in besonderer Weise auf die Probe gestellt. Der Vizerektor der Uni Gregoriana gibt einen Überblick über die Bruchstellen, die das Phänomen im theologischen Feld aufgerissen hat:

„Was will uns Gott sagen mit der Situation, in der wir uns jetzt befinden? Was will er uns sagen im Blick auf die Kirche als Ganzes und auf ihre Strukturen? Was will er uns sagen mit Blick auf die Sakramente? Was bedeutet Verantwortlichkeit in der Kirche? Welche Rolle spielen Bischöfe? Wie ist das Leitungsamt strukturiert? Auf welche Dinge müssen Bischöfe, müssen Obere achten? Wie soll ich zu einem Opfer von Missbrauch von Erlösung sprechen? Was bedeutet es, wenn ich sage: ,Jesus Christus hat dich erlöst in deinem Leiden’ – kann man das sagen? Wie kann man das sagen – einem Opfer von Missbrauch, ohne dass es schal wird, ohne dass es leer ist? Wie kann man zu einem Missbrauchstäter davon sprechen, dass er um Vergebung bitten muss? Kann dies überhaupt geschehen, kann einem Missbrauchstäter vergeben werden? Wie soll eine Versöhnung stattfinden? Gibt es so etwas wie eine Lossprechung für diese Art von Sünden? Welche Auswirkungen hat das auf unser Bild von Gott? Reden wir mit Gott über das, was geschehen ist an Verbrechen an unschuldigen, an verwundbaren Menschen, an denen, die die Schwächsten sind, die Kinder, die Jugendlichen, alle Gruppen, die leicht ausgenutzt werden können?“

Zu lange „weggedrückt“

Dass die theologische Dimension im Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen so lange ausgeklammert wurde, ist für Zollner, der Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission ist, symptomatisch für eine gewisse Blindheit, die in der Institution Kirche allzu lange herrschte. Schließlich seien die ersten Missbrauchsfälle schon vor vierzig Jahren bekannt geworden – zuerst in Kanada und den USA, später in Irland und zuletzt in Mitteleuropa:

„Was bedeutet es für uns als Kirche, dass wir seit vierzig Jahren – wenn man die ganze Situation seit dem Aufbruch der Skandale in Kanada, USA, Irland bedenkt und seit fünf Jahren, etwas mehr auch in Mitteleuropa – was bedeutet es für uns als Kirche, wenn wir uns diesen Fragen lange Zeit aus theologischer Sicht nicht gestellt haben? Ich glaube, dass das ein Spiegelbild dessen ist, wie wir insgesamt als Kirche, und wie auch die Obrigkeit in der Kirche mit diesen Fragen lange Zeit umgegangen ist, nämlich indem man sie einfach weggedrückt hat, einfach nicht darüber nachgedacht hat, nicht sie tatsächlich reflektiert hat, und auch nicht versucht hat, sie in irgendeiner Art und Weise zu beantworten.“

Kirche kann von Heilungsgeschichte der Opfer lernen

Erlösung, Versöhnung, Vergebung sind laut Zollner weitere Grundbegriffe, die auf dem Symposium behandelt wurden. Vor allem, was den Kontakt zu Opfern von Missbrauch betrifft, verschenke die Kirche immer noch große Chancen: „Ich bin persönlich überzeugt davon, dass wir als Kirche gut daran täten, uns den Opfern noch viel mehr zuzuwenden als das schon geschieht, wenigstens in unseren Breiten. Weil ich glaube, dass viele Opfer, die missbraucht wurden durch Priester oder im Kontext von Kirche, der Kirche sehr oft auch sehr viel zu sagen haben. Dass sie aber auch sehr viel zu geben haben im Sinne einer Erfahrung des Verwundetseins und eines Weges, der auf Heilung hingeht. Wenn wir als Christen an einen Gott glauben, der verwundet wurde, der ungerechterweise misshandelt wurde, der getötet wurde, nachdem er gefoltert worden ist und den wir verehren als einen, der am Kreuz gestorben ist – wenn wir an so einen Gott glauben, dann heißt das doch auch, dass Menschen, die missbraucht worden sind, sehr nahe an diesem Gott sind und dass dieser Gott sehr nahe bei ihnen ist.“

Deshalb gebe es für die Kirche auch aus theologischer Sicht „unglaublich viel zu lernen“, so Pater Zollner. Das habe er selbst erfahren dürfen: „Was bedeutet Erlösung? Was bedeutet Vergebung und die Möglichkeit der Versöhnung? Was für eine Kraft steckt in diesen Wunden? Wir singen im Osterlied, in der Osternacht singen wir: ,O glückliche Schuld’ in Bezug auf Jesus, der unter der Schuld der Menschen gestorben ist, aber uns diese Erlösung gebracht hat. Dort, wo die Sünde am schwersten ist, dort ist auch die Erlösung am dichtesten erlebbar. Das habe ich selber erlebt und bin froh und dankbar, dass mir Betroffene von Missbrauch die Möglichkeit gegeben haben, das von ihnen zu hören. Mich hat das sehr berührt, und es hat mich auch sehr verwandelt.“ (rv)

Vatikan: Papst legt hohes Tempo bei Missbrauchsbekämpfung vor

Papst FranziskusFranziskus legt in Punkto Missbrauchsbekämpfung ein schnelles Tempo vor. So kommentiert der Jesuit Pater Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, die jüngste Entscheidung des Papstes, in der Glaubenskongregation ein Tribunal einzurichten, das sich mit der Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Verantwortliche in der Kirche befassen soll. Franziskus hatte Anfang Juni einen entsprechenden Vorschlag der Kinderschutzkommission angenommen.

Der Vorschlag sei von der Kommission erst vor vier Monaten eingereicht worden, so Zollner am Mittwoch gegenüber Radio Vatikan. Dass er so schnell vom Papst abgesegnet worden sei, entspreche „nach römischer Zeitmessung Lichtgeschwindigkeit“. Die Kinderschutzkommission, die den Papst in Fragen der Missbrauchsbekämpfung berät, sei „sehr froh“ über den Vorstoß: „Das zeigt, dass Franziskus auch in diese Richtung tatsächlich dazu steht, dass er sagt, wir wollen alles tun, damit die Kirche zu einem sicheren Ort wird für Kinder und Jugendliche und für alle, die eines besonderen Schutzes bedürfen.“

Mit der Einrichtung eines solchen Tribunals sieht Zollner eine klarere Bestimmung von Unterlassungstaten im Kontext kirchlichen Missbrauchs gewährleistet, wenn auch „die Definitionen sicherlich noch verdeutlicht und schärfer gefasst werden“ müssten. Begriffe wie „Amtsmissbrauch“, „Missbrauch von Macht“ und „Gewissensmissbrauch“ seien im kirchenrechtlichen Sprachgebrauch zwar schon in Gebrauch, so der Jesuit. Insofern sei eine Ahndung solchen Fehlverhaltens auch heute schon möglich. „De facto aber ist es kaum oder gar nicht geschehen“, so Zollner. Das Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission hofft, dass der Vatikan Strafbestände im Bereich der bischöflichen Mitverantwortung noch klarer fasst: „Wir haben gute Hoffnung, dass die Dinge, die wir vorgeschlagen haben, auch weitergehen werden, und dass wir über die Definitionen dessen, was jetzt genau solche Straftaten oder Unterlassungstaten ausmacht, vielleicht schon im Herbst oder etwas später Bescheid bekommen.“

Das neue Justiztribunal soll sich laut Vatikanangaben mit der Mitverantwortlichkeit kirchlicher Verantwortungsträger bei kirchlichen Missbrauchsfällen und der Vertuschung von Missbrauchsfällen befassen und entsprechende Strafen verhängen. Dabei sollen die Fälle zunächst von der Bischofs-, der Missions- und der Ostkirchenkongregation untersucht und Verdachtsfälle bestätigt werden, bevor es zur Gerichtsverhandlung in der Glaubenskongregation kommt. Ein Zeitpunkt für die Einrichtung der Stelle ist noch nicht bekannt gemacht worden. (rv)