Coelestin V. und Benedikt XVI

Papst Cölestin V.

Dass Papst Benedikt XVI. eines Tages abdanken würde, war bei näherem Hinsehen nicht so unwahrscheinlich wie es heute für viele aussieht. Eine kleine Geste unter mehreren: 2009 legte der Pontifex aus Bayern sein Pallium am Grab Papst Coelestin V. nieder – jenes Papstes, der 1294 von seinem Amt zurücktrat, weil er wieder ein einfacher Mönch werden wollte. Erst im Nachhinein betrachtet gewinnt diese Geste Benedikts – das Niederlegen des Palliums an Coelestins Grab – ihre volle Tragweite: Die weiße Wollstola des Papstes signalisiert seine kirchliche Autorität als Bischof von Rom. Sie ist mit Nagelsymbolen bestickt, die auf die Leiden Jesu verweisen. Benedikt XVI. würdigte Coelestin noch ein zweites Mal, nämlich anlässlich dessen 800. Geburtstag im Juli 2010: Bei einem Gottesdienst in der Abruzzenstadt Sulmona lobte der Papst den heiligen Papst und Einsiedler als Vorbild für die heutige Kirche.

Pater Klaus Schatz, emeritierter Professor für Kirchengeschichte an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen, sagte im Jahr 2010 gegenüber Radio Vatikan über Papst Coelestin:

„Das besondere an Coelestin ist, dass er nach weniger als einem halben Jahr als Papst abgedankt hat, weil er seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Es hat zwar auch andere Päpste in der Geschichte gegeben, die zurückgetreten sind, Coelestin V. bietet aber den einzigen Fall eines Rücktritts eines Papstes, dessen Legitimität nicht bestritten war.“

Es waren schwierige Zeiten, das Papsttum steckte Ende des 13. Jahrhunderts in einer Krise, und römische Adelsfamilien stritten mit allen Mitteln um die Macht in Mittelitalien. Die Papstwahlen fielen dem zum Opfer, und so gab es immer wieder lange Zeiten ohne Papst.

„Wir sind im Jahre 1294. Vorangegangen war eine von vielen, in diesem Fall über zwei Jahre dauernde Sedisvakanz. Coelestin war ein Mönch, ein frommer Einsiedler, Pietro Morone mit Namen. Er stand im Rufe der Heiligkeit und hatte wohl durchaus spirituelles Format. Man kann auch nicht sagen, er sei eine völlig weltfremde Persönlichkeit gewesen, er hatte wohl Leitungserfahrung im klösterlichen Bereich. Er hatte eine Botschaft an das Konklave gerichtet und das göttliche Strafgericht angedroht, wenn sie nicht bald einen Papst wählen würden.“

Und das tat das Konklave dann auch, es wählte diesen frommen Einsiedler. Als Zeichen der Demut ritt dieser zu seiner Krönung nach L’Aquila auf einem Esel ein. In der religiös aufgeheizten Zeit war dieser Papst für Viele ein Zeichen.
„Er wurde von vielen Kreisen überschwänglich begrüßt als der Engelspapst, der Papa Angelicus. Aber es zeigte sich bald, dass er auf dem glatten Parkett der Politik überfordert war und ein so kompliziertes Instrument, wie es die römische Kurie schon am Ende des 13. Jahrhunderts war, nicht in den Griff bekam.“

So trat er zurück, einige Historiker behaupten, er tat dies nicht freiwillig. Sein Nachfolger Bonifaz VIII., berühmt geworden durch die Bulle „Unam Sanctam“, führte einen Machtkampf gegen den französischen König. Aber er fürchtete auch seinen Vorgänger, den Engelspapst.

„Bonifaz VIII. fürchtete, dass sich um den ehemaligen Papst Coelestin V., Pietro Morone, ein Widerstandskreis sammeln würde und setzte ihn nach einem gescheiterten Fluchtversuch fest. In dieser Haft ist der ehemalige Papst denn auch gestorben.“

Pietro Morone wollte nicht länger Papst sein, sondern wieder Mönch, so wie vorher. Mönch ist Joseph Ratzinger nie gewesen; doch ist es der Lebensabend, den er sich offenbar wünscht. Der zurückgetretene Papst wird sich, wie es heißt, in das kleine Klausurkloster in den vatikanischen Gärten zurückziehen, das sein Vorgänger Johannes Paul II. 1994 eingerichtet hatte. (rv)

Bischöfe zwischen Schock und Respekt

 Kardinal DziwiszUngläubiges Staunen, Respekt, Betroffenheit: Die Entscheidung des Papstes zum Rücktritt hat viele in der Kirche in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. „Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes schockiert!“ Das sagt der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, enger Vertrauter des scheidenden Papstes. „Das habe ich mir gar nicht vorstellen können. Damit muss man sich jetzt auseinandersetzen. Jetzt muss ich an einer weiteren Papstwahl teilnehmen, das Kardinalskollegium muss jetzt die Kirche regieren. Da muss ich nach Rom anreisen, da sind die täglichen Sitzungen zur Vorbereitung des Konklaves. Das gab es ja seit 700 Jahren nicht. Da gibt es die Fragen: Gibt es eine Abschiedsfeier? Wo wird er wohnen? Wie wird er dann angesprochen?“

Dziwisz: „Benedikt XVI. ist groß“

Er sei „traurig“, „überrascht“, „tief berührt“, sagt Meisner. Italienische Zeitungen behaupten, der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz habe eine böse Bemerkung gemacht: Christus sei nicht vom Kreuz herabgestiegen. Dzwisz war Privatsekretär von Papst Johannes Paul II., der trotz seinem Leiden bis zum Tod 2005 im Papstamt durchhielt. Uns gegenüber sagt er: „Ich habe diese Nachricht mit großem Schmerz und Überraschung aufgenommen! Denn ich schätze und liebe den Heiligen Vater, Benedikt XVI. Er war Johannes Paul II. immer so eng verbunden, diesem großen Papst dieses Jahrhunderts. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass wir einen nach dem anderen Päpste von solch großer Tragweite haben. Man kann die beiden nicht direkt vergleichen, denn jeder hat sein eigenes Charisma.“ Es stimme nicht, dass er zu verstehen gebe, Benedikt XVI. flüchte aus der Verantwortung, so Dziwisz: „Absolut nicht, denn Benedikt XVI. ist groß! So wie Johannes Paul II. groß war und auch Papst Paul VI., dessen Pontifikat von einer großen Öffnung gekennzeichnet war.“

„Er wird uns fehlen“: So reagiert der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. „Aber es wird viel von ihm bleiben, denn Theologie und Kirche hat er nachhaltig geprägt, als Brückenbauer, als Hirte seiner Herde, als Wissenschaftler und Lehrer.“ Der Freiburger Erzbischof scheint nicht an den völligen Rückzug Benedikts XVI. ins Unsichtbare zu glauben: „Wir wissen, dass er seine Lebenskraft weiterhin in den Dienst der Menschen stellen wird. Wir wünschen ihm dazu die nötigen Kräfte…“

Vingt-Trois: „Papst ist nicht Bischof der ganzen Welt“

Der Pariser Kardinal André Vingt-Trois glaubt, dass die Entscheidung des Papstes zum Rücktritt „wohlüberlegt“ war. „Zunächst einmal bin ich natürlich überrascht, aber mein zweiter Gedanke war gleich große Dankbarkeit für diese acht Jahre als Papst, eine echte Bewunderung für den Mut, den er hatte, um wohlüberlegt diese Entscheidung zu treffen.“ So der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz im Interview mit Radio Vatikan. „Es ist immer mutig, wenn jemand anerkennt, dass er nicht mehr die Kraft zu seiner Aufgabe hat. Dass wir jetzt alle im Durchschnitt länger leben, führt dazu, dass man jetzt mehr zu entscheiden hat, als einfach auf den Tod zu warten. Dank Benedikt XVI. wissen jetzt auch seine Nachfolger, dass sie sich bis aufs Äußerste einsetzen können, ohne aber bis zum Schluss im Amt bleiben zu müssen.“

Vingt-Trois wird in Paris genau zur Stunde des Rücktritts von Benedikt eine öffentliche Dankmesse für das Pontifikat zelebrieren. Dass die Katholiken in aller Welt sich jetzt als Waisen fühlen müssen, findet der Hausherr der Pariser Notre-Dame-Kathedrale ganz und gar nicht. „Ich habe es bisher immer so gesehen, dass die Bischöfe die Hirten ihrer Herden sind. Ich verstehe nicht ganz, warum die Leute sich verwaist fühlen sollten, weil der Papst zurücktritt – dann sollen sie sich eben im Gebet an Gott wenden. Wenn die Römer sehen, dass ihr Bischof geht, dann verstehe ich, wenn sie sich fragen: Wer kommt denn als Nächstes? Aber der Papst ist nicht der Bischof der ganzen Welt! Man muss nun mal verstehen, dass die Kirche sich keineswegs auf die Person des Papstes reduziert.“

Das sagt Kardinal Meisner noch sporadischer: „Ich weiß nur: Päpste kommen und gehen, die Kirche bleibt. Da bin ich selber gespannt, wie der neue Papst aussehen wird.“ Die Belastungen für einen Pontifex Maximus seien heutzutage enorm, gibt Meisner zu bedenken – das sei „eine Aufgabe, die einen hoffnungslos überfordern kann“. „Vielleicht war die Aussage der Ärzte, dass er wegen seines Herzens nicht mehr zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro fahren kann, ausschlaggebend. An vielen Ecken und Enden spürt er, dass die Kräfte nicht mehr aussreichten, um die täglichen Dinge zu bewältigen.“ Das lange und qualvolle Sterben von Johannes Paul II. im Amt habe dem Nachfolger sicher auch vor Augen gestanden, sinniert Kardinal Meisner. „Das wollte er mal nicht ähnlich erleben, dass Ponitikat weiterzuführen ohne die Kräfte, selber zu entscheiden und angewiesen zu sein auf die Hilfe anderer. Da will er lieber die Verantwortung in andere Hände übergehen lassen. Eine nachvollziehbare Erklärung!“

„Einer der großen Kirchenväter ist wiederauferstanden“

„Es ist eine große menschliche und religiöse Geste.“ Das sagt wiederum Erzbischof Zollitsch. Er würdigt den scheidenden Papst als „großen Lehrer der Kirche“. „Ja, Papst Benedikt ist in vielerlei Hinsicht ein Pontifex: Er wollte Brücken bauen zwischen Glaube und Vernunft, Brücken hin zu Gott, Brücken zwischen Konfessionen und Religionen, um so dem Frieden der Welt den Weg zu bereiten und dem Reich Gottes Wachstum zu schenken.“ Noch einmal Meisner, der ins selbe Horn stößt: „Wir haben einen gesegneten Theologen auf dem Stuhle Petri gehabt. Die orthodoxen Bischöfe haben mir gesagt, mit Benedikt XVI. sei einer der großen Kirchenväter des klassischen Christentums wiederauferstanden. Die haben alle seine Worte übersetzt für ihre Studenten! Es war ein großes Pontifikat, weniger quantitativ, aber qualitativ!“

„Wir sind voll des Dankes für sein segensreiches Wirken“. Das sagt der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx. „Benedikt XVI. hat die Weltkirche nun acht Jahre lang mit höchstem Einsatz geführt und entscheidend mit seiner klaren Theologie geprägt. Wir als seine bayerische Heimatdiözese fühlen uns ihm als Priester und vormaligem Erzbischof des Erzbistums München und Freising auch in dieser Stunde eng verbunden. Wir sind voll des Dankes für sein segensreiches Wirken als Oberhaupt der katholischen Kirche… Wir wollen uns für die Zukunft unserer Kirche weiter von der bedeutenden Theologie Benedikt XVI. inspirieren lassen.“ Der neue Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer erklärt, er mache sich große Sorgen um die Gesundheit des Papstes.
(rv)