Nigeria: Wachsender Islam und christliche Laxheit

Die politischen und die religiösen Probleme in Nigeria sind nicht voneinander zu trennen, sie überkreuzen sich. Das sagt Bischof Ignatius Kaigama von Jos im Interview mit Radio Vatikan. Der Bürgerkrieg mit den Boko Haram schaffe ein riesiges Problem für das Land, aber man dürfe die Krise nicht zu vereinfacht betrachten.

„Es ist ein Fehler, jede Krise in Nigeria auf Religion zu reduzieren. Es gibt soziale, politische und ökonomische Fragen, es gibt die Probleme der nachwachsenden Generation; all das löst Krisen aus. Irgendwie wird daraus dann eine Krise zwischen Muslimen und Christen. Ich bestehe darauf, dass es eine Trennung gibt: Ja, es gibt religiöse Interessen, aber die sind nicht für die gesamte Krise verantwortlich. Manchmal gehen wir nicht weit genug in unserer Suche nach den wirklichen Wurzeln des Problems. Ich gebe zu, es gibt religiöse Probleme. Es gibt religiöse Spannung, aber wir befinden uns nicht im Krieg zwischen Christen und Muslimen."

Diesen Krieg führe allein die Boko Haram, sie wolle einen islamistischen Staat, aber diese Gruppe dürfe man auf keinen Fall mit dem gesamten Islam identifizieren, so Kaigama, dessen Bistum im Zentrum des Landes und damit an der Grenze zwischen dem relativ ruhigen Süden und den Unruhegebieten im Norden liegt. Die Regierung und die Sicherheitsbehörden scheinen der Gewalt hilflos gegenüber zu stehen. Und da Sicherheit nicht gewährleistet werden könne, gebe es Angst.

„Es könnte entweder zu einem offenen religiösen Konflikt oder zu einem Bürgerkrieg des Nordens gegen den Süden bzw. des Südens gegen den Norden kommen. Wenn das geschieht, dann werden unvermeidlich auch andere Teile Westafrikas in Mitleidenschaft gezogen, schließlich ganz Afrika. Wir wollen also keinen Krieg in Nigeria!"

Man hoffe auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft, um die Situation friedlich lösen zu können. Und im Augenblick seien es gerade die Christen, die unter der Krise besonders litten.

„Es ist ein Kampf ums Überleben für die Christen. Denken Sie nur an Nordafrika, das einmal sehr christlich war. Jetzt wachen wir auf und sehen die Christen in der Minderheit. Die islamischen Gemeinschaften haben Energie und tun alles, um ihren Glauben zu verbreiten und ihre eigene Religion zu beschützen. Wir Christen hingegen – sowohl in Afrika wie auch im Westen – halten uns zurück und sind manchmal sogar die schärfsten Kritiker des Christentums. Ehemals christliche Länder können Sie sagen hören, dass man jetzt in einer nach-christlichen Ära lebe. Der Islam weitet sich aus, und zwar in den verschiedensten Ländern Europas. Und auch in Afrika: In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es keine Muslime – und jetzt steht dort eine Moschee. Es gibt eine phänomenale Ausdehnung auf Kosten der Christen, die dem nur Laxheit in der Praxis des Glaubens entgegenzusetzen haben." (rv)

Fokus: Christenverfolgung „im Namen Allahs“?

Sie ist elf, behindert und soll Gott gelästert haben: In Pakistan ist in der vergangenen Woche ein Mädchen mit Down-Syndrom verhaftet worden, weil sie Seiten eines Koran-Lesebuches verbrannt haben soll. Blasphemie, so der Vorwurf gegen das Kind, das nun einem Richter vorgeführt werden soll. Die Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern hat sich dramatisch entwickelt, sagt die Aachener Islamwissenschaftlerin Rita Breuer: Gewaltsame Übergriffe gegen Gläubige, Kirchen, christliche Symbole, Wohnhäuser und Geschäfte von Christen in Pakistan, Saudi-Arabien, Afghanistan, Iran, Nigeria und auf den Malediven stellten aber nur die Spitze des Eisbergs dar, betont die Autorin des Buches „Im Namen Allahs? Christenverfolgung im Islam?" im Interview mit dem Domradio Köln. Denn daneben gebe es viele rechtliche und politische Benachteiligungen von Christen. Breuer:

„Überall da, wo der Islam einfach als Staatsreligion eine privilegierte Stellung hat und auch das Rechtssystem weitgehend prägt, kommt es automatisch dazu, dass andere Religionsgemeinschaften – so auch die Christen – weniger privilegiert sind. Das heißt, sie dürfen bestimmte Staatsämter nicht ausüben, sie dürfen nicht Richter werden, sie dürfen manchmal bestimmte Berufe nicht ergreifen."

Das ist zum Beispiel in Ägypten der Fall, wo Verwaltung und Regierung nahezu vollständig „christenfrei" sind. In Indonesien haben Christen zum Beispiel immer wieder Probleme mit Proselytismus-Vorwürfen und beim Bau von Kirchen.

„Was die Religionsausübung angeht: Die soll eigentlich geschützt sein, aber es ist in der Tat so, dass es da gerade wenn es um den Bau von Kirchen geht, um den Unterhalt christlicher Gebäude, viele behördliche Schikanen gibt. Dass man den Christen immer wieder unterstellt, sie wollten missionieren, sie wollten die Muslime von ihrer Religion abbringen. Also, auch die Religionsausübung wird sehr eingeschränkt. Ganz besonders gilt das in der Tat für jede Form von Mission, und damit ist auch eine besonders schwierige Situation der Konvertiten vom Islam zum Christentum verbunden."

In Saudi-Arabien sei die Lage der Christen immer noch am schlimmsten.

„Das trägt geradezu phobische Züge dort, die Angst vor dem Christentum! Da ist wirklich jede nichtislamische Religionsausübung verboten. Man darf noch nicht einmal ein Kreuz an der Kette haben, keine Bibel zum persönlichen Gebrauch mit sich führen. Es ist auch jede pastorale Versorgung der vielen christlichen Gastarbeiter im Land völlig unmöglich, etwa von den Philippinen. Das ist das Schlimmste, was die Bandbreite zu bieten hat."

Freilich gebe es auch liberale Muslime, die Christen schätzten und schützten, so Breuer. Allerdings werde es in der „momentanen Phase, in der der politische Islam sehr erstarkt, einflussreich wird und auch international unterstützt wird", zunehmend schwer, sich Gehör zu verschaffen. Positives Beispiel für ein tolerantes, muslimisches Land sei das afrikanische Gambia.

„Das ist das einzige Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, in dem es überhaupt keine religiöse Diskriminierung gibt. Das liegt einfach an dem säkularen Staatswesen. Dort gibt es keine Staatsreligion. Insofern sind alle Religionsgemeinschaften de jure, aber auch de facto gleichberechtigt. Es gibt natürlich andere Länder, wo entweder einfach ein liberalerer Islam gelebt wird oder auch die Herrscher jeweils die Christen als Allianzpartner gegen den Islamismus ansehen. Das ist zum Beispiel in Jordanien der Fall, das ist in Marokko der Fall, das war bzw. ist in Syrien der Fall, da weiß man momentan nicht, wie sich die Dinge entwickeln."

Verfolgung „im Namen Allahs" – so rechtfertigen extremistische Muslime oft die Verfolgung Andersgläubiger. Doch gibt es Hinweise im Koran, die eine Andersbehandlung anderer Religionen rechtfertigen würden? Dazu meint Breuer:

„Der Koran bezeichnet die Christen als Leute des Buches, als Empfänger einer göttlichen Offenbarung, die grundsätzlich zu achten sind, die aber den Muslimen moralisch-theologisch unterlegen sind . Der Islam ist die letzte und beste Religion, so sagt es der Koran. Damit ist letztlich auch gegeben, dass die Christen in islamischen Staaten untergeordnete Positionen einnehmen und die Muslime letztlich das Sagen haben. Insofern gibt es schon eine koranische Grundlegung für die Ungleichbehandlung – nicht für die Verfolgung, die wir jetzt vielerorts sehen, und für die gewaltsamen Übergriffe."

Extremisten gäben sich hier die Losung: „Christen sind Ungläubige, und Ungläubige müssen bekämpft werden", so Breuer. Auf der anderen Seite setzten sich aber viele liberale Muslime für eine Anpassung des Islams ein, fügt die Expertin an. Sie wollten den Koran „ins 21. Jahrhundert übersetzen" und Christen als „ebenbürtig und gleichberechtigt" behandeln. (rv)

Südafrika: Die Toten in der Platinmine

Eine „schockierende Eskalation der Gewalt": So nennen die Bischöfe von Südafrika das Massaker von Marikana. Über dreißig Menschen kamen dort am Donnerstag in einer Platinmine ums Leben, als die Polizei gegen Streikende vorging; fast achtzig Menschen wurden verletzt. Es war offenbar der blutigste Polizeieinsatz seit dem Ende der Apartheid in Südafrika im Jahr 1994. Die Polizisten verteidigen sich mit dem Hinweis, viele der Streikenden seien mit Macheten auf sie losgegangen. Im Lauf der Streikwoche sollen die Minenarbeiter zwei Polizisten totgeschlagen und einen Wachmann in seinem Auto lebendig verbrannt haben.

Der italienische Missionar Gianni Piccolboni arbeitet in der Nähe von Marikana. Im Gespräch mit Radio Vatikan erläuterte er die Hintergründe.

„Man kann schon sagen: Wo es Minen gibt, da ist die Lage fast immer katastrophal. Ich war vor kurzem mit dem Auto in der Gegend der Platinminen, mein Eindruck war: Zuviele Menschen auf einem Haufen und ohne Organisation. Da leben 30.000 Menschen weitab von jeder Stadt; das Förderunternehmen baut zwar angeblich einige Baracken für die Arbeiter, aber sowohl bei den Gold- wie bei den Silberminen haben sich in den letzten fünfzig Jahren unglaublich viele Konflikte, Unordnung und Kriminalität entwickelt. Diese Männer, die acht Stunden täglich unter Tage verbringen, sind nicht mehr dieselben, wenn sie abends rauskommen, sie sind nervös, ungeduldig. Sie fordern mit Recht ein Gehalt, das der Schwere ihrer Arbeit angemessen wäre, sie fühlen sich ihrer Rechte beraubt, gezwungen zu einem Leben unter unmenschlichen Umständen."

Die Meldungen von der Gewalt in Marikana haben viele Südafrikaner bestürzt: „Die Zeitbombe tickt nicht mehr, sie ist jetzt hochgegangen", urteilt eine Zeitung. Viele fühlen sich an die bleierne Zeit des Apartheid-Regimes erinnert.

„Die Apartheid zwischen Weißen und Schwarzen ist ja noch gar nicht richtig vorbei! Das wird noch viel Zeit brauchen. Zwar ändert sich vieles in Südafrika mit der Zeit zum Besseren, das Land ist auf einem interessanten Weg, aber den Krieg zwischen Armen und Reichen wird es hier immer geben. Und leider trägt in dieser Sache auch der Westen einen Teil der Verantwortung, denn von den großen Unternehmen, die in Südafrika investieren – Anglo American, De Beers – kommt ja keiner, um hier Sozialarbeit zu leisten: Die kommen, weil sie Interessen haben. Und diese Interessen lasten dann auf den Armen, das war immer schon so." (rv)