Papst bei Ökumene-Treffen: Die Predigt in vollem Wortlaut

Liebe Brüder und Schwestern!

„Nicht nur für diese hier bitte ich, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben" (Joh 17,20) – so hat Jesus nach dem Johannes-Evangelium im Abendmahlssaal zum Vater gesagt. Er bittet für die künftigen Generationen von Glaubenden. Er blickt über den Abendmahlssaal hinaus in die Zukunft hinein. Er hat gebetet auch für uns. Und er bittet um unsere Einheit. Dieses Gebet Jesu ist nicht einfach Vergangenheit. Immer steht er fürbittend für uns vor dem Vater, und so steht er in dieser Stunde mitten unter uns und will uns in sein Gebet hineinziehen. Im Gebet Jesu ist der innere Ort unserer Einheit. Wir werden dann eins sein, wenn wir uns in dieses Gebet hineinziehen lassen. Sooft wir uns als Christen im Gebet zusammenfinden, sollte uns dieses Ringen Jesu um uns und mit dem Vater für uns ins Herz treffen. Je mehr wir uns in dieses Geschehen hineinziehen lassen, desto mehr verwirklicht sich Einheit.
Ist das Gebet Jesu unerhört geblieben? Die Geschichte der Christenheit ist sozusagen die sichtbare Seite dieses Dramas, in dem Christus mit uns Menschen ringt und leidet. Immer wieder muß er den Widerspruch zur Einheit erdulden, und doch auch immer wieder vollzieht sich Einheit mit ihm und so mit dem dreieinigen Gott. Wir müssen beides sehen: Die Sünde des Menschen, der sich Gott versagt und sich in sein Eigenes zurückzieht, aber auch die Siege Gottes, der die Kirche erhält durch ihre Schwachheit hindurch und immer neu Menschen in sich hineinzieht und so zueinander führt. Deshalb sollten wir bei einer ökumenischen Begegnung nicht nur die Trennungen und Spaltungen beklagen, sondern Gott für alles danken, was er uns an Einheit erhalten hat und immer neu schenkt. Und diese Dankbarkeit muß zugleich Bereitschaft sein, die so geschenkte Einheit nicht zu verlieren mitten in einer Zeit der Anfechtung und der Gefahren.
Die grundlegende Einheit besteht darin, daß wir an Gott, den Allmächtigen, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben. Daß wir ihn als den Dreifaltigen bekennen – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die höchste Einheit ist nicht monadische Einsamkeit, sondern Einheit durch Liebe. Wir glauben an Gott – den konkreten Gott. Wir glauben daran, daß Gott zu uns gesprochen hat und einer von uns geworden ist. Diesen lebendigen Gott zu bezeugen ist unsere gemeinsame Aufgabe in der gegenwärtigen Stunde.
Braucht der Mensch Gott, oder geht es auch ohne ihn ganz gut? Wenn in einer ersten Phase der Abwesenheit Gottes sein Licht noch nachleuchtet und die Ordnungen des menschlichen Daseins zusammenhält, scheint es, daß es auch ohne Gott geht. Aber je weiter die Welt sich von Gott entfernt, desto klarer wird, daß der Mensch in der Hybris der Macht, in der Leere des Herzens und im Verlangen nach Erfüllung und Glück immer mehr das Leben verliert. Der Durst nach dem Unendlichen ist im Menschen unausrottbar da. Der Mensch ist auf Gott hin erschaffen und braucht ihn. Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muß es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht. Zu diesem Grundzeugnis für Gott gehört dann natürlich ganz zentral das Zeugnis für Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, der mit uns gelebt hat, für uns gelitten hat und für uns gestorben ist und in der Auferstehung die Tür des Todes aufgerissen hat. Liebe Freunde, stärken wir uns in diesem Glauben! Helfen wir uns, ihn zu leben. Dies ist eine große ökumenische Aufgabe, die uns mitten ins Gebet Jesu hineinführt.
Die Ernsthaftigkeit des Glaubens an Gott zeigt sich im Leben seines Wortes. Sie zeigt sich in unserer Zeit ganz praktisch im Eintreten für das Geschöpf, das er als sein Ebenbild wollte – für den Menschen. Wir leben in einer Zeit, in der die Maßstäbe des Menschseins fraglich geworden sind. Ethik wird durch das Kalkül der Folgen ersetzt. Demgegenüber müssen wir als Christen die unantastbare Würde des Menschen verteidigen, von der Empfängnis bis zum Tod – in den Fragen von PID bis zur Sterbehilfe. „Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen", hat Romano Guardini einmal gesagt. Ohne Erkenntnis Gottes wird der Mensch manipulierbar. Der Glaube an Gott muß sich in unserem gemeinsamen Eintreten für den Menschen konkretisieren. Zum Eintreten für den Menschen gehören nicht nur diese grundlegenden Maßstäbe der Menschlichkeit, sondern vor allem und ganz praktisch die Liebe, wie sie uns Jesus im Gleichnis vom Weltgericht lehrt (Mt 25): Der richtende Gott wird uns danach beurteilen, wie wir den Nächsten, wie wir den Geringsten seiner Brüder begegnet sind. Die Bereitschaft, in den Nöten dieser Zeit über den eigenen Lebensrahmen hinaus zu helfen, ist eine wesentliche Aufgabe des Christen.
Dies gilt zunächst im persönlichen Lebensbereich jedes einzelnen. Es gilt dann in der Gemeinschaft eines Volkes und Staates, in der alle füreinander einstehen müssen. Es gilt für unseren Kontinent, in dem wir zur europäischen Solidarität gerufen sind. Und es gilt endlich über alle Grenzen hinweg: Die christliche Nächstenliebe verlangt heute auch unseren Einsatz für die Gerechtigkeit in der weiten Welt. Ich weiß, daß von den Deutschen und von Deutschland viel getan wird, damit allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht wird, und möchte dafür ein Wort herzlichen Dankes sagen.
Schließlich möchte ich noch eine tiefere Dimension unserer Verpflichtung zur Liebe ansprechen. Die Ernsthaftigkeit des Glaubens zeigt sich vor allem auch dadurch, daß er Menschen inspiriert, sich ganz für Gott und von Gott her für die anderen zur Verfügung zu stellen. Die großen Hilfen werden nur konkret, wenn es vor Ort diejenigen gibt, die ganz für den anderen da sind und damit die Liebe Gottes glaubhaft werden lassen. Solche Menschen sind ein wichtiges Zeichen für die Wahrheit unseres Glaubens.
Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte. Die Gaben, die dabei genannt wurden, brauche ich nicht einzeln anzuführen. Dazu möchte ich sagen, daß dies ein politisches Mißverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt. Wenn ein Staatsoberhaupt ein befreundetes Land besucht, gehen im allgemeinen Kontakte zwischen den Instanzen voraus, die den Abschluß eines oder auch mehrerer Verträge zwischen den beiden Staaten vorbereiten: In der Abwägung von Vor- und Nachteilen entsteht der Kompromiß, der schließlich für beide Seiten vorteilhaft erscheint, so daß dann das Vertragswerk unterschrieben werden kann. Aber der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit. Auf solche Weise ist in den letzten 50 Jahren, besonders auch seit dem Besuch von Papst Johannes Paul II. vor 30 Jahren viel Gemeinsamkeit gewachsen, für die wir nur dankbar sein können. Ich denke gern an die Begegnung mit der von Bischof Lohse geführten Kommission zurück, in der solches gemeinsames Hineindenken und Hineinleben in den Glauben geübt wurde. Allen, die daran mitgewirkt haben, besonders von katholischer Seite Kardinal Lehmann, möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen. Ich versage mir, weitere Namen zu nennen – der Herr kennt sie alle. Miteinander können wir alle nur dem Herrn danken für die Wege der Einheit, die er uns geführt hat, und in demütigem Vertrauen einstimmen in sein Gebet: Laß uns eins werden, wie du mit dem Vater eins bist, damit die Welt glaube, daß er dich gesandt hat (vgl. Joh 17,21). (rv)

Papst in Deutschland: Sicherheitsstufe eins

Hubschrauber am Freiburger Himmel, Polizisten und viele „unsichtbare" Sicherheitskräfte, die alle Schauplätze des Papstbesuches bis auf den letzten Millimeter absichern: Wenn Papst Benedikt XVI. in der kleinen Stadt im Breisgau eintrifft, ist jedes verdächtige Objekt schon längst beiseite geschafft. Die Sicherheitsstufe eins gilt weltweit nur für fünf Menschen: Die Präsidenten Amerikas, Russlands, Israels, Afghanistans und eben für den Papst. Insgesamt 15.000 Helfer und Helferinnen sind allein am kommenden Sonntag zur Absicherung der Eucharistiefeier auf dem Flughafengelände bei Freiburg im Einsatz, davon 4.000 Beamte von der Landes- und 1.000 von der Bundespolizei. Einen Tag vor Ankunft des Papstes wird jeder Raum des Freiburger Priesterseminars, wo der Papst nächtigt und wo die Begegnungen mit dem ZdK, den Ortodoxen und auch Helmut Kohl stattfinden, noch einmal gründlich durchsucht. Dabei seien auch ein Paar Gegenstände der Seminaristen wieder aufgetaucht, die diese lange verloren glaubten, schmunzelt Johannes Heinzen, Leiter der technischen Einsatzhundertschaft Sankt Augustin, die für die Sicherung der Papstunterkunft zuständig ist. Unsere Kollegin Anne Preckel hat an diesem Freitag mit ihm vor dem Priesterseminar gesprochen. (rv)

Treffen mit Juden: Die Papstrede im Volltext

Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich freue mich über diese Zusammenkunft mit Ihnen hier in Berlin. Ganz herzlich danke ich Präsident Dr. Dieter Graumann für die freundlichen Worte der Begrüßung. Sie machen mir deutlich, wie viel Vertrauen gewachsen ist zwischen dem jüdischen Volk und der katholischen Kirche, die einen nicht unwesentlichen Teil ihrer grundlegenden Traditionen gemeinsam haben. Zugleich ist uns allen klar, daß ein liebendes verstehendes Ineinander von Israel und Kirche im jeweiligen Respekt für das Sein des anderen immer noch weiter wachsen muß und tief in die Verkündigung des Glaubens einzubeziehen ist.
Bei meinem Besuch in der Kölner Synagoge vor sechs Jahren sprach Rabbiner Teitelbaum über die Erinnerung als eine der Säulen, die man braucht, um darauf eine friedliche Zukunft zu gründen. Und heute befinde ich mich an einem zentralen Ort der Erinnerung, der schrecklichen Erinnerung, daß von hier aus die Shoah, die Vernichtung der jüdischen Mitbürger in Europa geplant und organisiert wurde. In Deutschland lebten vor dem Naziterror ungefähr eine halbe Million Juden, die einen festen Bestandteil der deutschen Gesellschaft bildeten. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Deutschland als das „Land der Shoah", in dem man eigentlich nicht mehr leben konnte. Es gab zunächst kaum Anstrengungen, die alten jüdischen Gemeinden neu zu begründen, auch wenn von Osten her stetig jüdische Einzelpersonen und Familien einreisten. Viele von ihnen wollten auswandern und sich vor allem in den Vereinigten Staaten oder in Israel eine neue Existenz aufbauen.
An diesem Ort muß auch erinnert werden an die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Nur wenige sahen die ganze Tragweite dieser menschenverachtenden Tat, wie der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der von der Kanzel der Sankt-Hedwigs-Kathedrale den Gläubigen zurief: „Draußen brennt der Tempel – das ist auch ein Gotteshaus". Die nationalsozialistische Schreckensherrschaft gründete auf einem rassistischen Mythos, zu dem die Ablehnung des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, des Gottes Jesu Christi und der an ihn glaubenden Menschen gehörte. Der „allmächtige" Adolf Hitler war ein heidnisches Idol, das Ersatz sein wollte für den biblischen Gott, den Schöpfer und Vater aller Menschen. Mit der Verweigerung der Achtung vor diesem einen Gott geht immer auch die Achtung vor der Würde des Menschen verloren. Wozu der Mensch, der Gott ablehnt, fähig ist, und welches Gesicht ein Volk im Nein zu diesem Gott haben kann, haben die schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern bei Kriegsende gezeigt.
Angesichts dieser Erinnerung ist dankbar festzustellen, daß sich seit einigen Jahrzehnten eine neue Entwicklung zeigt, bei der man geradezu von einem Aufblühen jüdischen Lebens in Deutschland sprechen kann. Es ist hervorzuheben, daß sich die jüdische Gemeinschaft in dieser Zeit besonders um die Integration osteuropäischer Einwanderer verdient gemacht hat.
Anerkennend möchte ich auch auf den sich vertiefenden Dialog der katholischen Kirche mit dem Judentum hinweisen. Die Kirche empfindet eine große Nähe zum jüdischen Volk. Mit der Erklärung Nostra aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde ein „unwiderruflicher Weg des Dialogs, der Brüderlichkeit und der Freundschaft" eingeschlagen (vgl. Rede in der Synagoge in Rom, 17. Januar 2010). Dies gilt für die katholische Kirche als ganze, in der der selige Papst Johannes Paul II. sich besonders intensiv für diesen neuen Weg eingesetzt hat. Es gilt selbstverständlich auch für die katholische Kirche in Deutschland, die sich ihrer besonderen Verantwortung in dieser Sache bewußt ist. In der Öffentlichkeit wird vor allem die „Woche der Brüderlichkeit" wahrgenommen, die von den lokalen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit jedes Jahr in der ersten Märzwoche organisiert wird.
Von katholischer Seite gibt es zudem jährliche Treffen zwischen Bischöfen und Rabbinern sowie strukturierte Gespräche mit dem Zentralrat der Juden. Schon in den 70er Jahren trat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mit der Errichtung eines Gesprächskreises „Juden und Christen" hervor, der in fundierter Weise im Laufe der Jahre viele hilfreiche Verlautbarungen hervorgebracht hat. Nicht unerwähnt bleiben soll das historische Treffen im März 2006 für den jüdisch-christlichen Dialog unter Beteiligung von Kardinal Walter Kasper. Diese Zusammenkunft hat bis in jüngste Zeit reiche Früchte getragen.
Neben diesen lobenswerten konkreten Initiativen scheint mir, daß wir Christen uns auch immer mehr unserer inneren Verwandtschaft mit dem Judentum klar werden müssen. Für Christen kann es keinen Bruch im Heilsgeschehen geben. Das Heil kommt nun einmal von den Juden (vgl. Joh 4,22). Wo der Konflikt Jesu mit dem Judentum seiner Zeit in oberflächlicher Manier als eine Loslösung vom Alten Bund gesehen wird, wird er auf die Idee einer Befreiung hinauslaufen, die die Tora nur als sklavische Befolgung von Riten und äußeren Observanzen betrachtet. Tatsächlich hebt die Bergpredigt das mosaische Gesetz nicht auf, sondern enthüllt seine verborgenen Möglichkeiten und läßt neue Ansprüche hervortreten. Sie verweist uns auf den tiefsten Grund menschlichen Tuns, das Herz, wo der Mensch zwischen dem Reinen und dem Unreinen wählt, wo sich Glaube, Hoffnung und Liebe entfalten.
Die Hoffnungsbotschaft, die die Bücher der hebräischen Bibel und des christlichen Alten Testaments überliefern, ist von Juden und Christen in unterschiedlicher Weise angeeignet und weitergeführt worden. „Wir erkennen es nach Jahrhunderten des Gegeneinanders als unsere heutige Aufgabe, daß diese beiden Weisen der Schriftlektüre – die christliche und die jüdische – miteinander in Dialog treten müssen, um Gottes Willen und Wort recht zu verstehen" (Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, S. 49) Dieser Dialog soll die gemeinsame Hoffnung auf Gott in einer zunehmend säkularen Gesellschaft stärken. Ohne diese Hoffnung verliert die Gesellschaft ihre Humanität.
Insgesamt dürfen wir feststellen, daß der Austausch der katholischen Kirche mit dem Judentum in Deutschland schon verheißungsvolle Früchte getragen hat. Beständige vertrauensvolle Beziehungen sind gewachsen. Juden und Christen haben gewiß eine gemeinsame Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft, die immer auch eine religiöse Dimension hat. Mögen alle Beteiligten diesen Weg gemeinsam weitergehen. Dazu schenke der Einzige und Allmächtige, Ha Kadosch Baruch Hu, seinen Segen. (rv)

Analyse: In der Sprache Luthers gesprochen *

Das Wichtigste vorweg: Die Einladung steht. Eine Einladung, das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam zu feiern, als Moment gemeinsamer Kirchengeschichte. Ausgesprochen hat sie der Präses der EKD, Nikolaus Schneider, in seiner Ansprache in Erfurt. Luther sei ein Scharnier zwischen beiden Konfessionen, er habe schließlich beiden angehört. So offen und vor allem offiziell haben wir das bislang noch nicht gehört. Ein gutes Zeichen für beide Seiten.
Damit ist aber nicht nur ein Einzelereignis oder eine Einzelmeldung gegeben. Das Gedächtnis Luthers stand mehr im Zentrum der Begegnung in Erfurt, als die Symbolik des Luther-Klosters Erfurt das vielleicht hat vermuten lassen. Luther war sozusagen ständig gegenwärtig.

Treffen mit Martin Luther

Der Papst hat sich auf die Ökumene-Begegnung gefreut, das hat er wiederholt gesagt. Er hat in einem öffentlich gewordenen Brief an Präses Schneider im Frühjahr betont, wie wichtig ihm persönlich dieser Teil der Reise ist. In den Ansprachen an den Papst durch den Bundespräsidenten und den Bundestagspräsidenten ist diese Erwartung noch einmal verstärkt worden. Der Satz Wulffs, dass die Trennung der Rechtfertigung bedürfe, nicht die Einheitsbemühungen, war vielen, wenn nicht allen Christen in Deutschland aus dem Herzen gesprochen. Für die Hoffnung auf baldige Schritte, die Norbert Lammert am Donnerstag im Dt. Bundestag aussprach, gilt Ähnliches.

Vor diesem Hintergrund mögen die Worte des Papstes zunächst einmal hart klingen. Keine Gastgeschenke wolle er bringen, womit schnelle Lösungen für die Trennung gemeint waren. Ein Kollege – ein evangelischer – brachte es auf den Punkt: Man sei in der Stadt Luthers, da müsse man sprechen wie Luther. Klar und deutlich, kein Blatt vor den Mund. Der Papst will Redlichkeit und Offenheit. Er wirft niemandem vor, das nicht zu sein, weit entfernt. Aber er lässt das Thema Ökumene im Raum des ernsthaften Dialoges. Die Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche auf der einen, das in lutherischer Klarheit ausgedrückte theologische Denken auf der anderen, das ist die Weise, wie die Ökumene der „Begegnung von Erfurt" geschieht. Inhaltlich hat dieser Dialog in Martin Luther seinen – berechtigten – Fokus gefunden, und das nicht nur durch die Einladung zur gemeinsamen Feier.

„Was Christum treibet"

Luther war allgegenwärtig. Zunächst in der kräftigen Sprache, in der der Psalm zu Beginn der ökumenischen Feier verlesen wurd. Er war das Zentrum der Feier, und zwar nach Überzeugung aller nicht als Beginn der Trennung, sondern in der ihn Zeit seines Lebens drängenden Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?". Präses Schneider betont, bereits die Reformation habe sich selbst als Umkehr zu Christus verstanden. Papst Benedikt XVI. formulierte die Suche Luthers so: „Diese Frage hat ihn ins Herz getroffen und stand hinter all seinem theologischen Suchen und Ringen. Theologie war für ihn … das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott." Dies sei für Luther „Kraft seines ganzen Weges" gewesen. Die Orientierung dieses Denkens und das hermeneutische Prinzip der Schriftauslegung sei für Luther „Was Christum treibet" gewesen, auch hier liegen der Papst und seine Gastgeber ganz auf einer Linie. Luther wird in dieser Begegnung zum Scharnier, besser noch zum Begegnungspunkt der Konfessionen.

„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?"

Benedikt XVI. nennt in seinen Worten zu Beginn des ökumenischen Gesprächs die „Fehler des konfessionellen Zeitalters". Man habe nur das Trennende gesehen. Nun gelte es, die Gemeinsamkeiten weiter auszudeuten und zu leben. Wohin soll es gehen? Auch da sind sich alle Gesprächsteilnehmer einig, und auch die Tatsache des gemeinsamen Betens zeigt es: Jesus Christus in der Gesellschaft heute sichtbar zu machen. In der „Abwesenheit Gottes" und in der „Verdünnung des Glaubens" brauche es neu „neu gedachten, neu gelebten" Glauben. Präses Schneider formuliert die Kirche der Reformation als Kirche der Freiheit, unter der aber keinesfalls die Beliebigkeit zu verstehen sei. Im Kern der Bindung, die diese Freiheit braucht, steht Christus. Das gemeinsame Ringen und Suchen, denken und leben des Glaubens ist also die ökumenische Aufgabe der Zukunft. Ein Satz, dem auch Martin Luther mit ganzem Herzen zustimmen würde. (rv)

* von unserem Redaktionsleiter, Jesuitenpater Bernd Hagenkord, der den Papst auf seiner Deutschlandreise begleitet

Papst bei ökumenischem Gottesdienst: „Keine Kompromisse eingehen“

In seiner Predigt in Erfurt beklagte der Papst die Spaltung der Christenheit. Jesus habe doch im Abendmahlssaal so dringend für die Einheit gebetet.
„Ist das Gebet Jesu unerhört geblieben? Die Geschichte der Christenheit ist sozusagen die sichtbare Seite dieses Dramas, in dem Christus mit uns Menschen ringt und leidet."
Doch die Christen sollten „nicht nur die Trennungen und Spaltungen beklagen, sondern Gott für alles danken, was er uns an Einheit erhalten hat und immer neu schenkt", riet der Papst.
„Die grundlegende Einheit besteht darin, daß wir an Gott, den Allmächtigen, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben. Daß wir ihn als den Dreifaltigen bekennen – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die höchste Einheit ist nicht monadische Einsamkeit, sondern Einheit durch Liebe."
Aber brauche der Mensch Gott, oder gehe es nicht „auch ohne ihn ganz gut"? Nein, bekräftigte der Papst:
„Der Durst nach dem Unendlichen ist im Menschen unausrottbar da. Der Mensch ist auf Gott hin erschaffen und braucht ihn. Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muß es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht."
Der Glaube an Gott müsse sich „in unserem gemeinsamen Eintreten für den Menschen konkretisieren" – ein Seitenhieb darauf, dass katholische und evangelische Kirche in vielen ethischen Fragen, etwa PID, nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden.
„Die Ernsthaftigkeit des Glaubens zeigt sich vor allem auch dadurch, daß er Menschen inspiriert, sich ganz für Gott und von Gott her für die anderen zur Verfügung zu stellen… Solche Menschen sind ein wichtiges Zeichen für die Wahrheit unseres Glaubens."
Und was war mit den hohen Erwartungen, die man in ökumenischer Hinsicht mit dem Papstbesuch verknüpft?
„Die Gaben, die dabei genannt wurden, brauche ich nicht einzeln anzuführen. Dazu möchte ich sagen, daß dies ein politisches Mißverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt."
Sein Besuch sei ja nicht wie der eines Staatsmannes, mit dem man Verträge schließt und dabei Kompromisse eingeht, so Benedikt XVI.
„Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit." (rv)

P. Hagenkord: „Papst hat klare Worte gefunden“

Während des Deutschlandbesuches des Papstes ist für Radio Vatikan auch unser Redaktionsleiter, Pater Bernd Hagenkord, dabei. Wie sind die ersten Ereignisse aus der Sicht seines „Gefolges" von Journalisten verlaufen?

„Es war zunächst einmal ein ruhiger und wie gewohnt professioneller Flug, ein kurzer Flug noch dazu, fast schon zu kurz, um die übliche Pressekonferenz abzuhalten.
Der Papst beantwortete Fragen zu seinem „Deutschsein", ob er sich denn als Deutscher fühle, er sprach zum Missbrauch und zu den Kirchenaustritten in Deutschland. Aber er tat das vor allem in Italienisch. Es ist meine Erfahrung der letzten Tage und Wochen, dass es sehr schwierig ist, außerhalb der Deutsch sprechenden Länder zu vermitteln, wie genau die deutsche Kirche so funktioniert. Deswegen war es wahrscheinlich sehr wichtig, dass der Papst das für die Weltpresse auf Italienisch tat.
Gerade in der internationalen Presse sind in den letzten Tagen viele unsinnige und verzerrende Darstellungen über die Kirche in Deutschland geschrieben worden, über Austritte und so weiter, da hat der Papst gut und klar seine Worte zu gefunden."

Wir müssen aber auch auf die Proteste in Berlin eingehen. Waren die im Ablauf der Papstreise sichtbar? Haben die Einfluss auf den Ablauf oder gar den Inhalt?

„Während des Fluges hat der Papst natürlich darauf Bezug genommen. Aber viel wichtiger finde ich, dass die Besuchten, in diesem Fall erst einmal der Bundespräsident und die Kanzlerin, das auch getan haben. Sie haben das nicht konkret angesprochen, aber genau das gemacht, was so kritisiert wird, sie haben den Papst als Staatsgast angesprochen und empfangen.
Bundeskanzlerin Merkel hat ganz klar die europäische Einigung und die Finanzmärkte angesprochen, dass sind politische Themen. Der Papst wird als jemand empfangen, der für Deutschland und Europa nicht nur in geistlicher und kirchlicher Hinsicht wichtig ist, der auch für die ganze Gesellschaft und für die Politik wichtig ist.
Beim Willkommen in Schloss Bellevue hat Bundespräsident Wulff ebenfalls konkret Erwartungen angesprochen, zwar eher was bürgerliches Engagement angeht, aber trotzdem sehr klar und deutlich. Das waren nicht nur höfliche Worte, hier wird sichtbar, dass der Papst und die Kirche zur Gesellschaft und zum Staat beitragen können, dass das erwartet wird. Das ist ganz klar der Besuch eines Staates, nicht nur der Kirche." (rv)