D: Zollitsch erwartet eine Herausforderung

Er ist einer der Gastgeber Benedikts in Deutschland: der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Kurz vor der Ankunft des hohen Gastes aus Rom hat er vor Journalisten präzisiert, welche Herausforderungen den Papst bei seinem Besuch in Deutschland erwarten und welche Botschaft er den Menschen bringen wird.

„Der Heilige Vater kennt die Situation in Deutschland, er weiß, dass bei uns der christliche Glaube – das gilt für die evangelische Kirche wie für uns als Katholiken – es tatsächlich schwer hat. Wir spüren, die Zahl derer, die ihren Glauben praktizieren, geht zurück. Wir spüren auch, dass die Teilnahme am Gottesdienst zurückgegangen ist, ja es ist eine gewisse Laizität, die bei uns um sich greift, und es ist – wie der Papst sagt – eine Situation des Relativismus, wo vieles gleich gültig nebeneinander steht. Er wird die Herausforderung an uns stellen, uns auf Gott einzulassen, auf Gott zu besinnen und zu sagen: Ja, die Gottesfrage ist die entscheidende Frage der Gegenwart. Es kommt darauf an, wie wir Gott erfahren. Sie erinnern sich vielleicht an sein Wort zum Sonntag, das er vergangenen Sonntag gesprochen hat, wo er dann im zweiten Teil gerade auf diese Frage kommt und er in einer schlichten Weise darüber nachdenkt, wie wir Gott begegnen können. Wir können Gott begegnen in seiner Schöpfung: indem wir ahnen, welche Herrlichkeit dahinter steht. Wir können Gott begegnen in seinem Wort, in der Heiligen Schrift. Wir können Gott begegnen über Menschen, die von Gott erfüllt sind und die etwas von dem weitergeben, was sie erfahren haben.

Er wird hier eine sehr zentrale Botschaft an uns richten, und uns auch ein bisschen aufrütteln, dass wir nicht in der Frage der Finanzen stecken bleiben. Dass wir die Werte in den Blick nehmen, von denen wir als Gesellschaft und auch Europa leben. Das scheint mir sehr wichtig zu sein, denn er wird zweifellos im Bundestag dazu ermutigen, den Weg nach Europa gemeinsam zu gehen und in Europa gemeinsam fortzusetzen. Insofern werden gerade in der Auseinandersetzung mit der Frage nach Gott, mit der Frage nach dem Relativismus, mit der Frage nach dem, wofür zu leben sich eigentlich lohnt, auch eine ganze Reihe provokanter Fragen, Antworten, Herausforderungen dabei sein."

Die von Erzbischof Robert Zollitsch erwähnte Rede des Papstes vor dem Deutschen Bundestag wird heute Nachmittag gegen 16.30 Uhr stattfinden. (rv)

Der Papst kommt: Unsere Presseschau

Fast alle deutschen Zeitungen berichten heute auf ihren Titelseiten über den Papstbesuch. Die meiste Aufmerksamkeit erhält dabei das Interview der KNA mit Bundespräsident Christian Wulff. Wulff, geschiedener und wiederverheirateter Katholik, wünscht sich vom Papst ein Wort zu dieser Situation, in der auch viele andere Katholiken sind.

Zwei überregionale Tageszeitungen heben die Aussagen Wulffs auf ihre Titelseiten: die Süddeutsche Zeitung und die Welt. Wenn sich die Lebenslinien nicht verwirklichen ließen, könne es bei fairem Umgang untereinander für alle Beteiligten besser sein, sich zu trennen. Er habe hierzu in der Kirche durchaus auch viel Differenzierung erlebt, so zitiert die „Welt" den Präsidenten. Der bekennend katholische Vatikanberichterstatter Paul Badde widmet die ganze letzte Seite des Politikteils dem Papstbesuch. Benedikt komme nicht als Kreuzritter, sondern als Diener seiner Kirche. Der Titel über dem Artikel: „Besuch eines Machtlosen".

Die linksliberale Süddeutsche Zeitung bringt ebenfalls die Aussagen Wulffs auf der ersten Seite. Im Blattinneren heißt es, Deutschland sei ein besonders schwieriges Pflaster für den deutschen Papst. Außerdem mache die Kirche ein großes Geheimnis aus einem möglichen Treffen zwischen Papst und Missbrauchsopfern.

Die liberalkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung bringt auf dem Titel eine nüchterne Zusammenfassung des Papstprogramms. Im Blattinneren heißt es, die Päpste rufen eigentlich überall, wo sie hingehen, Proteste hervor, sie seien „ein leichtes Ziel für alle Unzufriedenen". Allerdings würden die Kundgebungen in Berlin wohl besonders „geschmacklos" sein, „ätzender, verletzender, aggressiver".

Die traditionell papstfreundliche „Bild" mit ihren 12 Millionen Lesern beschränkt ihre Informationen über den Papstbesuch auf den Satz „Benedikt XVI. ist heute auf Berlin-Besuch". Dafür heißt sie ihn mit einem „Grüß Gott, Heiliger Vater!" auf dem Titel willkommen. Auf der mittigen Doppelseite prangt ein Papstbild, das sich aus 10.000 winzigen Fotos von papstfreundlichen Lesern zusammensetzt, die sich eigens zu diesem Anlass fotografieren ließen.

„Der Papst ist da, Berlin steht still", schreibt der linksliberale Berliner Tagesspiegel auf der Titelseite. Im Inneren widmet er dem Papst einen ausgewogenen Artikel, der Benedikts große Grundthemen referiert: nicht die Krise des Euro oder die – gleichwohl schrecklichen – Missbrauchsfälle durch Kleriker, sondern die Anwesenheit Gottes in der Welt, in der Politik, in der Gesellschaft. Relativ viel Platz wird den Anliegen des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, eingeräumt. Er möchte mit dem Papst auch über das sprechen, was den Juden im Verhältnis zur Kirche „weht tut", etwa die Annäherung an die traditionalistische Piusbruderschaft.
(rv)

Papst in Berlin offiziell begrüßt

Ankunft des Papstes in Berlin – jetzt geht er los, der mit Spannung erwartete Staatsbesuch zu Hause. Benedikt wird am Donnerstag Morgen auf dem Berliner Flughafen Tegel mit 21 Salutschüssen begrüßt. Es ist seine 21. internationale Auslandsreise – und schon die dritte nach Deutschland, aber die erste in die Hauptstadt. Bei kräftigem Wind ein Händedruck mit Bundespräsident Christian Wulff und seiner Frau, mit Kanzlerin Angela Merkel und fast dem gesamten Bundeskabinett.

Dann geht`s zur offiziellen Begrüßungszeremonie nach Schloß Bellevue im Westteil von Berlin. Hier erklingen bei Sonnenschein die Nationalhymnen, und Benedikt setzt mit seiner seiner ersten Rede auf deutschem Boden den Akzent dieser Visite. Auch wenn dieser Besuch ein offizieller sei, so komme er doch nicht, „um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sondern um den Menschen zu begegnen und über Gott zu sprechen".

„Der Religion gegenüber erleben wir eine zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, die bei ihren Entscheidungen die Wahrheitsfrage eher als ein Hindernis ansieht und statt dessen Nützlichkeitserwägungen den Vorrang gibt. Es bedarf aber für unser Zusammenleben einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus. Die Religion ist eine dieser Grundlagen für ein gelingendes Miteinander. „Wie die Religion der Freiheit bedarf, so bedarf auch die Freiheit der Religion". Dieses Wort des großen Bischofs und Sozialreformers Wilhelm von Ketteler, dessen zweihundertsten Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, ist heute nach wie vor aktuell."

Freiheit brauche „die Rückbindung an eine höhere Instanz", so Benedikt: „Dass es Werte gebe, „die durch nichts und niemand manipulierbar sind", sei „die eigentliche Gewähr unserer Freiheit". Und ohne Solidarität gebe es gar keine Freiheit:

„Was ich auf Kosten des anderen tue, ist keine Freiheit, sondern schuldhaftes Handeln, das den anderen und auch mich selbst beeinträchtigt. Wirklich frei entfalten kann ich mich nur, wenn ich meine Kräfte auch zum Wohl der Mitmenschen einsetze. Das gilt nicht nur für den Privatbereich, sondern auch für die Gesellschaft. Diese hat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den kleineren Strukturen ausreichend Raum zur Entfaltung zu geben und zugleich eine Stütze zu sein, damit sie einmal auf eigenen Beinen stehen können."

Das war gleich ein sehr grundsätzlicher Einstieg in die Papstreise: eine Vorlage für den Auftritt im Deutschen Bundestag vom Nachmittag.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die von der Verantwortung vor Gott und voreinander gestaltete Kraft der Freiheit zu dem geworden, was sie heute ist. Sie braucht diese Dynamik, die alle Bereiche des Humanen einbezieht, um unter den aktuellen Bedingungen sich weiter entfalten zu können. Sie braucht dies in einer Welt, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist."

Vor dem Papst hatte Bundespräsident Wulff das Wort ergriffen: Der katholische Politiker sprach diesmal nicht von der „bunten Republik Deutschland", doch er zeichnete durchaus ein Porträt des Staates, den Benedikt jetzt besucht.

„Sie kommen in ein Land, dessen Geschichte und Kultur eng verflochten sind mit dem christlichen Glauben und mit dem Ringen um diesen Glauben… Sie kommen auch in ein Land, in dem der christliche Glaube sich nicht mehr von selbst versteht, in dem die Kirche ihren Ort in einer pluralen Gesellschaft neu bestimmen muss. Auch hier in Berlin, wo Ihre Reise beginnt, ist das spürbar."

Es sei „wichtig, dass die Kirchen den Menschen nahe bleiben, dass sie sich trotz Sparzwängen und Priestermangel nicht auf sich selbst zurückziehen", meinte Wulff. Kirche und Staat seien zwar „zu Recht getrennt".

„Aber: Kirche ist keine Parallelgesellschaft. Sie lebt mitten in dieser Gesellschaft, mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit. Deswegen ist sie auch selbst immer wieder von neuen Fragen herausgefordert: Wie barmherzig geht sie mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern? Welchen Platz haben Laien neben Priestern, Frauen neben Männern? Was tut die Kirche, um ihre eigene Spaltung in katholisch, evangelisch und orthodox zu überwinden?"

Er freue sich darüber, dass die katholische Kirche in Deutschland einen Dialogprozess begonnen habe. Die engagierten Laien versprächen sich sehr viel davon – „und die Kirche braucht sie doch alle", so Wulff. (rv)