Der Karsamstag: Eine geistliche Betrachtung

Von Pater Eberhard von Gemmingen SJ
Erlauben Sie mir einen Vergleich unserer derzeitigen kirchlichen Situation im deutschen Sprachraum mit Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag.
Wir durchleben augenblicklich in der katholischen Kirche deutscher Sprache meiner Ansicht nach eine Art Karfreitag. Es ist auf weite Strecken düster um uns: Die Kirchen werden leerer, die Jugend fehlt, die Kirchenmitglieder streiten, sind uneins, für den Papst und gegen ihn. Der öffentliche Eindruck ist, dass es mit dem Christentum im Herzen Europas zu Ende geht, dass die Welt zwar Spiritualität sucht, aber nicht in der Kirche. Dazu kommen die Fälle sexuellen Missbrauchs und andere Sünden von Kirchenleuten. Wünsche von der so genannten Basis, unglückliche Kommunikation von den Verantwortlichen. Man könnte lange fortfahren. Düstere Stimmung, Untergangsstimmung. Christus scheint in der Kirche zu sterben. Vielleicht male ich zu düster. Manchen aber mag es so scheinen.
Nun feiert die Kirche heute Karsamstag. Bedeutet das auch für das Leben der Kirche Dämmerung vor dem Sonnenaufgang der Auferstehung. Ich hoffe es. Viele hoffen mit mir. Was aber muss am Karsamstag geschehen, damit es ein neues Ostern gibt? Was müssen wir tun für ein neues Ostern?
Ich schlage vor, wir treffen uns im Geiste in Jerusalem im Haus von Maria Magdalena. Sie stand beim Kreuz Christi und hat Jesus besonders gut von innen her gekannt. Ihre Präsenz soll uns inspirieren.
Jede Einzelne und jeder Einzelne sollte sich in großer Stille und mit Zeit besinnen und sich fragen, was ihr oder ihm Jesus bedeutet. Was er für eine Rolle spielt im persönlichen, privaten Leben. Wir bleiben ja allzu oft in unserem Glauben an Äußerlichkeiten hängen, an Entscheidungen aus Rom, die wir nicht verstehen oder nicht gut finden, an Worten und Taten von Bischöfen, an Kirchenleuten, die nicht so denken wie wir. Ist das so wichtig? Vergeuden wir nicht zu viel Zeit und Kraft mit Fragen, die letztlich unwichtig sind.
Wenn wir eine Weile privat reflektiert haben, sollten wir uns austauschen, sollten wir, die wir ein neues Ostern herbeisehnen, mit den anderen sprechen. Ich denke, dann könnte herauskommen, dass wir gemeinsam auch öffentlich von unserem Glauben an Jesus Christus sprechen sollten. Es fehlen doch Menschen, die ohne Scheu vom Jesus Christus sprechen. Man muss es ja nicht penetrant, aufdringlich tun, es kann sogar mit Lächeln und Humor geschehen. Wenn die Apostel nur glauben, aber nicht sprechen, läuft etwas schief. Vor allem läuft es schief, wenn sie nur klagen. Dann kann nicht Ostern werden.
Und drittens sollten die Apostel schauen, wie es andere Christen halten. Wenn die Christen Europas nämlich über ihre Grenzen hinausschauen, dann werden sie sehen, dass für Jammern und Klagen keine Notwendigkeit besteht. Weltweit wächst die Zahl der Christen, wächst die Zahl der Priester. Wer ein wenig über die verschiedenen Kulturen weiß, weiß auch, dass in Europa so viel Recht und Solidarität herrschen, weil die meisten Europäer einmal Christen waren. Religion schafft Kultur. Christlicher Glaube schuf Europa. Wir sollten unsre Wurzeln kennen, stolz sein auf sie. Wir könnten auch beobachten, wie christlicher Glaube heute auch auf anderen Kontinenten gute Beiträge leistet für eine humanere Kultur.
Wenn wir langsam aufhören, die eigenen Kirchenwunden zu lecken, dann kann Glaube wachsen und leben. Nur wenn wir vom gekreuzigten Karfreitagschristus her kommen und auf Ihn hinzielen, können wir dazu beitragen, dass die Kirche ihren Beitrag leistet für die Menschen von heute. Karsamstag bedeutet also jetzt für uns Ruhe, Schweigen, Innehalten, beim Leib Christi ausharren, von ihm Kraft tanken. Dann kann die Ostersonne aufgehen.
Wir können aber eine neue lebendige Kirche nicht produzieren, ebenso wenig wie wir Auferstehung von uns aus herstellen können. Auferstehung ist ein Geschenk, das wir nur erbitten können. Das eigentliche Kirchenleben können wir nicht machen, nicht herstellen. Da kann uns keine Unternehmensberatung wirklich helfen. Lebendige Kirche entsteht auch nicht durch rechtliche Maßnahmen aus Rom. Auch wenn heute bewährte, verheiratete Männer zu Priestern geweiht würden, würde das Kirchenleben dadurch nicht automatisch aufblühen. Das eigentliche Leben des Glaubens in der Kirche ist immer ein Geschenk, nie Frucht guten Managements. Dass Glauben erblüht, ist immer ein Geheimnis, wie das Aufblühen von neuem Leben. Auch wenn wir heute wissen, wie neues Leben entsteht, so bleibt es doch im Wesentlichen ein Geheimnis. Erst recht ist es so mit Kirche. Wir können also nicht entscheiden, wann das neue Ostern der Kirche kommt. Wir können es nicht machen, wir können uns nur darauf vorbereiten und es erbitten. Aber wir dürfen glauben und hoffen, wenn wir das Leben mit Jesus Christus pflegen, dann wird die Kirche, dann werden wir mit ihm auferstehen. Amen (rv)