Vatikan/Belgien: Papst bestärkt Bischöfe

Papst Benedikt XVI. hat den belgischen Bischöfen seine Nähe und Solidarität bekundet. An diesem Sonntag sendete das katholische Kirchenoberhaupt einen Brief an den Vorsitzenden der belgischen Bischofskonferenz, Erzbischof André-Joseph Léonard. Mit klaren Worten ging Benedikt XVI. auf die jüngsten Vorgänge in Brüssel ein. Dort hatte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag im Zuge von Ermittlungen in Missbrauchsfällen die in Brüssel versammelten Bischöfe für neun Stunden festgesetzt, ihre Handys und vertrauliche Unterlagen beschlagnahmt und zudem die Gräber von zwei Kardinälen aufgebrochen. Der Papst verurteile den Missbrauch von Minderjährigen durch Kirchenmitarbeiter aufs Schärfste. Die Kirche sei bei der Aufklärung zur Zusammenarbeit mit der staatlichen Justiz bereit, betonte der Papst in dem Brief vom Sonntag. Die Form der Untersuchung und insbesondere die Zerstörung von Gräbern seien jedoch schwerwiegend. – Der belgische Botschafter beim Heiligen Stuhl war am gleichen Tag – also bereits am Donnerstag – in den Vatikan einbestellt worden. (rv) 

Richterin Nußberger: „Westen kann von Osteuropa lernen“

Religionsfragen werden in Europa mehr und mehr zu Streitfragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wird beispielsweise am kommenden Mittwoch über Kruzifixe an italienischen Schulen verhandeln. Wir haben Angelika Nußberger gefragt, inwieweit Religion ein Menschenrecht sei. Sie ist die neue Richterin des Menschenrechtsgerichtshofs. Die Kölner Völkerrechtlerin und Osteuropa-Expertin wird ab Januar im Straßburger Gremium mitwirken.
 „Religionsfreiheit ist natürlich auch ein Menschenrecht. Man versteht es einerseits als positives Recht, d.h. ein Recht, Religion zu haben, und andererseits ist es auch ein sogenanntes negatives Recht, und zwar kann man eben eine Religion auch nicht haben. Auch mit derartigen Fragen befasst sich der Gerichtshof."
Sie sind u.a. Expertin für Rechte in Osteuropa. Wie sieht es dort aus in Sachen Menschenrechte und Religionsfreiheit? Gibt es große Unterschiede zu Westeuropa?
„Ja, natürlich gibt es Unterschiede, weil in jenen Regionen die Religionsfreiheit nicht gewährleistet worden war. Das galt bis zur Wende Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre. Seither wird jedoch die Religionsfreiheit gewährleistet. Es gab dann – wie man gut beobachten konnte – eine religiöse Renaissance. Damit sind natürlich sehr viele Fragen verbunden, die die Menschen in Osteuropa in anderer Weise betreffen als die Menschen in Westeuropa. Ich denke dabei an die Verhältnisse unter den Kirchen, ob gegeneinander oder miteinander. Es geht hierbei meist um Eigentumsrückgaben und es muss überhaupt ein Zusammensein eingespielt werden, wie man mit solchen Fragen überhaupt umgehen kann. Das ist ein neues Terrain, was sich hingegen in den sogenannten alten Demokratien über lange Zeit herausgebildet hat."
Können wir im Westen auch von den Osteuropäern in Sachen Menschenrechte und Religionsfreiheit lernen?
„Es gibt in den osteuropäischen Ländern ganz andere kulturelle Traditionen, die ihre besonderen Werte in sich tragen und die von uns auch gar nicht wahrgenommen werden. Ich beobachte aber mit einer gewissen Traurigkeit, wie dies in Osteuropa überdeckt wird durch eine große Kommerzialisierung, die nach der Wende kam. In Russland spricht man beispielsweise von „Sabornos". „Sabor" ist die Gemeinschaft, die sich in der Kirche trifft und davon wird ein Abstraktum gebildet. Dieses Verständnis der Zusammengehörigkeit wird als etwas Besonderes hervorgehoben. Ich kann das nicht ins Deutsche übersetzten. Es gibt kein Wort hierfür bei uns. Das ist auch schwer zu vermitteln. Sich damit zu befassen, bedeutet, dass man auch etwas von diesen Ländern lernen kann."
Und umgekehrt: Was müsste Ihrer Meinung nach in Osteuropa verbessert werden?
„Ich komme gerade zurück von einer Tagung der OSZE und des Max-Plank-Instituts in Kiew. Da ging es um richterliche Unabhängigkeit. Das ist sicherlich ein Bereich, in dem insbesondere in diesen Ländern sehr große Schwierigkeiten feststellbar sind. Sie wollen richterliche Unabhängigkeit aber sie wissen nicht, wie sie das erreichen können. Und es gibt auch Negativtraditionen, die sich in der sowjetischen Zeit entwickelt haben. Da waren die Richter eben nicht unabhängig. Diese Richter aus jener Zeit sind ja zum Teil noch da. Das Umdenken ist schwierig. Bei derartigen Fragestellungen kommen die Vertreter der Staaten oft zu den Juristen Westeuropas und fragen, wie man dies nun so gestalten könne, dass die Justiz sich bessert. Die Justiz wird von den dortigen Bürgern weiterhin als korrupt und abhängig empfunden. Das ist ein großer Missstand im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Das führt auch zu sehr viel Beschwerden beim Menschrechtsgerichtshof in Straßburg." (rv)

Boff: „Die Schattenseite der Kirche gehört zu uns, macht uns aber nicht aus!“

Wenn ein Befreiungstheologe dieser Tage durch Österreich und Deutschland reist, dann begegnet ihm in der Diskussion um Befreiung und Neubeginn auch immer wieder die Missbrauchsdebatte. Das hat Leonardo Boff vergangene Woche erfahren, bei seinen Stationen an der Universität Innsbruck und im Franziskanerkloster von Großkrotzenburg. Von der gegenwärtigen Situation der Befreiungstheologie in Lateinamerika, etwa dem entschlossenen Kampf brasilianischer Christen um den Erhalt des Amazonasgebietes, hat er seinen Zuhörern berichtet – und auf der anderen Seite ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen vor Ort aus ihrem eigenen Kontext heraus gehabt. Ein Stimmungsbild zeichnet der Befreiungstheologe dementsprechend so:
„Die Christen sind etwas perplex, weil sie sehen, dass die Kirche in eine moralische Krise geraten ist – dass die pädophilen Priester ein Skandal sind. Viele leiden darunter. Aber das ist kein Grund für mich, dass sie aus der Kirche austreten, denn diese Schattenseite der Kirche ist nun mal möglich und gehört zu uns. Das ist unsere Kirche! Jede Person hat eine Schattenseite und muss sich selbst damit auseinandersetzen und das überwinden. Dasselbe müssen wir mit der Kirche tun."
Jede Person, die gesund sei, könne schließlich krank werden, vergleicht Boff. Aber die Krankheit sei eben nicht Kern der Kirche – ihr Kern sei vielmehr das Evangelium. Nichts desto trotz müsse die Kirche demütig anerkennen, dass auch innerhalb ihrer eigenen Reihen Sünden und Fehler geschähen, die korrigiert werden müssten.
„Der Kirche muss meiner Ansicht nach geholfen werden, damit sie ihre Aufgabe und Funktion in der Welt weiterführen kann. Es wäre sehr schade, wenn die Kirche wegen dieser kritischen Situation herabgewürdigt oder ihre heilige Existenz als Vertreterin des Erbes Jesu in Frage gestellt werden würde. Deshalb muss sich die Kirche ihre Fehler eingestehen und transparent machen und um Verzeihung bitten. Und sich auch von Laien, von Fachmännern, wie Psychologen und anderen Experten, die verstehen, was da passiert ist, helfen lassen – um das künftig zu vermeiden, mit Maßnahmen, die solche Fälle schon im Vorfeld verhindern können."
Auch in Brasilien, im Nordosten des Landes, seien zwei Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche bekannt geworden. Das sei aber, anders als in Deutschland oder Österreich, nicht als Phänomen der Kirche betrachtet worden, erklärt der Befreiungstheologe. Grundsätzlich seien die Kirchengemeinden in Lateinamerika und Europa unterschiedlich strukturiert, möglicherweise sei das Beispiel Lateinamerikas in der aktuellen Situation genauer zu überdenken:
„In meinen Augen sind die Priester, die Pfarrer und Ordensleute, sehr stark in das Volk integriert. Sie leben nicht distanziert vom Volk oder alleine in ihren Pfarreien oder Klöstern. Und dieser Umgang mit dem Volk macht die Integration von Beziehungen leichter. Sie werden menschlicher. Die Priester fühlen sich geliebt und leben auch tatsächlich diese Perspektive der Liebe, jenseits der sexuellen Komponente. Das macht auch das Zölibat leichter. Weil die Einsamkeit, die so schädlich ist, nicht so sehr zu spüren ist. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass es bei uns weniger Probleme auf diesem Gebiet gab." (rv)