Nigeria: Ein Augenzeuge berichtet

Bei Angriffen auf mehrere christliche Dörfer nahe der zentralnigerianischen Stadt Jos starben in der Nacht zum Sonntag mehr als 100 Menschen. Agenturmeldungen sprechen sogar von bis zu 500 Toten. Muslimische Hirten, die der Volksgruppe der Fulani angehören, attackierten mehrere christliche Dörfer. Toni Görtz, Nigeria-Referent bei missio befindet sich zurzeit in dem westafrikanischen Land und traf am Tag nach dem Massaker in Jos zu einem Besuch bei Erzbischof Ignatius Kaigama ein, dem katholischen Erzbischof von Jos. Von seinen Eindrücken und Hintergründen der Gewalt berichtet er in einem missio-Interview.
Hintergrund
Im Januar starben bei blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen in Jos mehr als 300 Menschen. Bereit 2001, 2008 kam es in Jos und der Region immer wieder zu schweren Unruhen zwischen Christen und Muslimen mit mehr als Tausend Toten. Hintergrund des lange anhaltenden Konfliktes ist der Kampf der Volksgruppen um die immer knapper werdenden Ressourcen sowie um Macht, Einfluss und Privilegien.
Zugezogene gegen Einheimische
Bestimmten Volksgruppen in der Region, die als „einheimisch“ eingestuft werden, werden laut Verfassung Privilegien zugestanden, die den so genannten „Zugezogenen“ vorenthalten bleiben. Dadurch können sie sich einen besseren Zugang zu Bildung, Ressourcen und politischen Ämtern sichern.
Bestimmte Volksgruppen – die Birom, Afiseri und Anaguta – gelten in der Region als einheimisch. Sie sind mehrheitlich Christen. Die Hausa und Fulani – die meisten sind Muslime – gelten als Zugezogene, obwohl manche hier schon seit mehreren Generationen leben. Sie fühlen sich diskriminiert. Die Konkurrenz christlicher und muslimischer Gruppen löst immer wieder blutige Gewalt aus. (rv)

Kasper: „Habe nie von Entschädigungen gesprochen“

Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper verteidigt den Vatikan und die deutschen Bischöfe: Die Missbrauchsfälle seien von der Kirche entschieden angegangen worden, sagte Kardinal Kasper in einem Exklusiv-Interview mit Radio Vatikan. Die Fälle würden nicht allein die katholische Kirche betreffen. Kardinal Kasper will auch ein kürzlich wiedergegebenes Interview richtigstellen.

Herr Kardinal, in den vergangenen Tagen sorgte in Deutschland die Debatte zum Thema „Missbrauch“ für Schlagzeilen. Die katholische Kirche war natürlich sehr davon betroffen. Ihre Einschätzungen dazu?

„Es ist ein trauriges Thema und erfüllt uns mit Scham, dass solche Dinge in katholischen Einrichtungen vorgekommen sind und dass Kinder missbraucht wurden. Dass dies verwerflich ist, darüber kann überhaupt keine Frage bestehen. Dass dies auch aufgeklärt werden muss, ist völlig klar. Ich habe den Eindruck, die Deutschen Bischöfe tun in dieser Situation das, was möglich ist. Sie verhalten sich sehr klug. Ich habe dazu kürzlich Stellung genommen und zwar in einer italienischen Zeitung [„La Repubblica“, Anmerkung der Redaktion]. Die Wiedergabe war allerdings sehr frei. Vor allem habe ich kein Wort gesagt zu möglichen oder erforderlichen Entschädigungen. Das ist eine juristische Frage, die völlig außerhalb meines Gesichtskreises und meiner Zuständigkeit ist. Dazu habe ich kein Wort gesagt.“

Sie kennen die katholische Kirche in Deutschland sehr gut. Sie wissen auch, dass in der Vergangenheit bereits Anti-Missbrauchsmaßnahmen ergriffen wurden. Was halten Sie von den bisherigen Richtlinien?

„Die katholische Kirche in Deutschland ist die einzige Institution, die dazu Richtlinien erlassen hat. Diese kann man jetzt aufgrund der Erfahrungen sicherlich verbessern. Fakt ist aber, dass wir bereits Richtlinien haben. Nun müssten auch alle anderen Institutionen, die davon betroffen sind, solche Maßnahmen ergreifen. Denn Missbrauch ist kein katholisches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Jetzt muss man also gemeinsam zusammensitzen und überlegen, was man für die Prävention tun und wie man den Opfern helfen kann.“

Und wie ist es aus Vatikan-Sicht? Der Vatikan ist ja nicht schweigsam oder unternimmt nichts in Sachen Missbrauch. Auf Weltkirchenebene gibt es doch Richtlinien.

„Selbstverständlich hat der Vatikan mehrfach Stellung dazu genommen. Das war so, als die Missbräuche in den Vereinigten Staaten in den Schlagzeilen waren und in Irland die Fälle bekannt wurden. Der Vatikan unterstützt selbstverständlich die Ortsbischöfe. Über die klare Meinung des Papstes zu dieser Frage besteht kein Zweifel. Es ist leider ein völlig falscher Zungenschlag hereingekommen über die deutsche Bundesjustizministerin. Ich habe den Eindruck, sie kennt das Kirchenrecht nicht. Sie kann nicht unterscheiden, was kirchenrechtliche Zuständigkeit und staatliche Kompetenzen sind. Das sind unterschiedliche Rechtskreise und Vorgänge. Selbstverständlich ist es so, dass dort, wo es notwendig ist, eine Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften gefördert wird. Schweigemauern werden nicht von der Kirche aufgebaut. Ich habe gewisse Erfahrungen als Bischof gesammelt. Ich hatte damals meinen Personalreferenten zu den Eltern geschickt, wo Vorwürfe da waren. Die Eltern schwiegen, obwohl wir sie gedrängt hatten, dass sie reden sollten. Diese Vorwürfe gegen die katholische Kirche, dass wir nicht zusammenarbeiten würden und Schweigemauern aufbauen, sind völlig absurd und außerhalb der Welt.“

Themenwechsel: An diesem Sonntag wird Papst Benedikt XVI. die lutherische Gemeinde in Rom besuchen. Sie sind im Vatikan für die Ökumene – und auch für den Dialog mit dem Luthertum – zuständig. Ihre Einschätzung zu diesem Besuch, der ja auch für Deutschland sicherlich wichtig ist?

„Ich freue mich über diesen Besuch. Die Visite ist ein Ausdruck der gewachsenen Zusammenarbeit und Nähe zwischen uns und den lutherischen Christen in Deutschland und der lutherischen Gemeinde hier in Rom. Es ist eine gute und freundschaftliche Beziehung, die der Papst zum Ausdruck geben möchte. Er leistet zugleich einen Beitrag zur weiteren Verbesserung des Verhältnisses zu den lutherischen Christen, die in Deutschland sind. Der Dialog mit den Lutheranern war ja einer der ersten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dieser Dialog hat wesentliche Fortschritte gemacht. Man denke hierbei an die Rechtfertigungslehre. So hoffen wir, dass das eine Zukunftsperspektive eröffnet. Ich freue mich, am Sonntag dabei sein zu können.“ (rv)

Der Missbrauchskandal weitet sich aus – Vatikan unterstützt deutsche Bischöfe

Auch aus dem Vatikan kommt grünes Licht für einen Runden Tisch gegen Kindesmißbrauch in Deutschland, an dem alle großen gesellschaftlichen Kräfte vertreten sind. Die Vatikanzeitung „Osservatore Romano" lobt die deutsche Bildungsministerin Annette Schavan dafür, dass sie „Null Toleranz" für Mißbrauch an Schulen und Internaten fordert. Es sei richtig, jetzt „soviel Klarheit zu schaffen wie möglich" – und zwar an allen Schulen und Bildungseinrichtungen, denn – so das Vatikanblatt – „diese schmerzhafte Frage betrifft ja nicht nur die katholischen Einrichtungen". „Vielleicht" – so sagt es an diesem Dienstag Vatikansprecher Federico Lombardi – „kann die schmerzhafte Erfahrung der Kirche eine nützliche Lehre auch für andere sein." In einer Erklärung stellt sich der Jesuit, der den Vatikanischen Pressesaal leitet, hinter die Initiative zu einem umfassenden Runden Tisch in Deutschland und lobt die Entschlossenheit der deutschen Bischöfe zur Aufklärung des Geschehenen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Recht, wenn sie die „Ernsthaftigkeit und den Einsatz der deutschen Kirche" für Aufklärung würdige.

Natürlich, so Lombardi weiter, seien „Fehler von kirchlichen Einrichtungen und Verantwortlichzen besonders abscheulich, weil die Kirche ja eine besondere erzieherische und moralische Verantwortung hat". Doch müsse man die Frage auch „viel weiter stellen" und die Anklagen nicht nur „auf die Kirche konzentrieren". Lombardi verweist auf offizielle Zahlen aus Österreich: In einem bestimmten Zeitraum habe es dort 17 Missbrauchsfälle an kirchlichen, aber 510 an nicht-kirchlichen Einrichtungen gegeben. „Es ist durchaus angezeigt, sich auch um letztere Gedanken zu machen", so der Papst-Sprecher.

Deutschland: Debatte über Verjährungsfristen

Die deutsche Familienministerin Kristina Schröder hat am Montag einen umfassenden Runden Tisch zum Thema Missbrauch angekündigt – für den 23. April. Die Kirchen werden da mit am Tisch sitzen, zusammen mit anderen wichtigen Vertretern gesellschaftlicher Gruppen: Familienverbänden, Schulträgern, der freien Wohlfahrtspflege, der Ärzteschaft und der Politik. Das Gremium soll Selbstverpflichtungen und Verhaltensregeln erarbeiten. Schröders Zielvorgabe heißt: „Was ist zu tun, wenn Übergriffe geschehen sind, welche Faktoren fördern Übergriff auf Kinder, und wie können diese vermindert werden? Das sind die Fragen, die an diesem Runden Tisch erörtert werden sollen."

Mit ihrer Initiative stellt sich die CDU-Ministerin Schröder gegen ihre Kabinettskollegin von der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Justizministerin fordert weiter einen Runden Tisch speziell mit der Kirche – und zwar, damit diese Entschädigungen an Opfer zahlt. In diesem Punkt springt ihr auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bei. Skeptisch ist Leutheuser-Schnarrenberger hingegen, was die derzeitige Debatte in der Politik um Gesetzesänderungen betrifft.

„Verjährungsfristen zu verlängern, bringt für die Opfer, an denen Mißbrauch begangen wurde und wo diese Taten längst verjährt sind, nichts – weil es rückwirkend keine Verlängerung der Verjährungsfrist mit der Möglichkeit der Strafverfolgung gibt."

Ähnlich sieht das der Strafrechtler Stefan König– er sagte dem ZDF: „Verjährungsfristen haben ja viele gute Gründe. Einer davon ist, dass natürlich die Aufklärung eines Vorwurfs umso schwieriger wird – besonders dann, wenn man Zeugen dafür braucht –, je mehr Zeit seit der angeblichen Tat verstrichen ist." Für Kriminologen wie Christian Pfeiffer hingegen hätten längere Verjährungsfristen den Vorteil, dass Täter auch nach längerer Zeit noch zu Schadenersatz verpflichtet werden könnten: „Im Prinzip ist das richtig, weil gerade die Opfer aus einer Zeit, die Jahrzehnte zurückliegt und die jetzt fünfzig oder sechzig sind, endlich die Freiheit haben, darüber zu reden: Früher konnten sie das beim besten Willen nicht. Denen sollten wir entgegenkommen und die Möglichkeit verschaffen, dass sie zum Beispiel die Kosten für eine Therapie, die sie jetzt machen, vom Täter ersetzt bekommen!"

Justizministerin kritisiert Kirche und Vatikan

Nachdem der Runde Tisch nun beschlossene Sache ist, verlagert sich die Debatte in Deutschland immer mehr zum Thema Entschädigungen. Die Justizministerin nennt solche Entschädigungen, die die Kirche an Opfer aus früheren Jahrzehnten leisten solle, „ein Stück Gerechtigkeit gegenüber den Opfern, auch wenn sich das erlittene Unrecht materiell nicht aufwiegen lässt". Die Ministerin übte erneut Kritik an der katholischen Kirche und insbesondere am Vatikan. Sie kritisierte, es gebe, insbesondere bei katholischen Schulen, eine Schweigemauer, die Missbrauch und Misshandlungen verdeckt habe. Verantwortlich dafür sei auch eine Direktive der vatikanischen Glaubenskongregation von 2001, nach der auch schwere Missbrauchsfälle zuallererst der päpstlichen Geheimhaltung unterlägen. Ein Ministeriumssprecher fügte hinzu, die Justizministerin halte den Willen der Kirche zur Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden für weiterhin nicht ausreichend.

Der Regensburger katholische Bischof Gerhard Ludwig Müller hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger scharf kritisiert. Die Behauptung der Ministerin, die katholische Kirche in Deutschland behindere in Fällen sexuellen Missbrauchs die Aufklärung von Straftaten, sei „unwahr und ehrenrührig", erklärte Müller am Dienstag. Der Bischof forderte die Ministerin auf, Beweise für ihre Anschuldigungen vorzulegen oder andernfalls „ihre Amtsautorität nicht für derartige Übergriffe zu instrumentalisieren". Müller wies insbesondere Leutheusser-Schnarrenbergers Behauptung zurück, dass es an katholischen Schulen eine Schweigemauer gebe, die die Aufklärung von Straftaten erschwere oder gar verhindere. In allen deutschen Diözesen werde nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz „jeder Hinweis auf eine Missbrauchsstraftat umgehend und genauestens geprüft", betonte der Bischof. Erhärte sich der Verdacht, werde der mutmaßliche Täter zur Selbstanzeige aufgefordert, im Falle einer Verweigerung die Staatsanwaltschaft informiert.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) befürwortet unterdessen eine „breite und intensive Diskussion" in Sachen Kindesmissbrauch. Vor einer Gesetzesinitiative würden aber zunächst Experten in den Ministerien über ein geeignetes Vorgehen beraten, sagte ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm.

Dt. Bischöfe: Wir arbeiten mit Justiz zusammen

„Die Kirche unterstützt die staatlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche vorbehaltlos." Darauf weist die Deutsche Bischofskonferenz an diesem Dienstag hin. Die Kirche „fordert Geistliche zu einer Selbstanzeige auf, wenn Anhaltspunkte für eine Tat vorliegen, und informiert von sich aus die Strafverfolgungsbehörden", so der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Auf die Anzeige und die Information der Justiz werde „nur unter außerordentlichen Umständen verzichtet, etwa wenn es dem ausdrücklichen Wunsch des Opfers entspricht". Auch der staatliche Gesetzgeber respektiere den Wunsch des Opfers und habe unter anderem deshalb „darauf verzichtet, bei den entsprechenden Straftaten eine Anzeigepflicht einzuführen". „Unabhängig von dem staatlichen Verfahren gibt es ein eigenes kirchliches Strafverfahren, das vom Kirchenrecht geregelt wird", erklärt Kopp weiter. „Der sexuelle Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche ist nach kirchlichem Recht eine besonders schwere Straftat." Die Einzelheiten des Verfahrens lege ein Rundschreiben der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre von 2001 fest. Die Akten der kirchlichen Verfahren würden in Rom geführt und würden vertraulich behandelt – aber: „Die kirchliche Unterstützung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden bleibt davon unberührt."

Der Bischofssprecher bedauert, dass „die Zuordnung von staatlichem und kirchlichem Strafverfahren immer wieder falsch dargestellt wird". Er stellt darum noch einmal klar: „Im Fall des Verdachts sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch einen Geistlichen gibt es ein staatliches und ein kirchliches Strafverfahren. Sie betreffen verschiedene Rechtskreise und sind voneinander völlig getrennt und unabhängig. Das kirchliche Verfahren ist selbstverständlich dem staatlichen Verfahren nicht vorgeordnet. Der Ausgang des kirchlichen Verfahrens hat weder Einfluss auf das staatliche Verfahren noch auf die kirchliche Unterstützung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden."

Runder Tisch: Pro und Contra

Die FDP-Bundestagsfraktion hat die geplante personelle Besetzung des Runden Tisches gegen Kindesmissbrauch durch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder deutlich kritisiert. Dass Schröder Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nicht eingeladen habe, „brüskiert nicht nur die Bundesjustizministerin, sondern auch die Opfer sexuellen Missbrauchs": Das erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, in Berlin. Den Opfern sei „mit der offensichtlich mit heißer Nadel gestrickten Konzeption des Runden Tisches nicht geholfen", so der FDP-Politiker.

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx hingegen hat den Runden Tisch begrüßt. Es sei gut, Vertreter aller relevanten Gruppen dazu einzuladen, sagte Marx dem „Münchner Merkur". Dem Skandal des Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen müsse auf breiter Front entgegengetreten werden. Auf die Frage, warum die Bischöfe so lange gebraucht hätten, um Stellung zu beziehen, verwies Marx auf eine Absprache unter den Bischöfen. Auf der Bischofskonferenz hätten alle noch einmal ausgiebig mit Fachleuten darüber reden wollen. Danach sollte eine gemeinsame Erklärung abgegeben werden. „Im Nachhinein weiß ich nicht, ob das richtig war", räumt der Erzbischof ein.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begrüßt die Initiative der Bundesregierung zu einem Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch. Der Vorstoß sei „absolut notwendig und richtig", erklärte Verbandspräsident Alois Glück am Dienstag in einem Radiointerview. Neben der Aufklärung der Fälle und der Hilfe für die Opfer sei die zentrale Frage, wie man die Vorbeugung verstärken könne. Das betreffe alle, die mit Jugendlichen arbeiten, so der CSU-Politiker. Der ZdK-Präsident forderte die katholische Kirche zugleich zur entschiedenen Aufarbeitung der jetzt bekanntgewordenen Missbrauchsfälle auf. Der erste Ansatz dürfe nicht sein, die Kirche zu schonen.

Ratzinger: Wenn ich gewusst hätte…

Der Bamberger katholische Erzbischof Ludwig Schick hat sich für eine Verschärfung des Strafrechts bei Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ausgesprochen. Die Verjährungsfristen sollten auf mindestens 30 Jahre verlängert werden, forderte Schick am Dienstag in Bamberg. Da Missbrauchsdelikte erst später als andere offenbar würden, sei ein solcher Schritt nötig. Die Gerichte würden somit wieder in die Lage versetzt, Straftaten wegen Missbrauchs aufzuklären. Weiter plädierte der Erzbischof dafür, bei jedem begründeten Verdacht sofort die Staatsanwaltschaft zu verständigen. Schick wörtlich: „Das Wichtigste sind die Opfer. Ihnen muss die Justiz Gerechtigkeit zukommen lassen."

Der frühere Regensburger Domkapellmeister Georg Ratzinger hat eingeräumt, von den früheren Prügel-Praktiken in der Internatsvorschule der „Regensburger Domspatzen" gewusst zu haben. Der Bruder von Papst Benedikt XVI. sagte der „Passauer Neuen Presse" mit Blick auf den Internatsleiter: „Wenn ich gewusst hätte, mit welch übertriebener Heftigkeit er vorging, dann hätte ich schon damals etwas gesagt." Er verurteile das Geschehene und bitte die Opfer um Verzeihung.

Neue und alte Fälle

Das Bistum Limburg klärt die Missbrauchsvorwürfe in der Diözese weiter auf. Benno Grimm, der Missbrauchsbeauftragte des Bistums, untersucht derzeit Verdachtsfälle gegen fünf weitere Priester und kirchliche Mitarbeiter. Auch bei den neuen Fällen hat die Diözese alle Informationen an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Die aktuell bekannt gewordenen Vorwürfe reichen weit zurück: Sie sollen sich in den 50-er, 60-er und 70-er Jahren ereignet haben. Einige der Beschuldigten sind mittlerweile verstorben. Strafrechtlich sind die Taten bereits verjährt. Die Diözese setzt nach eigenen Angaben trotzdem alles daran, jeden Verdachtsfall rigoros aufzuklären. Im Zuge der Untersuchungen ist zudem ein weiterer Fall in den Blick geraten: In den 70-er Jahren gab es ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Leiter des Musischen Internates in Hadamar. Der frühere Leiter der Limburger Domsingknaben ist im Jahr 2002 gestorben.  Er wurde nicht strafrechtlich verurteilt.

Am Bonner Jesuitengymnasium sollen zwischen 1946 und 2005 sechs Jesuitenpatres Schüler sexuell missbraucht haben. Das teilte der kommissarische Rektor, Pater Ulrich Rabe, am Dienstag in Bonn mit. Er bezieht sich auf einen Zwischenbericht, der am Montag dem Kollegium, Elternvertretern und der Missbrauchs-Beauftragten der Jesuiten, Ursula Raue, vorgelegt worden war. Den Zwischenbericht erstellt hatte nach den Angaben eine interne Arbeitsgruppe mit Repräsentanten von Eltern, Lehrern, Schul- und Internatsleitung und Mitgliedern der Jesuitenkommunität. Laut Rabe wurden bislang Aussagen von 30 verschiedene Personen gesammelt, „die in der Schilderung der Erheblichkeit der Übergriffe sehr unterschiedlich sind". Die Spannweite der Beschuldigungen reiche von Aussagen über den allgemeinen Erziehungsstil bis hin zu Berichten über heftigen und wiederholten sexuellen Missbrauch. Die drastischsten Schilderungen bezögen sich auf die 50-er und 60-er Jahre. Die Autoren des Berichts fordern laut Rabe den Provinzial der Deutschen Jesuiten auf, eine externe Stelle zur Überprüfung früherer Entscheidungsträger einzurichten. Sie solle klären, inwieweit Bereichsleiter, Rektoren oder Provinziale ihrer Leitungs- und Aufsichtsfunktion im Umgang mit Vorwürfen oder eventuellen Kenntnissen sexueller Übergriffe gerecht geworden seien. Der Anfang Februar zurückgetretene Rektor, Pater Theo Schneider, solle sich sobald wie möglich zu seiner Verantwortung in seiner Leitungs- und Aufsichtsfunktion öffentlich äußern. Weiter verlangt die Arbeitsgruppe die Benennung externer Fachleute als Ombudsleute, an die sich künftige Opfer sexueller Gewalt wenden können.

Debatte reißt nicht ab

Angesichts immer neuer Fälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch an Schulen – und nicht mehr nur kirchlichen – drängen Politik und Verbände auf rückhaltlose Aufklärung. Schon in den nächsten Tagen wollen die Länderminister mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan über die Frage des Kindesmissbrauchs sprechen. Der Deutsche Lehrerverband fordert die Ernennung von Sonderbeauftragten durch alle Kultusminister, um Hinweisen in Zusammenarbeit mit der örtlichen Schulaufsicht zügig nachzugehen.

Der Vorsitzende des neu gegründeten katholischen Arbeitskreises in der CSU, Thomas Goppel, verlangt, dass die Kirche bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle jetzt nachlegt. Das sagte er im Gespräch mit dem Münchener Kirchenradio. Andererseits dürfe das Fehlverhalten einiger weniger in der Kirche nicht zur Verteufelung der ganzen Institution führen. Das hätten vor allem die Schüler und Eltern in Kloster Ettal klar gemacht, wofür er noch dankbarer sei als für den Aufklärungswillen von Erzbischof Marx. Der Gesprächskreis „ChristSoziale Katholiken in der CSU" ist am Montag offiziell gegründet worden. Er will sich dafür einsetzen, dass katholische Positionen in der Gesellschaft nicht verloren gehen. (rv)