Nigeria: Kardinal sieht gemäßigte Muslime in der Pflicht

Kardinal OnaiyekanNigerias Kardinal sieht einen Hoffnungsschimmer für die von Boko Haram entführten Mädchen. Erzbischof John Olorunfemi Onaiyekan von Abuja würdige es als einen positiven Schritt vor allem von Seiten der Islamistengruppe, die Gespräche mit der Regierung aufzunehmen. Bisher habe sich Boko Haram immer geweigert, mit staatlichen Vertretern zu reden. Im Nordosten Nigerias hat die Terrorgruppe bei einem gezielten Schlag vor zwei Wochen fast 300 Schulmädchen entführt. Erst nach einer internationalen Kampagne hat sich die nigerianische Regierung bereit erklärt, Gespräche mit den Entführern anzubahnen. Unklar sei nun aber, wer genau am Gesprächstisch sitzen werde. Kardinal Onaiyekan meint, eine Einbindung von Religionsführern könne sinnvoll sein.

„Schade finde ich, dass bisher die nigerianische Regierung die Causa Boko Haram nicht auch als ,religiösen Konflikt´ betrachtet. Wohlgemerkt, es geht nicht in erster Linie um einen Religionskrieg, aber es ist auch falsch zu behaupten, Boko Haram habe nichts mit Religion zu tun. Ich rufe deshalb muslimische Religionsführer auf, sich für den Dialog und für die angekündigten Gespräche einzusetzen. Bisher haben sie Boko Haram als nicht-muslimische Gruppe betrachtet und sie als ,einfache Kriminelle´ bezeichnet.“

Der Kardinal sieht hier vor allem gemäßigte Muslime in der Pflicht. Man müsse sich darüber klar sein, dass die Terrorsekte ihre Untaten mit religiösen Motiven rechtfertigt, sonst sei jedes Gespräch sinnlos.

„Man muss doch nur die Videos anschauen, in denen die Führer von Boko Haram ganz klar vom Islam sprechen. Wir Christen und Muslime müssen mit Klarheit sagen, dass wir damit ein Problem haben. Nur gemeinsam können wir einen Beitrag für den Dialog leisten, wenn wir Christen und Muslime in dieser Hinsicht vereint sind. Ich weiß aber nicht, ob das die Regierung auch so sieht und uns Religionsführern mehr Platz einräumen wird. Da habe ich so meine Zweifel.“

Es genüge auch nicht, wenn muslimische Religionsführer Appelle richten. Sie müssten konkrete Schritte unternehmen, so Kardinal Onaiyekan.

„Sie müssen einen Schritt weiter gehen, als nur Boko Haram zu verurteilen. Es geht darum, dass die Mentalität und die Einstellung dieser Menschen geändert wird. Einen solchen konkreten Schritt müssten die muslimische Religionsführer akzeptieren, damit wir vorwärts kommen können. Wenn dies geschehen würde, dann würde sich die Situation rasch ändern und wir hätten auch sicherlich Erfolg.“ (rv)

Kardinal Tauran: „Papst hat großen Respekt vor Muslimen“

Kardinal TauranDie diesjährige Botschaft des Vatikans zum Ende des Ramadan hat Papst Franziskus persönlich verfasst. Das betonte der Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, Kardinal Jean-Louis Tauran, im Gespräch mit Radio Vatikan. In den vergangenen Jahren hatte jeweils der Päpstliche Rat die Botschaft im Auftrag des Papstes geschrieben. Diesmal wollte Franziskus zeigen, dass er „großen Respekt vor Muslimen" habe, so Tauran.

„Ich kann mich gut erinnern, dass der jetzige Papst als er noch Erzbischof von Buenos Aires war, einen Priester seiner Erzdiözese nach Kairo schickte, damit dieser arabisch lerne und auch um sich für den Dialog mit Muslimen auszubilden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass jetzt der Papst am Anfang seines Pontifikates diese Botschaft auch selber schreiben wollte. Der Dialog mit dem Islam zählt ohne Zweifel zu den Prioritäten seines Pontifikates."

In dem Text des Papstes wird auf den gegenseitigen Respekt hingewiesen, der vor allem durch die Bildung gefördert werden könne. Auch fügt Franziskus an, dass die Achtung der Religionsführer und der Kultstätten gewährleistet werden sollen. Dazu Kurienkardinal Tauran:

„Der Papst betont, dass wir uns – also Christen und Muslime – gegenseitig noch nicht gut kennen. Es wurde zwar bisher sehr viel unternommen, aber es braucht weiterhin sehr viel, damit beide Seiten die Tiefe des anderen Glaubens und den gegenseitigen vollen Respekt verstehen. Was ich schade finde ist, dass es nach den schönen Worten, die es in den letzten Jahren immer wieder gab, keine konkreten Schritte gab. Wir haben in unseren Gesprächen durchaus konkrete Resultate erreicht, die aber bisher nicht zum Beispiel durch staatliche Gesetze umgesetzt wurde."

Die betrifft vor allem islamischgeprägte Länder im Nahen Osten. Doch auch in Europa besteht Nachholbedarf, so Kardinal Tauran.

„Leider verwechseln viele Europäer den islamistischen Fundamentalismus mit dem eigentlichen Islam. Wir müssen aber ganz klar sehen, dass der Fundamentalismus für beide – also für das Christentum und für den Islam – ein gemeinsamer Feind ist. Deshalb betont ja der Papst in seiner diesjährigen Botschaft, dass die Bildung so wichtig ist. Denn nur Menschen mit Bildung verstehen, dass der Fundamentalismus nichts mit Glauben und mit der Barmherzigkeit Gottes zu tun haben kann." (rv)

Ägypten: Angst vor dem Bürgerkrieg

ÄgyptenWurde die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi anfangs im Land selbst und in der internationalen Gemeinschaft noch mit Euphorie begrüßt, mehren sich nun die Stimmen, die mit Blick auf die zunehmende Gewalt auf die Gefahr eines Bürgerkriegs hinweisen. Allein am Montag wurden bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des abgesetzten Präsidenten nach Angaben von Rettungskräften über 50 Menschen getötet; es gab mehrere mehrere hundert Verletzte. Matthias Vogt ist Länderreferent für Ägypten im katholischen Hilfswerk missio. Auch er zeigte sich im Gespräch mit Radio Vatikan tief besorgt über die Eskalation der Situation im Land.

„Ich stelle fest, jetzt mit den doch sehr gewaltsamen Auseinandersetzungen mit vielen Toten in den letzten zwei, drei Tagen, dass die Situation von anfänglicher Euphorie umzuschlagen droht in sehr große Sorge, vorsichtig gesagt, vor einen Bürgerkrieg, oder zumindest einer Radikalisierung der Muslimbrüder und Islamisten, die dann wohl auch bereit sind, massiv Gewalt anzuwenden."

Inwiefern handelt es sich bei der Absetzung Mursis denn tatsächlich um den Willen des Volkes?

„Es sind viele Millionen Menschen vor und in den Tagen nach dem 30. Juni in ganz Ägypten auf die Straße gegangen. Während die Revolution des 25. Januars 2011 gegen Mubarak fast ausschließlich eine Sache der Bevölkerung in Kairo war und es fast nur dort größere Demonstrationen gegeben hat, war diesmal das ganze Land beteiligt. Bei der Absetzung von Mursi selbst war dann ja auch nicht nur das Militär beteiligt, das war dann zwar die Institution, die das ganze durchsetzen konnte, aber bei der Verkündigung durch den Verteidigungsminister und Armeechef waren ja zahlreiche Vertreter der zivilen Opposition anwesend."

Was kann man nach den Ankündigungen der Muslimbrüder jetzt erwarten?

„Also man muss tatsächlich befürchten, dass die Muslimbrüder alle Register ziehen werden, um an der Macht festzuhalten. Das hat sicherlich zwei Gründe. Der eine, offensichtlichte Grund ist der Machtverlust. Sie wollten an einer stark an islamischen Werten und der Sharia orientierten Neuordnung arbeiten. Der zweite Grund ist einer, der im Orient sehr wichtig ist, aber für uns vielleicht gar nicht so leicht einsichtig, nämlich dass sie ihr Gesicht und damit ja auch ihre Ehre durch diesen gewaltsamen Sturz ihres Präsidenten ein bisschen verloren haben. Da muss man jetzt auch schauen, wie man diesen Gesichtsverlust ausgleichen kann, damit sie tatsächlich wieder an einen Tisch mit der Mehrheit der Gesellschaft zurückfinden können und nicht in die gewaltsame Opposition abdriften müssen." (rv)

Ägypten: Das Land steht vor dem Kollaps

Headquarter Muslim BrotherhoodIn Kairo haben gewaltbereite Demonstranten den Hauptsitz der Regierungspartei der Muslimbrüder angegriffen. Das Gebäude ging laut Medienangaben in Flammen auf, Augenzeugenberichten zufolge waren zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Menschen mehr in dem Gebäude. Vertreter der friedlichen Protestbewegung „Tamarod" stellten Präsident Mohammed Mursi unterdessen ein Ultimatum, am Dienstag bis 17.00 Uhr Ortszeit zurückzutreten. Die Bewegung drohte mit zivilem Ungehorsam, sollte Mursi nicht einlenken. Die „Tamarod"-Bewegung, die sich keiner Oppositionsgruppe zuordnen will, aber von diesen unterstützt wird, erhielt seit Mai 2013 laut eigenen Angaben Unterschriften von 22 Millionen ägyptischen Bürgern. „Tamarod", was übersetzt „Rebellion" oder „rebelliere" heißt, fordert vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Doch Mursi will davon bislang nichts wissen und beruft sich auf seine demokratische Wahl zum Präsidenten.

Jesuitenpater Samir Khalil Samir ist Berater des Vatikan in Islamfragen und stammt selbst aus Ägypten. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt Samir, er könne nur hoffen, dass Mursi sich angesichts des Ultimatums einsichtig zeige:

„Ich glaube, es gibt nun eine Konfrontation – entweder lenkt Mursi ein und sagt: ,ok, ich bin nicht fähig, wir machen eine neue Wahl und wer kommt, kommt’, oder er sagt – und das ist momentan seine Meinung – ,nein, ich bleibe, denn ich bin demokratisch gewählt.’ Aber er ist demokratisch ungeliebt, und das ist auch eine Tatsache. Deshalb wäre eine neue Wahl am vernünftigsten."

Die rund 20 Millionen Menschen, die sich mit ihrer Unterschrift für Neuwahlen ausgesprochen hätten, seien nicht wenige. Umso mehr, als das Versagen der Verwaltung Mursi sich auch in der Besetzung seiner Mitarbeiter niederschlage, die exklusiv aus den Reihen der Muslimbruderschaft kommen – das Land stehe deswegen kulturell, politisch und wirtschaftlich vor einem Kollaps, so Pater Samir. Sollte es nicht zu Neuwahlen kommen, könnten die Ereignisse weiter eskalieren:

„Sonst bedeutet es, dass die Konfrontation jede Woche stärker wird, und die Polizei heftiger handeln wird. Es ist nicht normal bei uns in Ägypten, dass die Menschen bis zum Tod kämpfen, die Ägypter sind ruhige Leute, sie haben keine echten Waffen, und dennoch sind nun acht gestorben."

Zwar gebe es keine Lichtgestalt, die sich als natürliche Ablöse Mursis bei Neuwahlen aufdrängen würde. Andererseits zeige sich die Opposition im Verlauf der jüngsten Ereignisse immer kompakter, was Hoffnung auf einen möglichen Wechsel mache:

„Es gibt sicher andere Leute, die Erfahrung mitbringen. Es ist zwar nicht sicher, ob sie die Situation verbessern werden, aber es ist doch möglich. Die Menschen haben seit einem Jahr erfahren, dass dieser Präsident es nicht schafft. Ich glaube, die Menschen sind müde. Das dauert seit Monaten, und die Antwort ist nur Gefängnis und Gewalt, er diskutiert nichts und er macht neue Fehler." (rv)

Irak: Lehrerin ermordet

IrakDie Ermordung einer Lehrerin im nordirakischen Mosul lässt die Ängste der christlichen Minderheit wieder hochkommen. Die chaldäische Christin ist das jüngste Opfer einer ganzen Reihe gezielter Anschläge gegen die schrumpfende christliche Gemeinde. Der prominenteste Fall war die Ermordung des chaldäisch-katholischen Erzbischofs von Mosul, Faraj Rahho, im Jahr 2008. Mosul ist als Hochburg des Wahhabismus bekannt, einer besonders extremen Auslegung des sunnitischen Islam, der vor allem von Saudi-Arabien gefördert wird. Der Terror hat zur massiven Flucht und Beeinträchtigung der christlichen Bevölkerung im Irak geführt. Die Regierung kann die Sicherheit der Christen nicht mehr garantieren. (rv)

Türkei/Vatikan: Ohne Religionsfreiheit keine Gerechtigkeit

Der Vatikan hat erneut die Bedeutung der Religionsfreiheit für Gerechtigkeit und Frieden betont. Beim „Istanbul World Forum", das am Wochenende in Instanbul stattfand, sagte der Sekretär des Vatikanrats für den interreligiösen Dialog, Religionen leisteten einen wesentlichen Beitrag im gesellschaftlichen Diskurs. Religionen könnten zudem den Frieden sichern helfen, so Mons. Miguel Ángel Ayuso Guixot. Dazu dürfte aber ihre Ausübung nicht eingeschränkt werden. – Das „Istanbul World Forum 2012" steht unter dem Thema „Gerechtigkeit und der Aufbau einer neuen globalen Ordnung". Es nehmen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft teil. Außer Guixot nahm auch der päpstliche Nuntius, Erzbischof Antonio Lucibello teil; ferner der ökumenische Patriarch Bartholomaios, der Großmufti von Jerusalem und Scheich Hamsa Yusuf vom Zaytuna College in Kalifornien. (rv)

Vatikan: Neue Mitglieder der Kommission für den Dialog mit dem Islam

Papst Benedikt XVI. hat an diesem Freitag neue Mitglieder der Kommission für den Dialog mit dem Islam ernannt. Darunter sind auch der deutsche Jesuitenpater Felix Körner, der als Professor an der päpstlichen Universität Gregoriana lehrt, und die Bamberger Islamwissenschaftlerin Rotraud Wieland. Die Kommission ist dem Rat für den interreligiösen Dialog zugeordnet und auch von dessen Präsidenten, Kardinal Jean-Loius Tauran, geleitet. (rv)

Deutschland: DBK-Vorsitzender fordert von Muslimen klare Distanzierung

Angesichts der gewalttätigen Proteste in der islamischen Welt hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, eine klare Distanzierung der Muslime gefordert. „Der Islam muss sich von jeder Form des Fundamentalismus lossagen. Töten im Namen Gottes ist eine Sünde gegen Gott", sagte der Konferenzvorsitzende und Freiburger Erzbischof der Zeitung „Bild". Zur Meinungsfreiheit gehöre auch, die Freiheit des anderen einschließlich seines religiösen Bekenntnisses zu respektieren, so der Erzbischof. „Zu häufig – auch bei uns in Deutschland – wird die Schmerzgrenze überschritten." Kritisch zur Diskussion äußerte sich der italienische Kardinal Camillo Ruini in einem Radiointerview: „Wenn wir die Beleidigungen des Islams nur deshalb beklagen, weil sie zu Tötungen und Unruhen führen, dann zeigen wir damit, dass uns der Respekt vor Religion nicht wirklich interessiert, sondern nur der Schutz unserer praktischen Interessen." Der frühere Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz erklärte weiter: „Die Ereignisse dieser Tage sollten uns nicht nur dem Islam gegenüber sensibler machen, sondern allen Religionen gegenüber." (rv)

Pakistan: „Rimsha sorgte für Gesinnungswandel bei Muslimen“

Das pakistanische Mädchen Rimsha Masih ist zu einer Symbolfigur für Pakistan geworden. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan Paul Bhatti, der Katholik, der die pakistanische Regierung in Minderheitenfragen berät. Der „Fall Rimsha" sei der Beweis dafür, dass auch in einem Land wie Pakistan Gerechtigkeit herrschen könne.

„Sie hat es geschafft, nicht nur die internationale Gemeinschaft auf das Problem des Blasphemiegesetzes aufmerksam zu machen. Rimsha hat auch einen Gesinnungswandel bei vielen Muslimen bewirkt. Bisher war es so, dass verurteilte oder auch nur beschuldigte Christen öffentlich angeprangert und sogar getötet wurden. Durch die Vermittlung der pakistanischen Regierung haben wir es geschafft, dies zu stoppen. Aber Rimsha hat erreicht, dass jetzt auch lokale Muslimführer davon überzeugt sind, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Gerechtigkeit hat."

In Pakistan, wo die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Muslime sind, kann eine Beleidigung des Propheten Mohammed weiterhin mit dem Tod bestraft werden. Paul Bhatti ist aber zuversichtlich, dass künftig die Minderheiten nicht mehr willkürlich beschuldigt werden.

„Die Menschen wissen nun, dass jeder, der falsches Zeugnis ablegt, bestraft werden kann. Künftig werden sich wohl viele zuerst überlegen, ob sie einfach jemand der Blasphemie beschuldigen sollen. Es war ein positiver Schock, dass ein Imam verhaftet wurde, der Rimsha beschuldigt hatte, ohne handfeste Beweise vorlegen zu können."

Ein Gericht in der Hauptstadt Islamabad hatte am Freitag die Freilassung des am 16. August festgenommenen Mädchens gegen Kaution angeordnet. Vor einer Woche hatte die pakistanische Polizei den islamischen Geistlichen festgenommen, der das Verfahren ins Rollen brachte. Der Imam Hafiz Mohammed Khalid Chishti wird verdächtigt, gefälschte Beweisstücke vorgelegt zu haben. (rv)

Pakistan: Rimsha-Ankläger festgenommen

Sicherheitskräfte haben am Samstagabend in Islamabad den Imam festgenommen, der eine minderjährige Christin der Blasphemie beschuldigt hat. Nach Angaben eines Polizeisprechers haben drei Zeugen, darunter sein Assistent, den Geistlichen beschuldigt, dem Mädchen verkohlte Seiten eines Koran in die Tasche geschmuggelt zu haben. Sein Ziel sei es gewesen, die christliche Minderheit in dem Wohnviertel am Stadtrand der Hauptstadt unter Druck zu setzen. Dem Imam Hafiz Mohammed Khalid Chishti droht nun, wie der jungen Christin, ebenfalls ein Verfahren wegen Blasphemie. Die christliche Müllsammlerin Rimsha Masih war vor 14 Tagen in Polizeigewahrsam genommen worden. An diesem Montag wollte ein Gericht in Islamabad darüber befinden, ob sie auf Kaution freigelassen wird; die Entscheidung wurde aber erneut verschoben, diesmal auf kommenden Freitag. Berichten zufolge hat Rimsha das Down-Syndrom.

Der pakistanische Katholik Mobeen Shahid lehrt in Rom an der Päpstlichen Lateran-Universität – und hat in diesen Tagen viel mit Christen in seiner Heimat telefoniert. Er sagte uns an diesem Wochenende in einem Interview:

„Ich habe Rimshas Anwalt Tahir Naveed Chaudry angerufen: Er sagt, dass es Rimsha im Polizeigewahrsam sehr schlecht geht. Ihre Eltern fehlen ihr, ihr normales Umfeld, das sie kennt und wo sie gelebt hat. Rimsha ist nach meinen Informationen 13 Jahre alt, sie ist geistig zurückgeblieben, und nach zwei Wochen in Haft geht es ihr immer schlechter."

Bisherige Berichte hatten das Alter des Mädchens meistens mit elf Jahren angegeben. Die Entscheidung, ob Rimsha auf Kaution freikommt, ist vom Gericht mehrmals aufgeschoben worden.

„In gewisser Hinsicht ist dieses Aufschieben etwas Positives – das Gericht will eben mit aller Vorsicht vorgehen. Auf der anderen Seite aber ist es kontraproduktiv, das sehen wir an einer Äußerung des Anwalts von Ahmad. Ahmad ist der junge Mann, der Rimsha beschuldigt hat, den Koran verbrannt zu haben. Der Anwalt hat wörtlich gesagt: „Wenn nötig, wird es eben neue Mumtaz Quadris geben." Ein solcher Satz aus dem Mund des Anwalts des Anklägers schürt Hass und auch Fanatismus gegen die religiösen Minderheiten!"

Mumtaz Quadri war der Leibwächter, der letztes Jahr den Gouverneur des Bundesstaates Punjab ermordet hat. Der Politiker, Salman Tassir, hatte sich offen gegen das Blasphemiegesetz ausgesprochen, und er hatte Asia Bibi im Gefängnis besucht, die als Symbol bekannt gewordene Christin, die wegen dieses Gesetzes in Haft sitzt. Diese Haltung wurde dem Gouverneur zum Verhängnis. Sein Leibwächter erstach ihn.

„Man muss sich vor Augen führen, dass Tassir ein Muslim war – und dass Mumtaz Quadri als Polizist arbeitete. Quadri befürwortete das Blasphemiegesetz, weil es ihm um die Ehre des Propheten Mohammedd ging, und darum durfte dieses Gesetz aus seiner Sicht keinesfalls angerührt werden. Dabei hatte Tassir strenggenommen nur die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes ändern wollen. Wenn der Anwalt von Ahmad sich jetzt also auf Mumtaz Quadri beruft, dann schürt er damit religiösen Hass gegen alle Nicht-Muslime in Pakistan."

Mobeen Shahid dementiert im Interview mit uns Berichte, dass der Anwalt der kleinen Rimsha ausgetauscht worden sei. Er bestätigt hingegen, dass insgesamt 600 Christen nach Rimshas Festnahme aus ihrem Slum geflohen seien.

„Sie haben weiterhin Angst davor, zurückzukehren, trotz aller Zusicherungen, die man ihnen macht. Aber sie haben erlebt, wie es der örtlichen Polizei nicht gelungen ist, aufgehetzte Massen daran zu hindern, ganze Dörfer in Brand zu stecken. Und sie haben erlebt, dass die Händler in ihrem Viertel sich weigern, ihnen Lebensmittel zu verkaufen – wie könnten sie dann jetzt auf den Gedanken kommen, wieder in ihr Viertel zurückzukehren?"

Mobeen Shahid leitet den Verband pakistanischer Christen in Italien; er führt derzeit eine Kampagne namens „Retten wir Rimsha Masih" durch, der sich u.a. hundert italienische Parlamentarier angeschlossen haben, dazu einige Bischöfe und Musliminnen aus den Golfstaaten. Gemeinsam wollen sie an den pakistanischen Präsidenten appellieren, Rimshas Freilassung zu verfügen. Dabei ist die junge Müllsammlerin keineswegs Pakistans einziger verfolgter Christ – im Gegenteil:

„In Pakistan werden die religiösen Minderheiten verfolgt, und damit auch die Christen. Ihre Lage hat sich kontinuierlich verschlechtert, seit letztes Jahr Shahbaz Bhatti ermordet wurde, der christliche Minister für die Angelegenheiten von Minderheiten. Shahbaz war noch jedem Fall von Diskriminierung von Minderheiten gefolgt, hatte sich jedes Mal vor Ort informiert und ist an den Fällen drangeblieben. Letztes Jahr gab es nun fast tausend Fälle von Zwangsbekehrungen zum Islam und von damit zusammenhängenden Morden; dieses Jahr liegt die Zahl schon bei fast zweitausend. Pakistan ist heute ein Opfer des Extremismus im Namen der Religion. In Wirklichkeit ist dieser Extremismus aber gar nicht an eine Religion gebunden, sondern ist ein übergreifendes Phänomen."

Immer noch in Haft sitzt in Pakistan die bereits genannte Asia Bibi, Mutter von fünf Kindern: Die Christin war 2010 wegen angeblicher Blasphemie festgenommen worden, zeitweise drohte ihr die Todesstrafe. Viele haben sich vom Ausland aus für sie eingesetzt, aber gebracht hat das nichts.

„Auch Asia Bibi geht es sehr schlecht nach diesen fast zwei Jahren in Einzelhaft. Der Berufungsprozess ist noch beim Obersten Gericht von Lahore in Gang. Wir hoffen immer, dass es einmal zu einer Anhörung kommt, aber aus Sicherheitsgründen war dies bisher nicht der Fall."

Der Leiter der bischöflichen Justitia-et-Pax-Kommission, Pater Emmanuel Yousaf, hat an diesem Montag an der gerichtlichen Anhörung in Islamabad im Fall Rimsha Masih teilgenommen. Im Gespräch mit dem vatikanischen Fidesdienst erklärte er sich davon überzeugt, dass das Mädchen am Freitag vom Gericht auf freien Fuss gesetzt werde. Aus seiner Sicht werde der Fall Rimsha „ein Exempel statuieren". Vor dem Gericht habe es keine Kundgebungen gegen Rimsha oder für den verhafteten Imam gegeben. Stattdessen häufen sich nach Yousafs Darstellung auch von muslimischer Seite Zeichen der Solidarität. So habe der Mufti einer Moschee in Karatschi angekündigt, Rimsha und ihre Familie bei sich aufzunehmen. (rv)